Familiengerichtliche Verfahren zur Sorge und zum Umgang der Eltern bei Trennung werden schon seit einiger Zeit intensiv diskutiert. Werden in den Verfahren die Rechte der Eltern ausreichend gewahrt? Werden die Kinder angemessen gehört und beteiligt? Werden gerichtlich Sachverständigengutachten sorgfältig erstellt? Werden die Verfahren zügig genug geführt? Sind die Familienrichter:innen für diese speziellen Verfahren angemessen qualifiziert?

Der GREVIO[1]– Evaluation Report zum Stand der Umsetzung der Istanbul-Konvention[2]in Deutschland vom 7.10.2022 fragt jetzt sehr kritisch unter anderem auch danach, ob das deutsche Familien- und Strafrecht sowie die Verfahrensregelungen und die Gerichtsstrukturen einen ausreichenden Schutz von Frauen und Kindern vor sexualisierter und/oder häuslicher Gewalt bieten.
Nach unserer Erfahrung zu Recht werden – soweit das Familienrecht betroffen ist – einige Probleme benannt:

Ein genauer Blick auf die Situation ist nicht möglich, weil es nur ungenaue statistische Erhebungen gibt. Weder werden Gewaltschutzverfahren genau erfasst noch lässt sich feststellen, in wie vielen Sorge- und Umgangsverfahren Aspekte häuslicher Gewalt eine Rolle spielten.

Im materiellen Umgangsrecht (§ 1684 BGB) wird eine Beschränkung oder ein Ausschluss des Umgangsrechts des nach einer Trennung nicht mit dem Kind zusammenlebenden Elternteils nur bei einer konkreten Gefährdung des Kindeswohls zugelassen. Damit wird eine hohe Hürde aufgebaut. Das Erleben oder Miterleben von (häuslicher) Gewalt kann zwar nach ständiger Rechtsprechung eine Kindeswohlgefährdung darstellen, diese Frage wird aber rechtlich der Einzelfallentscheidung überlassen. In der Praxis ist es oft schwierig, insbesondere in Eilverfahren, schnell und mit der erforderlichen forensischen Sicherheit die nötigen Feststellungen zu treffen. Lässt sich eine Gewaltsituation zunächst nicht ausreichend verifizieren, kann im Zweifel ein Umgang auch in solchen Fällen angeordnet werden.
Hier sind gesetzliche Regelungen zur grundsätzlichen Einordnung der Fälle häuslicher/sexualisierter Gewalt insbesondere in noch unklaren Ermittlungssituationen notwendig. Es ist zudem gesetzlich klarzustellen, dass es in solchen Fällen keine Vermutung gibt, der Umgang diene Kindeswohl.

Das Gerichtsverfassungsrecht sieht zwar seit Beginn diesen Jahres vor, dass Familienrichter:innen über bestimmte Fort- und Weiterbildungen verfügen oder diese nach Übernahme der Aufgabe schnell erwerben müssen (§ 23b GVG). Jedoch sind an diese Regelung keine Rechtsfolgen geknüpft: Gerichtsverwaltungen, Präsidien und Richter:innen sind völlig frei darin, ob und wie sie dem Gebot nachkommen. Die Landesjustizverwaltungen sind völlig frei darin, ob und welche Fortbildungen sie anbieten und ob und wie sie den Aufwand für die Fortbildungen in der Personalausstattung berücksichtigen. Es kommt deswegen immer wieder vor, dass die Regelungen unter dem Druck der praktischen Erledigung von Fällen nahezu ignoriert werden. So kann eine strukturelle Qualität nicht sichergestellt werden.

Die NRV fordert:

  • Die Aufnahme gesetzlicher Regelungen zu den Auswirkungen (vermuteter) häuslicher Gewalt auf das Umgangsrecht, die erleichterte Möglichkeiten vorsehen, Umgangs- und Kontaktrechte in solchen Fällen (ggf. zeitweilig) auszusetzen
  • Die Schaffung eines bundesweit verbindlichen Curriculums für Familienrichter:innen, das in fest vorgegebenen Zeiten, absolviert werden muss und regelmäßig zu aktualisieren ist
  • Die verbindliche Schaffung an das Curriculum angepasster regelmäßiger Fortbildungsangebote, die verbindlich wahrgenommen werden müssen
  • Die Schaffung ausreichender zeitlicher Kapazitäten, damit die Fortbildungen von allen Familienrichter:innen (regelmäßig) wahrgenommen werden können.
  • Eine wissenschaftliche Evaluation der Situation in den familiengerichtlichen Verfahren mit der Entwicklung aussagekräftiger Statistiken.

Diese Maßnahmen würden wirklich etwas verändern. Sie würden sicherstellen, dass Deutschland den Anforderungen der Istanbul Konvention gerecht wird. Ideologische oder durch einseitige Betroffenheit aufgeladene Forderungen und Schuldzuweisungen, die es gerade zu den familiengerichtlichen Verfahren immer wieder und mit großem Getöse gibt, helfen nicht weiter.

Viele Familienrichter:innen verrichten ihre Aufgaben mit großem persönlichen Einsatz, hohem Engagement und durchaus gewissenhafter Fortbildung. Die Qualität kann aber nicht alleine auf dem Rücken des (oft in der Freizeit absolvierten) besonderen Engagements der Familienrichter:innen gesichert werden. Eine strukturelle Qualität erfordert, dass ein genau definierter Standard eingehalten wird, für den auch die Gerichtsorganisation Verantwortung übernimmt, Ressourcen zur Verfügung stellt und ihn überall und verlässlich sicherstellt.

Auf nichts weniger haben die Bürger:innen einen Anspruch.

[1] Group of Experts on Action against Violence against Women and Domestic Violence 1680a86937 (coe.int)

[2] Convention on Preventing and Combating Violence against Women and Domestic Violence, in Deutschland verbindlich seit dem 1.2.2018

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