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William Ruto mit knappem Votum zum Sieger erklärt

Mit einer denkbar knappen Mehrheit von 50,49 Prozent der Stimmen wurde am 15. August 2022 William Ruto zum Gewinner der Präsidentschaftswahlen in Kenia erklärt. Obwohl die Wahlen so friedlich und gut organisiert verliefen wie noch nie zuvor in der Geschichte des Landes, kam es rund um die Ergebnisverkündung zu erheblichen Spannungen. Das unterlegene Lager um den Kandidaten Raila Odinga will das Ergebnis vor Gericht anfechten. Auch die zuständige Wahlkommission ist gespalten. Die zeitweise befürchteten Ausschreitungen blieben aber bisher weitgehend aus.

Der Wahltag

In Kenia fanden am 9. August 2022 Generalwahlen statt. Die Wahl des neuen Präsidenten war dabei auch aus internationaler Sicht die wichtigste Entscheidung, denn Kenia gilt als stabiles, weitgehend demokratisches Land und ist als drittgrößte Volkswirtschaft in Subsahara-Afrika auch ökonomisch bedeutend.

Seit der neuen Verfassung von 2010 gibt es eine Amtszeitbeschränkung für den Präsidenten auf zwei Wahlperioden von jeweils fünf Jahren. Der amtierende Präsident Uhuru Kenyatta, seit 2013 im Amt, konnte entsprechend nicht zur Wiederwahl antreten.

Am Wahltag wurde zugleich über die Nationalversammlung, den Senat und auf regionaler Ebene über die Governeure und die Zusammensetzung der County-Versammlungen entschieden. Zwei Governeurswahlen wurden aufgrund fehlerhafter Stimmzettel auf den 23.August 2022 verschoben.

Der Wahlkampf war geprägt durch zwei Wahlbündnisse: „Azimio La Umoja“ unter der Führung des früheren Premierministers Raila Odinga vom Orange Democratic Movement (ODM) und „Kenya Kwanza“ unter der Führung des Vizepräsidenten William Ruto von der United Democratic Alliance (UDA). Zwei weitere Kandidaten waren nur deswegen von Interesse, weil sie möglicherweise bei einem knappen Ergebnis ausschlaggebend für eine Stichwahl sein könnten.

Die letzten Umfragen vor den Wahlen hatten einen Vorsprung von Raila Odinga‘s Wahlbündnis zwischen drei und sechs Prozent gezeigt.

Der Wahltag am 9. August 2022 verlief nach übereinstimmender Einschätzung nationaler und internationaler Beobachter friedlich und war gut organisiert. Bei über 46 000 Wahllokalen gab es nur vereinzelt Unregelmäßigkeiten. So war nicht immer die angekündigte Öffnung um 6:00 Uhr gewährleistet, da die Stimmzettel nicht rechtzeitig eintrafen oder das elektronische Personenidentifikationsgerät (KIEMS) nicht fehlerfrei funktionierte. Letzteres konnte durch manuelle Listen innerhalb kurzer Zeit ausgeglichen werden.

Auffallend war schon am Wahltag eine deutlich niedrigere Wahlbeteiligung im Vergleich zur letzten Wahl 2017. Im Ergebnis haben bei der Wahl am 9. August lediglich 65,4% der registrierten Wähler abgestimmt, 2017 waren es fast 80% gewesen (2013 sogar um 86%).

Erste Analysen zeigen, dass vor allem die junge Generation der Wahl fernblieb. Neben der geringen Wahlbeteiligung war bereits im Vorfeld ein deutlicher Rückgang bei Registrierung von Neuwählern beobachtet worden.   Beides ist vor allem vor dem Hintergrund einer allgemeinen „politische Apathie“ der Kenianer zu erklären, die ihre Interessen von den politischen Eliten, die das Land seit der Unabhängigkeit regieren, nicht mehr vertreten sehen. Seit Jahrzehnten dominieren weitgehend die gleichen Akteure – bzw. deren Familien – die politische Landschaft. Raila Odinga trat bereits zum fünften Mal als Präsidentschaftskandidat an. William Ruto versuchte zwar, sich im Wahlkampf als „Outsider“ darzustellen, gehört aber selbst seit über 20 Jahren zur politischen Elite und ging als amtierender Vizepräsident ins Rennen. Diese Dominanz der immer gleichen Akteure bringt Professor Iraki von der Universität Nairobi auf die Formel „Political retirement is rare in Kenya“.

Die Tage der Auszählung – zu lang

Die zentrale Behörde zur Durchführung von Wahlen in Kenia ist die Independent Electoral and Boundaries Commission (IEBC). Nach der Annullierung der Wahlen 2017 durch den Supreme Court war das Vertrauen der Kenianer in die Kompetenz der IEBC in Kenia nicht sehr ausgeprägt. Vor diesem Hintergrund hat die IEBC sich bei den diesjährigen Wahlen darum bemüht, eine größere Transparenz der Verfahren zu schaffen. Das Ergebnis ist nach den bisherigen Resultaten als gemischt zu bewerten. Die meisten Wahlbeobachter haben jedoch eine deutliche Verbesserung des Verfahrensablaufs konstatiert.

Gemäß den gesetzlichen Bestimmungen hat die IEBC nach den Wahlen eine Woche Zeit, die Wahlergebnisse festzustellen.

In den Tagen nach dem Wahltag trafen die zertifizierten Ergebnisse der verschiedenen Wahlen aus den Regionen, seien es die Wahlen der Abgeordneten der Nationalversammlung, der Senatoren oder der Gouverneure, bei der IEBC ein. Im kenianischen Kontext und vor dem Hintergrund der Erfahrungen der letzten Jahre muss es als bemerkenswert angesehen werden, dass viele der unterlegenen Kandidaten dem Sieger ohne größere Verzögerung gratulierten und die Niederlage eingestanden. Erst gegen Ende der Frist gab es mehr und mehr Fälle, in denen der unterlegene Kandidat ankündigte, das jeweilige Wahlergebnis gerichtlich überprüfen zu lassen.

Entgegen der Mehrzahl der Umfragen wurde bei der Auszählung der Ergebnisse der Präsidentschaftswahl schnell deutlich, dass es auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Odinga und Ruto hinauslaufen würde. Gleichzeitig zeichnete sich schnell ab, dass die beiden Außenseiterkandidaten zusammen auf weniger als ein Prozent kommen würden.

Eine neue Gesetzeslage sorgte für einen hohen Grad der Transparenz. Nach einer Entscheidung des Verfassungsgerichtes war die Wahlkommission zur unmittelbaren Veröffentlichung von Auszählungsergebnissen verpflichtet. Dazu wurden die Ergebnisformulare aus den über 46.000 Wahlstationen auf der Website der Kommission hochgeladen. Diese freie Verfügbarkeit der Daten ermöglichte ein unabhängiges Zusammentragen der Ergebnisse. Davon machten vor allem mehrere Medienhäuser Gebrauch. So konnte die Öffentlichkeit live verfolgen, wie sich die Zahlen entwickelten. Allerdings wichen in den ersten Tagen die Zahlen der verschiedenen Medienhäuser zum Teil deutlich voneinander ab, was zur Verwirrung und Verunsicherung in der Bevölkerung beitrug. Die Unterschiede lagen aber letztlich vor allem an unterschiedlichen Vorgehensweisen beim Erfassen und Zusammentragen der Daten. Im weiteren Verlauf glichen sich die Ergebnisse mehr und mehr an. Allerdings stoppten die Medienhäuser im Laufe des vierten Tages der Auszählung sukzessive die Veröffentlichung aktualisierter Daten. Offenbar war es den Medien zu heikel, angesichts der Knappheit der Stimmenverteilung mit einem Endergebnis vorzupreschen. Unklar ist jedoch, ob die Entscheidung auch durch politischen Druck beeinflusst wurde.

Die Wahlkommission selbst veröffentlichte keine Zwischenergebnisse. Die Verfassung erlaubt einen Zeitraum von sieben Tagen, um zu einem Endergebnis zu kommen. Dieser Zeitraum wurde nahezu ausgereizt, die Ausrufung des Siegers der Präsidentschaftswahl wurde schließlich am sechsten Tag nach der Wahl angesetzt. Hintergrund ist ein komplexes Verifizierungsverfahren, bei dem die digital übermittelten Daten im Auszählungszentrum in Nairobi mit den persönlich überbrachten physischen Formularen aus allen Wahlkreisen abgeglichen werden müssen.

Die lange Wartezeit und die zeitweise widersprüchlichen Zwischenstände in den Medien sorgten in der Bevölkerung für Misstrauen und nährten Spekulationen über Manipulationen. Gleichzeitig ermöglichten Sie es den Lagern der beiden aussichtsreichen Kandidaten, vor allem in den sozialen Medien die Narrative des eigenen Siegs zu verbreiten und damit für problematische Erwartungshaltungen zu sorgen. Entsprechend groß war die Anspannung bis zur Verkündung des Endergebnisses.

Montag, 15 August 2022 – President-Elect William Ruto

Die für 15 Uhr angekündigte Veröffentlichung der Wahlergebnisse im Kulturzentrum Bomas of Kenya, das als Auszählungszentrum dient, wurde mehrfach verschoben. Diplomaten, Wahlbeobachter und Pateifunktionäre warteten über Stunden dort. Die Veranstaltung live im Fernsehen übertragen. Nach geraumer Zeit erfuhr das Publikum, dass Raila Odinga an der Veranstaltung zur Bekanntmachung der Wahlergebnisse der Präsidentschaftswahlen nicht teilnehmen werde. Azimio‘s „Chief Agent“ Saitabao erhob außerhalb des Auditoriums von Bomas in einer Pressekonferenz Vorwürfe des Wahlbetrugs, ohne diese aber genauer zu benennen.

Kurz bevor jedoch der Leiter der IEBC, Wafula Chebukati, die Wahlergebnisse bekannt geben wollte, fand eine Pressekonferenz von vier der insgesamt sieben Mitglieder der IEBC, darunter auch die stellvertretende Leiterin der IEBC, statt. Diese Pressekonferenz wurde parallel ebenfalls live übertragen. Daran erklärte die Stellvertretende Leiterin der IEBC, dass sie die Ergebnisse der Auszählung auf das endgültige Formblatt (34C) (Präsidentschaftswahlen) nicht mittragen könnten. Hintergrund sei, dass die Übertragung „opak“ verlaufen sei. Eine weitere Begründung wurde nicht gegeben und Nachfragen nicht zugelassen. Ein daraufhin im Saal von Bomas gegen 17h30 entstehender Tumult wurde von den Ordnungskräften nach einer Viertelstunde beendet. Mitglieder von Azimio hatten versucht, die Bekanntgabe des Wahlergebnisses gewaltsam zu verhindern. Einige der Diplomaten hatten davor schon auf Grund einer Sicherheitsempfehlung den Saal verlassen.

Wenige Minuten später erfolgte dann die Bekanntgabe des Ergebnisses der Präsidentschaftswahlen durch den Vorsitzenden der IEBC im Rahmen einer kurzen Ansprache. Demnach erhielt William Ruto 50,49% der gültigen Stimmen (7.176.141), während Raila Odinga auf 48.85% (6.942.930) der Stimmen kam. Der Vorsprung von Ruto betrug also 233.211 Stimmen. Die anderen beiden Kandidaten kamen insgesamt auf 0,67 % der Stimmen (zusammen 93.956), ungültig waren 113.614 Stimmen.

Nachdem William Ruto offiziell durch die Überreichung des Wahlzertifikats zum Wahlsieger erklärt wurde, zeigte er sich von den chaotischen Umständen unbeeindruckt und hielt eine Rede, in der er sich mehrfach bei Gott für seinen Sieg bedankte. Seinen Widersacher erwähnte er nicht und auch auf die schwierigen Umstände und die angespannte Lage kam er nicht zu sprechen.

Nach ersten Expertenanalysen haben überwiegend junge Wähler sowie ökonomisch Benachteiligte für Ruto votiert. Hier hat offensichtlich sein Wahlkampfnarrativ „Hustler versus Dynasty“ den Ausschlag gegebenen, in dem er sich als Außenseiter und Vertreter der einfachen Bürger präsentierte, der sich den Familiendynastien entgegenstellt, die die politische Elite im Land seit Jahrzehnten dominieren.

Bemerkenswert ist, dass die diesjährige Wahl die erste Wahl in Kenia ist, die im Wesentlichen nicht von tribalistischen Themen geprägt war, sondern von wirtschaftlichen Themen und der prekären Situation vieler Menschen im Land. Die Situation der Mehrheit der Bevölkerung hat sich in den letzten Jahren in Folge der Corona-Pandemie, der Dürreperiode im Nordosten Kenias und des Krieges in der Ukraine (Verteuerung der Nahrungsmittel-Importe) verschärft. Zudem leidet Kenia unter einer hohen Inflation und den dadurch deutlich gestiegenen Preisen für Grundnahrungsmittel.

Die Tage danach sind die Tage vor dem Supreme Court

Bemerkenswert ist die bisherige Reaktion der Bevölkerung in Kenia in den Tagen nach der Wahl. Neben Freudenfeiern in den Hochburgen des äußerst knapp gewählten Präsidenten blieb es im ganzen Lande ruhig. Ältere Menschen sagen, dass sie noch nie so friedliche Wahlen in Kenia erlebt hätten. Nach den Tumulten rund um die Ergebnisverkündung verhielt sich die unterlegene Seite sehr ruhig und zeigte sich bemüht, nicht zu einer Eskalation der Lage beizutragen. Auch Raila Odinga rief in seiner Ansprache am Tag nach der Verkündung des Ergebnisses seine Anhänger dazu auf, sich ruhig zu verhalten und das weitere Verfahren abzuwarten. 

Am 16.8.2022 gaben die vier Kommissionsmitglieder der IEBC eine erneute Pressekonferenz, in der sie ihre Entscheidung für das Nichtmittragen des Wahlergebnisses begründen wollten. Danach hätte die Addition der Prozentsätze des Wahlergebnisses 100,01% ergeben, was einer Zahl von ca. 140 000 Stimmen entspräche. Bei dem geringen Vorsprung Rutos könne dies wahlentscheidend sein. Zudem sei der Vorsitzende der IEBC nicht befugt, ohne ein Mehrheitsvotum das Ergebnis zu verkünden. Die offensichtlich falsche Berechnung sorgte im Fernsehen und in den sozialen Medien schnell für Spott und wirft ein denkbar schlechtes Licht auf die vier abtrünnigen Kommissionsmitglieder. Sie hatten sich offenbar um zwei Kommastellen vertan. Eine korrekte Berechnung zeigt, dass ein Anteil von 0,01% von ca. 14 Millionen abgegeben Stimmen lediglich ca, 1.400 Stimmen umfasst und durch Aufrunden der einzelnen Prozentzahlen für die Kandidaten zu erklären ist.

In seiner Ansprache am Nachmittag des 16. August im Kenyatta International Convention Centre (KICC) verkündete Raila Odinga: „Wir verfolgen die verfassungsgemäßen und legalen Wege und Prozesse, um die illegale und verfassungswidrige Ankündigung von Herrn Chebukati für ungültig zu erklären“. Eine weitere Begründung oder Belege für die Anfechtung der Wahl lieferte er nicht.

Die Azimio Koalition bereitet sich anscheinend darauf vor, beim Supreme Court Klage einzureichen. Sie will allem Anschein nach Unregelmäßigkeiten und Verstöße gegen das Wahlgesetz bei der Auszählung der Stimmen – von den Wahllokalen bis zum nationalen Auszählungszentrum – nachweisen. Es bleibt abzuwarten, ob die Beweise, die vorgelegt werden, ausreichen werden. Die Zeit drängt, denn die Frist, Einspruch gegen das Wahlergebnis einzulegen, endet am Montag, den 22. August 2022.

Der Supreme Court hat dann 14 Tage Zeit (bis zum 5.September 2022), um ein Urteil zu fällen. Dabei gibt es drei Optionen: das Wahlergebnis wird bestätigt, es wird eine Neuauszählung der Stimmzettel angeordnet oder die Wahl wird für ungültig erklärt und es kommt zu einer erneuten Wahl innerhalb von 60 Tagen.

Die seit Mai 2021 Vorsitzende Richterin des Supreme Courts, „Chief Justice“ Martha Koome, hat bereits im Frühjahr 2022 bei dem BBI-Urteil („Building Bridges Initative“ von Präsident Kenyatta und Raila Odinga von März 2018 mit dem Ziel, die Verfassung zu ändern) bewiesen, dass sie unabhängig von politischem Druck nur nach Rechtslage entscheidet. Zudem ist das Vertrauen der Bevölkerung in die Unabhängigkeit der Justiz in Kenia sehr hoch. Es besteht somit die Hoffnung, dass trotz des nicht unproblematischen Verlaufs der Wahlauszählung und Verkündung des Wahlergebnisses ein Weg gefunden werden wird, der Rechtsstaat und Demokratie in Kenia stärkt und zu einem für alle Seiten letztlich akzeptablen Wahlergebnis führt.

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