Nach Stationen unter anderem in Essen, Istanbul und Hamburg nimmt die Ausstellung die Besucher*innen mit auf Çağatays Reise von Hamburg über Köln und Werl nach Berlin und zurück in den Westen nach Duisburg. Neben den ortsspezifischen Arbeits- und Lebensbedingungen deutsch-türkischer Communities in diesen Städten fanden auch politische Themen immer wieder Eingang in Çağatays Motivauswahl. So dokumentierte er etwa die migrantischen Initiativen um gesellschaftliche Teilhabe dieser Zeit. In verschiedenen Fotografien deutete er zudem den gesellschaftlichen Rechtsruck an.
Rund 30 Jahre nach dem Anwerbeabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei entstanden, sind Ergun Çağatays Fotos inzwischen wichtige zeithistorische Dokumente der Wendejahre. Bis in unsere Gegenwart hinein spielen die Geschichten von Migrant*innen viel zu selten eine Rolle. Im Begleitprogramm zur Ausstellung möchte das MEK deshalb den Raum für diese Perspektiven öffnen: Ausstellungsgespräche mit den portraitierten Personen sowie Erzählcafés werden persönliche Einblicke und Möglichkeiten zum Dialog bieten. Der Kulturtag „Haymat Almanya“ am 3. Oktober feiert nicht nur die seit mehr als 60 Jahren gewachsenen deutsch-türkischen Lebenswelten. „Haymat Almanya“ eröffnet auch deutsch-türkische Perspektiven auf den Mauerfall und bietet somit eine Ergänzung zum herrschenden Narrativ der politischen und gesellschaftlichen Umbrüche der Wendejahre.
Die Ausstellung präsentiert rund 107 der eindrucksvollsten Bilder Çağatays. Davon werden 28 Bilder im Großformat 100 x 150 cm und 79 im Format 54 x 80 cm gezeigt. Die Medieninstallation „Annäherungen“ präsentiert zentrale Themen aus dem fast 3.500 Fotografien umfassenden Konvolut in einem Bilderstrom. Knapp 400 Sequenzen dokumentieren Ergun Çağatays Streifzüge durch Deutschland und ermöglichen so einen Einblick in seine Motivsuche. Sie veranschaulichen seine Arbeitsweise und die unterschiedlichen Perspektiven, aus denen er sich seinen Bildthemen annäherte. Flankiert wird die installtion von acht eigens für die Ausstellung produzierten Videointerviews mit Zeitzeug*innen verschiedener Generationen aus Kunst, Musik, Wissenschaft, Sport, Journalismus, Politik und Gastronomie, die eine Brücke in die Gegenwart schlagen.
Ergun Çağatay zählt zu den namhaftesten türkischen Fotografen und Fotojournalisten. International bekannt wurde er durch seine Fotoreportagen, Ausstellungsprojekte und Buchpublikationen. Çağatay begann seine berufliche Laufbahn als Texter in einer Werbeagentur. Ab 1968 arbeitete er als Fotojournalist für die Agentur Associated Press und war anschließend für verschiedene Agenturen und Unternehmen tätig, darunter Gamma in Paris und Time Life in New York. Im Jahr 1983 bei einem Bombenanschlag auf den Flughafen Paris Orly schwer verletzt, fertigte Çağatay nach seiner Genesung als erster eine Fotoserie illustrierter Manuskripte aus dem Topkapı-Museum in Istanbul an. In den Jahren danach bereiste er mit der Kamera Europa und Zentralasien. 1990 schließlich entstanden nahezu 3.500 Aufnahmen im Rahmen seiner Reportage „Türken in Deutschland 1990 – Die zweite Generation“. Seine Fotografien erschienen in vielen internationalen Magazinen und Büchern. Mit der Gründung der Agentur Tetragon widmete sich Çağatay verstärkt Eigenproduktionen.
Der Katalog zur Ausstellung
Der von Peter Stepan herausgegebene Katalog zur Ausstellung präsentiert knapp 190 der eindrucksvollsten Bilder von Ergun Çağatay. Ein einführender Essay zeichnet die damalige Reise des Fotografen ausführlich nach. In verschiedenen Themenbeiträgen kommen insbesondere auch türkeistämmige Autor*innen der jüngeren und älteren Generation zu Wort, die mit den Leser*innen ihre persönlichen Erfahrungen, Erinnerungen und Familiengeschichten teilen. Eine umfangreiche Chronologie ruft Schlüsseldaten aus Politik, Gesellschaft und Kultur zur Einwanderung aus der Türkei und Präsenz Türkeistämmiger in Erinnerung. Der Katalog erscheint zweisprachig auf Deutsch und Türkisch (Edition Braus Verlag).
Das Magazin zur Ausstellung
Das Magazin „Wir sind hier.“ erschien anlässlich des 60. Jahrestags der Unterzeichnung des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens unter der Schirmherrschaft von Michelle Müntefering, Staatsministerin für Internationale Kulturpolitik im Auswärtigen Amt a.D. Die Herausgeberin Dr. Alexandra Nocke lässt auf 72 Seiten die dritte und vierte Generation Türkeistämmiger mit Essays zu Wort kommen, darunter etwa die Journalistin Ferda Ataman, den Sozialaktivisten Ali Can, den CORRECTIV-Journalisten Hüdaverdi Güngör, die Slam-Poetin Aylin Celik oder die Schriftstellerin Dilek Güngör. Ihre Essays sind flankiert von Bildern
verschiedener Fotograf*innen, darunter Brigitte Kraemer, Aslı Özdemir, Aslı Özçelik Henning Christoph, Candida Höfer oder Metin Yılmaz.
Das Ausstellungsprojekt „Wir sind von hier. Türkisch-deutsches Leben 1990. Fotografien von Ergun Çağatay“ wird gefördert vom Auswärtigen Amt, der RAG-Stiftung und der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung.
Museum Europäischer Kulturen
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Staatliche Museen zu Berlin
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