Die NRV begrüßt den Vorstoß von www.Freiheitsfonds.de, die Vollstreckung sinnloser Ersatzfreiheitsstrafen öffentlichkeitswirksam durch Zahlung der ausstehenden Geldstrafen abzuwenden. Auf Dauer kann es dabei aber nicht bleiben. Vielmehr ist es höchste Zeit, dass die neue Bundesregierung die Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs ohne Fahrschein entkriminalisiert. Alle Argumente sprechen dafür:

  • Viele der wegen § 265 a StGB zu Geldstrafen Verurteilten konnten den Fahrschein aus Armutsgründen nicht bezahlen. Diese Personen zu Geldstrafen zu verurteilen, die sie ebenfalls nicht zahlen können, und sie dann als Ersatzvollstreckung einzusperren, ist eine echte Armutsbestrafung und eines sozialen Rechtsstaats unwürdig.
  • Die Durchführung der zugrundeliegenden Strafverfahren und erst recht die Vollstreckung dieser sinnlosen und unwürdigen Ersatzfreiheitsstrafen dürfte zudem den Staat mehr Geld kosten, als den Verkehrsbetrieben durch das Schwarzfahren entgeht.
  • § 265 a StGB ermöglicht es den Verkehrsbetrieben, auf staatliche Kosten und unter erheblicher Einsparung von Personal ein weitgehend kontrollfreies Zugangssystem zu den Verkehrsmitteln zu etablieren. Das ist nicht die Aufgabe des Strafrechts.
  • Stattdessen sollte das Geld der öffentlichen Hand in Sozialtickets für Beziehende von Grundsicherungsleistungen investiert werden, solange die Kostenfreiheit des ÖPNV politisch noch nicht umsetzbar ist.
  • Jedenfalls muss eine Mindestschadensgrenze vorgesehen werden, unterhalb derer das Schwarzfahren allenfalls als Ordnungswidrigkeit anzusehen ist. Dies gebietet schon die Gleichbehandlung mit Parkverstößen, die hinsichtlich des der Allgemeinheit entstehenden Schadens von ähnlichem Umfang sind, die allerdings häufig zudem mit einem erhöhten Gefährdungspotential einhergehen.
  •  Außerdem sollte bundesgesetzlich der Anspruch eingeführt werden, eine Geldstrafe gemeinnützig abzuarbeiten. Eine solche Möglichkeit ist zwar bereits in nahezu allen Bundesländern vorgesehen (Rechtsgrundlage derzeit: Art. 293 EGStGB), wird aber sehr uneinheitlich gehandhabt. Die Möglichkeit, die verwirkte Strafe abzuarbeiten, bietet zudem die Chance, Arbeit als praktische Resozialisierung zu erfahren.
  • Weiter sollten die Möglichkeiten der Richter*innen erweitert werden, Verurteilten geeignete Angebote zur Bearbeitung von Ursachen „ihrer“ Straffälligkeit(z.B. verschiedene Therapie- und Beratungsangebote ähnlich den Einwirkungsmöglichkeiten im Jugendrecht) zu unterbreiten, statt nur durch die Zufügung eines Strafübels zu einer Verschärfung ihrer oft prekären Situation beizutragen.
    Hier bietet es sich auch an, die Zulässigkeit der Verwarnung mit Strafvorbehalt noch einmal auszuweiten, vor allem aber, den Katalog der in diesem Zusammenhang möglichen Weisungen (§ 59 a Abs. 2 StGB) zu erweitern.

Die NRV appelliert vor diesem Hintergrund an die neue Bundesregierung und insbesondere an den neuen Justizminister, dem Koalitionsvertrag entsprechend das Strafrecht nur als Ultima Ratio anzuwenden: Das Fahren ohne Fahrschein hat im Strafrecht nichts verloren.

Für die Fachgruppe Strafrecht: Ulf Thiele
Für den Bundesvorstand: Dr. Malte Engeler

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