Der Deutsche Berufsverband der Hals-Nasen-Ohrenärzte fordert ein sofortiges Umlenken bei der Digitalisierungsstrategie des deutschen Gesundheitswesens. „Die Arztpraxen sind nicht bereit, den Aufwand, den Ärger und die Zusatzkosten des beschlossenen TI-Konnektorenaustauschs ein zweites Mal mitzumachen“, konstatiert Dr. Dirk Heinrich, Präsident des HNO-Berufsverbandes. Um den zu erwartenden Totalschaden bei der Akzeptanz durch die Nutzerinnen und Nutzer abzuwenden, führe kein Weg an einem sofortigen TI-Moratorium vorbei. „Erst wenn die von der Gematik angekündigte TI 2.0 verfügbar ist, die Voraussetzungen für einen störungsfreien Betrieb sichergestellt sind und die Praxen keine zusätzlichen Kosten und Risiken schultern müssen, können wir über den Neustart des Projekts sprechen“, so Heinrich.

Hintergrund der Forderung ist der im März 2022 von der Gematik einstimmig beschlossene Austausch der TI-Konnektoren. Die Konnektoren verbinden die Arztpraxen mit der Telematikinfrastruktur (TI). In den Geräten sind Sicherheitsmodul-Karten mit einer maximalen Laufzeit von fünf Jahren verbaut. Je nach Installationsdatum muss der einem DSL-Router vergleichbare Konnektor ab September 2022 ausgetauscht werden. Insgesamt sind 130.000 Geräte betroffen. Zusätzlich müssen die Modulkarten der Kartenterminals erneuert werden. Auch der Praxisausweis (SMC-B-Karte) und der elektronische Heilberufsausweis (eHBA) laufen nach fünf Jahren ab und müssen neu bestellt werden. Der Hardwareaustausch sei die „sicherste Lösung“ für die „Kontinuität des Betriebes“, so die Gematik.

„Als Ärzteschaft erdulden wir die zahlreichen Pleiten und Pannen des TI-Projektes seit Jahren zähneknirschend. Mit dem Austausch-Beschluss der Konnektoren hat die Gematik jetzt die maximale Schmerzgrenze überschritten“, macht HNO-Präsident Heinrich unmissverständlich deutlich. Es sei keiner Praxis zuzumuten, den enormen Aufwand einer Technikumstellung, sei es auch nur in Teilen, ein weiteres Mal mitzumachen. Dies gelte umso mehr, als die Erfahrung zeige, dass die mit den Krankenkassen vereinbarten Finanzierungsbeträge hinten und vorne nicht ausreichen. „Uns liegen zahllose Berichte von Kolleginnen und Kollegen vor, bei denen sowohl von den Konnektoren-Herstellern als auch von IT-Firmen bei der Vor-Ort-Installation überhöhte Preise aufgerufen worden sind, die nicht durch die Pauschalen gedeckt waren.“

Verursacht durch den gesetzlichen Zwang auf der einen Seite und das Oligopol von lediglich drei Konnektoren-Herstellern andererseits, haben de facto nahezu alle Praxen einen nicht unerheblichen Betrag bei der TI-Einführung aus eigener Tasche bezahlt. Gegen die Unterfinanzierung sei man vor rund zwei Jahren aktiv geworden, berichtet Heinrich weiter. „Wir unterstützen als Berufsverband in einem Musterverfahren die Klage eines Mitglieds gegen die nicht ausreichenden Erstattungsbeträge bei der TI-Erstausrüstung der Praxis.“ In dem konkreten Fall liege der Fehlbetrag bei rund 900 Euro. Erst kürzlich habe man das zuständige Sozialgericht zur zügigen Verfahrensfortführung aufgefordert.

Verbandspräsident Heinrich rechnet damit, dass der große Proteststurm gegen den Austausch erst in den nächsten Monaten hereinbrechen werde. „Die meisten Kolleginnen und Kollegen haben noch nichts vom Beschluss der Gematik mitbekommen. Erst wenn die TI-Firmen sie als Kunden anschreiben und auf den notwendigen Austausch hinweisen, werden sie davon erfahren.“ Um den Frust der Praxen besser nachvollziehen zu können, müsse man sich die Situation der Ärztinnen und Ärzte deutlich machen. „Erst wird die TI mit Zwangsmaßnahmen unter Androhung von Honorarabzug durchgesetzt. Als Nächstes stellt sich heraus, dass sowohl die neuen Anwendungen, wie das eRezept oder die eAU, als auch die Hardware selbst hinten und vorne nicht zu Ende gedacht sind und laufend zu Abstürzen der Praxis-IT und zu Störungen der Abläufe führen. Und dann wird beschlossen, dass die schon heute völlig antiquierte und maßlos überteuerte Technik für eine weitere Übergangsphase, bei unklarer Gegenfinanzierung durch die Kassen, ausgetauscht werden muss.“

Angesicht dieser desaströsen Bilanz fordere er als Sofortmaßnahme ein Moratorium der Telematikinfrastruktur, so HNO-Arzt Heinrich. „Wir sind an dem Punkt angelangt, an dem es, nüchtern betrachtet, rationaler ist, auf einen neuen Weg umzuschwenken, als das tote TI-Pferd weiterzureiten.“ Mit der TI 2.0 habe die Gematik im vergangenen Jahr ein softwarebasiertes Vernetzungskonzept vorgestellt, das ab 2025 eingeführt werden solle. Heinrich erinnert in dem Zusammenhang an das „iPhone-Phänomen“: „Ich kann nur eindringlich an die Verantwortlichen bei der Gematik und bei den Technikherstellern appellieren. Wenn das neue Konzept nicht von sich aus so attraktiv ist, dass es jede Praxis auch ohne Zwang einführen möchte, wird auch der nächste TI-Anlauf scheitern.“ Nur wenn die Technik einen klaren Mehrwert biete, leicht zu bedienen sei, die Finanzierung von den Kassen übernommen werde und die Praxisinhaberinnen und -inhaber bei Cyberangriffen vor Haftungsrisiken geschützt seien, habe die Digitalisierung eine Chance, resümiert Dr. Dirk Heinrich.

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