Ist Pornografie schädlich für Minderjährige? Kann der regelmäßige Konsum sexuelle Gewalt fördern? Dazu hat sich Dr. Marc Jan Eumann, Vorsitzender der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM), mit der Diplom-Psychologin Tabea Freitag von der return Fachstelle Mediensucht in Hannover ausgetauscht: Link  

Pornografie ist im Internet grenzen- und schrankenlos verfügbar – auch für Jugendliche und selbst für Kinder sind pornografische Inhalte ohne Weiteres abrufbar. Eine Studie der Universitäten Hohenheim und Münster hat beispielsweise gezeigt, dass damals 14- bis 15-Jährige beim Erstkontakt mit Internet-Pornografie im Durchschnitt 12,7 Jahre alt waren (1). Die KIM-Studie 2020 belegt, dass es vor allem sexualisierte Inhalte sind, die von Kindern als unangenehm im Netz wahrgenommen werden (2). Tabea Freitag bezeichnet das als „eine Art von sexuellem Missbrauch“.

Der Konsum von Online-Pornografie verletze die Grenzen und das Schamgefühl von Kindern, so Freitag, die sich seit vielen Jahren mit den Auswirkungen von Online-Pornografie auf Kinder und Jugendliche beschäftigt. Und das habe Folgen. Kinder, die die schützende Grenze zwischen privat und öffentlich nicht mehr wahrnehmen können, fordern laut Freitag zum Beispiel andere häufiger dazu auf, ihnen Nacktbilder zu schicken (3).

Gewalt an Frauen wird normalisiert

Tabea Freitag, Diplom-Psychologin: „Diese Bilder brennen sich ein in einem Alter, in dem noch keine eigenen Erfahrungen bestehen und prägen die sexuelle Lerngeschichte. Wir würden Kinder ja auch nicht allein ins Rotlichtmilieu laufen lassen, aber wir lassen sie quasi ungeschützt in die Keller der SM-Pornografie gehen. Wir nehmen ihnen damit ganz viel von ihrer eigenen Entdeckungsreise zu einem Thema, bei dem sie ein Recht haben, das später in einer Beziehung selber zu erfahren. Dazu kommt, dass ein Großteil der Mainstream-Pornografie Gewalt an Frauen enthält und die Botschaft transportiert, das sei normal und die würden das auch selbst wollen. So werden vielfach sexuelle Gewalt und Grenzverletzungen normalisiert.“

Dr. Marc Jan Eumann, Vorsitzender der KJM: „Kinder haben ein Recht auf eine pornofreie Kindheit! Kinder müssen vor Inhalten geschützt werden, die sie nicht verarbeiten können. Das zeigt uns die Wissenschaft, das sehen die deutschen Gesetzgeber*innen so und das schreibt uns die UN-Kinderrechtskonvention ins Aufgabenbuch.“

Porno-Konsum beeinflusst sexuelle Einstellungen

Wissenschaftler*innen fanden heraus, dass knapp 90 Prozent der analysierten Pornos physische Gewalt enthielten. Bei circa 50 Prozent konnten die Forschenden verbale Gewalt ausmachen (4).      
Das hat Auswirkungen: So zeigen zahlreiche Studien (5), dass es einen direkten Zusammenhang zwischen Porno-Konsum bei Minderjährigen und missbräuchlichem Verhalten gegenüber Frauen gibt. Regelmäßiger Konsum korreliert zudem mit den sexuellen Einstellungen und Verhaltensweisen von Jugendlichen. Es können beispielsweise unrealistische Erwartungshaltungen an Sex und Beziehungen entstehen.

Dr. Marc Jan Eumann: „Es geht uns um den Schutz von Kindern und Jugendlichen. Jedem Erwachsenen steht es frei, Pornos zu konsumieren. Umfragen zeigen, dass mittlerweile aber auch 10-Jährige dies tun. Es ist unser Auftrag sicherzustellen, dass junge Menschen nicht mit Gewalt gegenüber Frauen in Kontakt kommen. Denn diese Inhalte können verstören und auch langfristig ihre Einstellungen und ihr Verhalten negativ beeinflussen.“

Medienkompetenz reicht nicht aus

Medienkompetenz allein, so die Expertin, sei dabei nicht ausreichend. Tabea Freitag: „Medienkompetenz ist im besten Fall eine kritische Auseinandersetzung mit Inhalten, dazu sind Kinder noch nicht in der Lage, haben noch nicht den Entwicklungsstand. Weil Sexualität noch kein Thema ist, das sie wirklich begreifen können. Auch wirken Bilder grundsätzlich stärker als Worte. Erst recht, wenn es um stark erregende, emotionale Bilder wie Pornografie geht.“

Selbst vielen Jugendlichen und Erwachsenen falle es schwer, zu diesen Inhalten eine kognitive Distanz herzustellen. Nachweislich haben sie das Potenzial, sexuelle Gewalt zu fördern und Suchtverhalten in Gang zu setzen.

Tabea Freitag: „Was selbst bei Jugendlichen und Erwachsenen oft nicht möglich ist, das können wir erst recht nicht bei Kindern voraussetzen. Trotzdem ist es wichtig, mit ihnen über solche Inhalte zu sprechen und sie nicht allein zu lassen. Aber wir dürfen die Verantwortung nicht auf die Kinder abschieben nach dem Motto, mit ein bisschen Medienkompetenz geht das schon.“

Da viele Porno-Anbieter*innen sich nicht an die Gesetzeslage halten, haben die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) und die Landesanstalt für Medien NRW (LFM NRW) eine Reihe von Verfahren gegen vier große Anbieter*innen angestrengt. Ziel: Die Seiten halten sich an deutsche Gesetze und schützen Kinder und Jugendliche durch eine wirksame Altersprüfung vor gefährdenden Inhalten.

Nachweise:
(1) Thorsten Quandt & Jens Vogelgesang, „Jugend, Internet und Pornografie: Eine repräsentative Befragungsstudie zu individuellen und sozialen Kontexten der Nutzung sexuell expliziter Inhalte im Jugendalter“, in: Patrick Rössler/Constanze Rossmann (Hrsg.): „Kumulierte Evidenzen. Replikationsstudien in der empirischen Kommunikationsforschung“, Springer VS 2018: 91-118.
(2) Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest, c/o Landesanstalt für Kommunikation (LFK), „KIM-Studie 2020: Kinder, Internet, Medien – Basisuntersuchung zur Mediennutzung 6- bis 13-Jähriger“
(3) Stanley N, Barter C, Wood M, Aghtaie, N, Larkins C, Lanau A, Överlien C (2016) Pornography, Sexual Coercion and Abuse and Sexting in Young People’s Intimate Relationships: A European Study. Journal of Interpersonal Violence 1-26.
(4) Ana J. Bridges et al., “Aggression and Sexual Behavior in Best-Selling Pornography Videos: A Content Analysis Update”, Violence against Women 16, no. 10 (2010): 1065-1085.
(5) Owens, Eric W., et al. “The Impact of Internet Pornography on Adolescents: A Review of the Research.” Sexual Addiction & Compulsivity 19 (2012): 1-24.

Die Kommission für Jugendmedienschutz ist ein Organ der Landesmedienanstalten und ein Expertengremium aus Vertreter *innen von Bund, Ländern und Landesmedienanstalten. In Deutschland ist die KJM die zentrale Aufsichtsstelle für den Jugendschutz im privaten Rundfunk und Internet.
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