Die Viactiv hat in den letzten Wochen in großem Umfang Anträge auf Festsetzung von Verordnungsregressen für Therapieallergene bei den regionalen Prüfungsstellen eingereicht. In den Regressanträgen wird als Begründung angeführt, dass die Therapieallergene keine gültige Zulassung hätten und daher nicht zu Lasten der Krankenkasse verordnet werden könnten. Von den Verfahren sind Vertragsärztinnen und -ärzte der allergologisch tätigen Fachgruppen betroffen, darunter die Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Dermatologie und Pneumologie.

Die unterzeichnenden Verbände sehen die Voraussetzungen für eine Wirtschaftlichkeitsprüfung sowohl medizinisch als auch juristisch nicht gegeben und haben ihren Mitgliedern empfohlen, den Anträgen zu widersprechen. Gleichzeitig fordern wir Sie auf, die Regressforderung in Gänze zurückzunehmen. Als Begründung weisen wir auf die im Folgenden dargestellte Rechtslage hin.

Therapieallergene sind grundsätzlich zulassungsfrei, es sei denn, sie unterfallen der Therapieallergeneverordnung (TAV). Für diese Therapieallergene gilt jedoch eine Übergangsregelung. Ausweislich § 3 TAV dürfen Therapieallergene weiterhin ohne Zulassung in den Verkehr gebracht werden, sofern sie bei Inkrafttreten der TAV hergestellt wurden und unter Berücksichtigung der Vorgaben eine entsprechende Anzeige erfolgte und ein Antrag auf Zulassung gestellt wurde. Diese verkehrsfähigen Therapieallergene sind damit auch zu Lasten der Krankenkasse verordnungsfähig.

Mit der Übergangsregelung in § 3 TAV hat der Gesetzgeber bewusst eine Regelung getroffen, um Versorgungsengpässe zu vermeiden (BR Drs 712/08 S. 8). Die Annahme, dass Therapieallergene nur bei bestehender Zulassung erstattungsfähig seien, würde die bestehende Übergangsregelung ad absurdum führen. Denn der Gesetzgeber hat gerade durch die Übergangsregelung festgelegt, dass es bis zur Entscheidung über die Zulassung gerade keiner Zulassung bedarf und die Therapieallergene gleichwohl verkehrsfähig sind. Sie sind damit ausdrücklich von der Zulassungspflicht ausgenommen für diese Zeit. Der Zeitraum dieser Verkehrsfähigkeit ist auch nicht mit einer generellen Höchstfrist versehen, sondern bemisst sich nach der individuellen Dauer des einzelnen Zulassungsverfahrens.

Eine fehlende Erstattungsfähigkeit dieser verkehrsfähigen Therapieallergene würde daher insgesamt dem Zweck der Regelung und dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers zuwiderlaufen (vgl. Knierim PharmR 2020, 61-65; Tietjen/Knierim PharmR 2021, 636-639 mWN).

Das Sozialgericht Hamburg hält noch nicht zugelassene Therapieallergene ebenfalls für grundsätzlich zu Lasten der Krankenkasse verordnungsfähig:

"Die Therapiehinweise (…) können damit lediglich auf die grundsätzlich zu Lasten der Krankenkasse verordnungsfähigen Therapieallergene Bezug nehmen. Hierbei handelt es sich nach dem Verständnis des Gerichts um folgende drei Gruppierungen. Zunächst sind Therapieallergene zu nennen, die bereits vor Erlass der TAV über eine arzneimittelrechtliche Zulassung verfügten. Sodann sind Therapieallergene zu nennen, deren Zulassung nach Erlass der TAV beantragt wurde, und deren Zulassung mittlerweile erfolgt ist und als Letztes sind Therapieallergene, (…), zu nennen, die bei Erlass der TAV hergestellt wurden, deren Zulassung beantragt worden ist, aber bis heute noch aussteht." (SG Hamburg, Beschluss v. 24.02.2021, Az.: S 6 KR 94/21 ER)

Ebenso hält der BKK Dachverband Therapieallergene aufgrund ihrer Verkehrsfähigkeit für grundsätzlich erstattungsfähig, wie dies dessen Stellungnahme vom 14.12.2018 zum Referentenentwurf des GSAV zu entnehmen ist. Darin heißt es: "(…) Für viele Produkte gelten weiterhin Übergangsfristen. Sie sind verkehrs- und damit grundsätzlich erstattungsfähig. (…)"

Soweit auf regionaler Ebene Verordnungsempfehlungen im Jahr 2021 ausgesprochen wurden, ist dies für die vorangegangenen Prüfzeiträume gänzlich unerheblich. Zudem handelt es sich lediglich um Anregungen oder Empfehlungen, die insoweit keinen rechtsverbindlichen Charakter entfalten und Abweichungen zulassen. Zumal auch diese Empfehlungen die grundsätzliche Erstattungsfähigkeit von verkehrsfähigen Therapieallergenen gerade nicht kategorisch ausschließen.

Die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit werden bei der Verordnung von verkehrsfähigen Therapieallergenen erfüllt. Versicherte haben Anspruch auf die Versorgung mit Arzneimitteln, die sich als wirtschaftlich und zweckmäßig erwiesen haben und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht (§§ 2, 12 SGB V).

Damit ein Therapieallergen unter die genannte Übergangsregelung fällt, muss dieses unter Nennung bestimmter Merkmale (beispielsweise Produktmerkmale, Bestandteile, Darstellung des Herstellungsverfahrens, Anwendungsgebiet, u.a.) bei dem Paul-Ehrlich-Institut angezeigt werden (§ 3 Abs. 1 S. 2 TAV). Des Weiteren unterliegen die Therapieallergene der staatlichen Chargenprüfung nach § 32 AMG. Demnach erfolgt eine behördliche Freigabe der Charge nur nach Prüfung und Feststellung der erforderlichen Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit. Damit erfüllen diese Therapieallergene auch die für sie normierten Standards. So spricht sich auch die S2k-Leitlinie zur (allergen-) spezifischen Immuntherapie für den Einsatz der im Rahmen der TAV verkehrsfähigen Therapieallergene aus: "Aus Sicht der Autoren sollten zugelassene Allergenpräparate mit dokumentierter Wirksamkeit und Sicherheit oder im Rahmen der TAV verkehrsfähige Präparate, die bereits in klinischen Studien nach World-Allergy-Organization (WAO)- oder EMA- Standards eine Wirksamkeit und Sicherheit dokumentiert haben, bevorzugt eingesetzt werden." (Allergo J Int 2014; 23: 283).

Die Rechtsprechung zeigt, dass es für die Erstattungsfähigkeit nicht stets auf eine förmliche Zulassung ankommt, sondern die Einhaltung erforderlicher Mindeststandards auch anhand anderer Kriterien feststellbar sein kann (vgl. Engelke/Seubert, MedR 2020, 546-550, mwN). Dies muss erst recht für solche Arzneimittel gelten, die von der Zulassungspflicht ausgenommen und gleichwohl verkehrsfähig sind. Anders als beim Off-Label-Use werden die Therapieallergene gerade innerhalb ihres eigenen Indikationsgebietes angewendet und unterliegen bereits während der Übergangsphase eigenen aussagekräftigen Prüfungen. Die verkehrsfähigen Therapieallergene sind damit auf ihre Sicherheit, Wirksamkeit und Qualität geprüft und genügen den Anforderungen an eine Erstattungsfähigkeit.

Angesichts der geschilderten Sachlage ist der von Ihnen angestoßene Massenregress rechtswidrig und muss umgehend zurückgenommen werden.

Eine Begründung mit Bezug auf interne, nicht-öffentliche Schreiben von Kassenärztlicher Bundesvereinigung und GKV-Spitzenverband, wie in ersten Stellungnahmen von Ihrer Seite geltend gemacht, ist darüber hinaus haltlos und abzulehnen. Die Forderungen betreffen Verordnungen des Jahres 2020, für das es noch keine Empfehlung der KBV bzw. den Kassenärztlichen Vereinigungen und den Krankenkassen für den Einsatz von zugelassenen Therapieallergenen gegeben hat. Zudem ist ein interner, nicht-öffentlicher Schriftwechsel in keiner Weise einer verbindlichen Vorgabe gleichzusetzen.

Abgesehen von der enormen Verunsicherung und dem großen individuellen Ärger, den Sie mit Ihrem Vorgehen bei den allergologisch tätigen Ärztinnen und Ärzten verursacht haben, ist ein immenser Kollateralschaden für die allergologische Versorgung der Patientinnen und Patienten entstanden. Es steht zu befürchten, dass die sich nun mit Regressforderungen konfrontiert sehenden Kolleginnen und Kollegen in Zukunft keine Hyposensibilisierungen mehr durchführen werden. Hinsichtlich der ohnehin sehr großen Zahl an unbehandelten Allergiepatienten in Deutschland ist davon auszugehen, dass Ihr Vorgehen das bestehende Versorgungsdefizit noch vergrößern wird.

Das vorliegende Schreiben wurde in Form eines Offenen Briefs veröffentlicht.

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