Inwieweit das gelungen ist, war das zentrale Thema der diesjährigen AOK-Selbsthilfe-Fachtagung am 10. Dezember in Berlin. Unter dem Motto "Selbsthilfe nach dem Corona-Lockdown – Upgrade auf ein neues Level" drehte sich alles um die zentrale Frage, welchen Wandel – digital, aber auch in der Präsenz – die Corona-Pandemie in der Selbsthilfe ausgelöst hat. Dass ausgerechnet bei diesem Thema die Tagung aufgrund der vierten Pandemiewelle trotz ursprünglich anderer Planung nur virtuell stattfinden konnte, passte irgendwie gut ins Bild.
Bewundernswerter Einsatz
"Der Einsatz der Selbsthilfe während der Coronapandemie, von der regionalen Gruppe bis zum bundesweiten Dachverband, ist bewundernswert. Trotz aller Kontaktbeschränkungen haben Sie nicht aufgegeben." Mit diesen Worten eröffnete Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes, die Tagung. Der scheidende AOK-Chef versprach, dass auch unter seiner Nachfolgerin Dr. Carola Reimann der AOK-Bundesverband die gute Zusammenarbeit und den Austausch mit der Selbsthilfe pflegen, sich bei den gesundheitspolitischen Entscheidungsprozessen für die Belange der Selbsthilfe einsetzen und vor allem immer ein greifbarer verlässlicher Partner für die Betroffenen bleiben werde.
Claudia Schick, Selbsthilfereferentin beim AOK-Bundesverband, machte in ihrem anschließenden Grußwort auf die erstaunliche Entwicklung der letzten beiden Jahre aufmerksam: "Hätte mir jemand auf unserer Selbsthilfetagung vor drei Jahren zum Thema ‚Digitalisierung der Selbsthilfe‘ gesagt, dass es normal sein wird, dass sich Selbsthilfegruppen in digitalen Räumen treffen, Seminare oder Workshops per Zoom stattfinden und Beschlüsse auf Mitgliederversammlungen virtuell abgestimmt und verabschiedet werden – ich hätte ihn erstaunt angeschaut und ihn für seinen umwerfenden Optimismus bewundert." Der unbedingte Wille, die ehrenamtliche Arbeit fortzuführen und mit vielen kreativen Ideen den Kontakt untereinander aufrecht zu erhalten führte bei Schick zu der Einsicht: "Über Ärzte und Pflegekräfte müssen wir natürlich gar nicht erst reden – aber für mich sind auch die Selbsthilfeaktiven irgendwie Superhelden der Pandemie. Selbsthilfe gibt nicht auf. Selbsthilfe weiß was sie will."
Chancen der Digitalisierung für Selbsthilfe
Welche Chancen die Digitalisierung der Selbsthilfe ganz generell bietet, aber auch welche Risiken mit ihr verbunden sind, konnte der Sozialforscher Dr. Christopher Kofahl mit Zahlen untermauern. In seinem Vortrag stellte der stellvertretende Leiter des Instituts für Medizinische Soziologie (IMS) am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf die Ergebnisse der DISH-Studie (Digitalisierung in der Selbsthilfe) vor. Die Befragung von 119 Selbsthilfeorganisationen (SHO) unmittelbar vor dem Start der Pandemie ergab beispielsweise, dass acht von zehn SHOs digitale Angebote als Möglichkeit sehen, neue Mitglieder für die Selbsthilfearbeit zu gewinnen. 93 Prozent der Befragten gaben an, dass sie über digitale Kanäle die Öffentlichkeit besser über ihre Arbeit informieren können. Und 77 Prozent der befragten Organisationen waren der Meinung, durch Digitalisierung Zeit und Geld sparen zu können, etwa in den Bereichen Reisen oder Korrespondenz. Doch auch über die Kehrseiten der innovativen Technik berichtete der Sozialwissenschaftler. So hätten viele Gruppen massive Probleme, ihre Arbeit an die Anforderungen der Datenschutzgrundverordnung anzupassen. Aufgrund einer zunehmenden Digitalisierung hätten viele Selbsthilfegruppen auch Mitglieder verloren oder sich in seltenen Fällen ganz aufgelöst. Auf der anderen Seite sorge ein zunehmendes Angebot von digitalen Formaten dafür, dass neue, vor allem jüngere Menschen, in die Selbsthilfe finden. Daher, so Kofahl, habe die Digitalisierung eben doch nicht die einst befürchtete disruptive – also die klassischen Selbsthilfe-Aktivitäten verdrängende – Wirkung. Sein Fazit war eindeutig: "Die Chancen der Digitalisierung überwiegen die Risiken, das ist für mich ganz klar."
Zu Beginn der Pandemie extrem verunsichert
Über dramatische Zustände in der Bonner Geschäftsstelle des Mukoviszidose e. V. berichtete Winfried Klümpen. Da die Mukoviszidose eine Lungenerkrankung ist, seien die Betroffenen zu Beginn der Pandemie extrem verunsichert gewesen, so der Sprecher der Geschäftsführung und Leiter des Fachbereichs Hilfe zur Selbsthilfe und Vereinsangelegenheiten. "Was passiert, wenn ich Covid-19-positiv bin – muss ich dann sterben? Kann ich jetzt mein Kind überhaupt noch in die Schule schicken? Was mache ich, wenn ich als Betroffener in dieser Situation nicht mehr arbeiten darf oder will? Mit Fragen wie diesen wurden wir in den ersten Pandemiewochen täglich über viele Stunden überrollt", erzählt Klümpen. Sein Verein reagierte mit Fakten, gründete eine Corona-Task-Force, die sich laufend auf den neuesten Stand brachte. Eine Info-Hotline für die Mitglieder sorgte dafür, dass alle Fragen beantwortet wurden, soweit man sie beantworten konnte. Auf der Website veröffentlichte der Verein die Antworten auf häufig gestellte Fragen. Neben vielen weiteren neuen Angeboten schuf der Verein für finanzielle Härtefälle zudem einen Corona-Hilfsfonds, um schnell und unbürokratisch helfen zu können. Seit kurzem bietet der Verein auch eine psychologische Beratung für Menschen in einer akuten Lebenskrise an.
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