Die Arbeitgeber im öffentlichen Dienst der Länder wollen Verschlechterungen bei der Eingruppierung durchsetzen. „Nicht mit uns!“, machte der dbb in einer bundesweiten Aktion klar.

Mehr als tausend Beschäftigte des öffentlichen Dienstes der Länder haben die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) im Rahmen einer bundesweiten Aktion eindringlich davor gewarnt, die laufende Einkommensrunde zu einer Negativrunde zu machen. In den Landeshauptstädten zwischen Kiel und München gingen am 28. Oktober 2021 Prozentläuferinnen und Prozentläufer auf die Straße und protestierten gegen die Pläne der Arbeitgeberseite, mit Veränderungen von Parametern beim so genannten Arbeitsvorgang eine deutliche Verschlechterung geltender Eingruppierungsregelungen durchzusetzen.

„Die TdL hat zwar immer noch kein Angebot vorgelegt, fordert aber von den Gewerkschaften, ihre Zustimmung zu massiven Verschlechterungen bei der Eingruppierung zu geben. Im Angesicht von sich immer deutlicher abzeichnenden Problemen, Fachkräfte für den öffentlichen Dienst zu gewinnen, ist das ein völlig irrsinniger Plan“, kritisierte dbb Chef Ulrich Silberbach in Berlin vor der Bundesgeschäftsstelle der TdL. „Das zeigt, dass die Arbeitgeber die Einkommensrunde nicht zur Verbesserung der Attraktivität des öffentlichen Dienstes nutzen will. Wer nur Drohungen statt Angebote präsentiert, dem geht es nicht um Wertschätzung und die Anerkennung von Leistung, sondern einzig darum, beim Personal zu sparen“, sagte Silberbach, der die Verhandlungen für den dbb führt. Synnöve Nüchter, stellvertretende Vorsitzende des dbb berlin, erinnerte: „Nach zwei Jahren Krisenbewältigung mit unvorhersehbarem Ausgang erwarten wir echte Anerkennung für die Arbeit der Beschäftigten im Landesdienst. Jetzt ist es an den Arbeitgebenden, Wertschätzung spürbar umzusetzen, indem sie die Einkommen aufstocken – und zwar deutlich.“

Vor dem Landesfinanzministerium in Hannover schilderte dbb Tarifchef Volker Geyer, wie die TdL in den letzten Jahren versuchte, die Gewerkschaften unter Druck zu setzen: „Die TdL hat einfach das Verhandeln eingestellt. Wir haben keine dringend notwendige Tarifpflege betrieben, die Entgeltordnung für Lehrkräfte wurde nicht weiterentwickelt und jeder Versuch von Gewerkschaftsseite, mit Hilfe der Tarifpolitik die Personalprobleme des öffentlichen Dienstes zu mildern, wurde abgelehnt.“ In Hannover ist Reinhold Hilbers Finanzminister. Als TdL-Chef verantworte er die Blockadehaltung der Arbeitgeberseite maßgeblich, so Geyer. Alexander Zimbehl, Vorsitzender des Niedersächsischen Beamtenbundes, warnte: „Wir erfahren in der täglichen Arbeit in allen Bereichen ein deutliches Plus an Aufgaben. Zudem soll in den nächsten Jahren ein erheblich erweiterter Online-Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen angeboten werden. Diesem ohne zusätzliche Personalausgaben zu begegnen, wird schlicht nicht möglich sein. Die Bürgerinnen und Bürger des Landes haben das Recht auf verlässliche und hochwertige öffentliche Dienstleistungen. Dieser Standard ist jedoch schon heute vielfach nicht mehr zu halten. Die Menschen spüren zunehmend, unter welchen Belastungen die Kolleginnen und Kollegen arbeiten müssen, die Bearbeitung etwa von Einkommensteuererklärungen oder Bauanträgen verzögert sich immer weiter. Das kann eine Gesellschaft so nicht hinnehmen.“

Die Veranstaltung mit den meisten Teilnehmenden fand in Hamburg vor der Tür von TdL-Vize Andreas Dressel, Finanzsenator der Hansestadt, statt. Vor rund 1.000 Demonstrierenden warf dbb Vize Friedhelm Schäfer der TdL vor, „gerne Nebelkerzen zu werfen, um von den eigentlichen Aufgaben abzulenken. Denn natürlich kostet eine anständige Einkommenserhöhung auch anständig Geld. Und natürlich wird es noch mehr, wenn die Länder die zeitgleiche und systemgerechte Übertragung des Tarifabschlusses auf den Beamtenbereich umsetzen. Aber oft genug tun sie das nicht, sondern sind sich nicht zu schade, bei den Beamtinnen und Beamten ihre Kassen wieder aufzufüllen. Allen muss klar sein, dass hochwertige Dienstleistungen, die Lehrkräfte, die Polizei, die Verwaltung, die Kolleginnen und Kollegen in den Finanzämtern, die Beschäftigten in den Unikliniken und alle anderen Beschäftigten im Landesdienst erbringen, auch Geld kosten.“ Hamburgs dbb Vorsitzender Rudolf Klüver kritisierte die Ignoranz der Arbeitgeberseite: „Dass die Inflationsrate derzeit bei über vier Prozent liegt, ist für die TdL überhaupt kein Thema – ebenso wie die Tatsache, dass der öffentliche Dienst auf Grund der demografischen Entwicklung in den nächsten Jahren dringend neue Fachkräfte braucht und die ewige Verweigerungshaltung von vorgestern ist“, ärgerte sich Klüver. Liv Grolik, stellvertretende Vorsitzende der dbb jugend, griff das auf und betonte: „Die Retro-Haltung der Arbeitgeberseite bringt uns keinen Schritt weiter. Diese Einstellung kommt bei jungen Menschen überhaupt nicht gut an – die gehen dann ganz einfach woanders arbeiten, wo man ihnen bessere Konditionen anbietet und Wertschätzung lebt.“

„Den öffentlichen Dienst gibt es nicht zum Nulltarif", bekräftigte Schleswig-Holsteins dbb Chef Kai Tellkamp beim Prozentlauf in der Kieler Beamtenlaufbahn. „Die Kolleginnen und Kollegen sind es leid, über Jahre und Jahrzehnte immer wieder als Manövriermasse zur Haushaltssanierung herangezogen zu werden. Ideelle Anerkennung und Applaus vom Balkon sind schön und gut, aber damit kann man weder im Supermarkt noch an der Tankstelle die Rechnung bezahlen.“

Im benachbarten Mecklenburg-Vorpommern unterstützten dbb Landeschef Dietmar Knecht und Karoline Herrmann, Vorsitzende der dbb jugend und Mitglied der dbb Bundesleitung, die Proteste in Schwerin. „Die neue Landesregierung steht nach dem Willen der Koalitionäre für eine starke und zukunftsfeste Verwaltung, das kann sie mit einem deutlichen Signal der Wertschätzung jetzt in dieser Einkommensrunde beweisen. Alles andere wäre ein Armutszeugnis gleich zu Beginn einer neuen Legislaturperiode“, sagte Knecht. Herrmann ergänzte: „Der öffentliche Dienst muss massiv Nachwuchs für den Staatsdienst gewinnen. Das funktioniert nur mit attraktiven Konditionen und einer Kultur der Fairness und Anerkennung.“

In Potsdam feuerte dbb Landesvorsitzender Ralf Roggenbuck die Prozentläufer an und warnte vor den Folgen des zunehmenden Personalmangels im öffentlichen Dienst: „Der öffentliche Dienst sichert Teilhabe und Partizipation, insbesondere im ländlichen Raum. Wenn sich bei Bürgerinnen und Bürger der Eindruck verfestigt, dass sich der Staat immer weiter zurückzieht und immer weniger für sie da ist, hat das gravierende Konsequenzen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Akzeptanz für politische Entscheidungen.“

Wolfgang Ladebeck, dbb Chef in Sachsen-Anhalt, begleitete den Prozentlauf in Magdeburg. „Gerade in den schwierigen letzten Zeiten haben die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes gezeigt, das auf sie Verlass ist. Trotz vieler Widrigkeiten haben sie einen großartigen Job gemacht und staatliches Handeln auch in Pandemiezeiten weitgehend ermöglicht. Ohne sie wären wir nicht so gut durch die Pandemie gekommen. Allein vor diesem Hintergrund sind

5 Prozent mehr Einkommen absolut angebracht und würden zudem einen Beitrag für einen attraktiven öffentlichen Dienst leisten.“

In Dresden betonte Nannette Seidler, Vorsitzende des SBB Beamtenbund und Tarifunion Sachsen, „dass wir die großen Zukunftsaufgaben, die in Sachen Digitalisierung, Klimawandel, innere Sicherheit und soziale Sicherung auf uns zukommen, nur mit einem funktionierenden öffentlichen Dienst bewältigen werden. Den wiederum gibt es nur mit motivierten und gut qualifizierten Beschäftigten, die anständig bezahlt und behandelt werden, das muss allen Beteiligten klar sein.“

Frank Schönborn, Vorsitzender des tbb beamtenbund und tarifunion thüringen, ließ dem Ärger über die Arbeitgeber in Erfurt freien Lauf: „Die TdL will die Konfrontation! Sie blockiert von Anfang an, stellt unmögliche Forderungen und will Geld sparen an allen Kolleginnen und Kollegen des öffentlichen Dienstes! Wir werden aber nicht hinnehmen, dass die Beschäftigten die erkämpfte lineare Erhöhung am Ende selbst bezahlen“, machte der Marathonläufer beim Durchbruch der symbolischen Tarifmauer unmissverständlich klar.

In Düsseldorf erklärte der Vorsitzende des DBB NRW Beamtenbund und Tarifunion Roland Staude vor dem Landtag: „Wer meint, Attraktivitätssteigerungen im öffentlichen Dienst könnten kostenneutral erfolgen, ist komplett auf dem Holzweg. Das ist schlicht unmöglich. Allein die katastrophale Leerstellensituation im nordrhein-westfälischen Landesdienst belegt, dass es dem Staat nach wie vor nur unzureichend gelingt, sich als Arbeitgeber gegen die Konkurrenz der Privatwirtschaft im Kampf um die besten Köpfe durchzusetzen.“

dbb Landesvorsitzende Lilli Lenz betonte beim Prozentlauf in Mainz mit Verweis auf die hohe Einsatzbereitschaft der Landesbeschäftigten im Pandemie- und Katastrophenmanagement, „dass sich die Kolleginnen und Kollegen eine angemessene Tarifentgelterhöhung und Besoldungsanpassung verdient haben. Gleichzeitig erhalten Nachwuchsgewinnung und Fachkräftesicherung im öffentlichen Dienst nur dann den absolut erforderlichen Rückenwind, wenn hier fair bezahlt wird.“

Mehr als „Lippenbekenntnisse“ forderte der saarländische dbb Chef Ewald Linn in Saarbrücken im Beisein von Finanzminister Peter Strobel. „Die Beschäftigten mussten in den letzten elf Jahren wegen der Umsetzung der Schuldenbremse auf Vieles verzichten. Sie brauchen jetzt ein deutliches Signal der Wertschätzung, das sich auch im Portemonnaie bemerkbar macht, und eine Arbeitgeberseite, die nicht blockiert, sondern anerkennt, wie wichtig gut qualifizierte und engagierte Beschäftigte im öffentlichen Dienst sind.“

Die öffentlichen Arbeitgeber müssten endlich begreifen, dass das Personal nicht teuerste, sondern die wertvollste Ressource eines Unternehmens gleich welcher Art sei, unterstrich Kai Rosenberger, Vorsitzender des BBW Beamtenbund und Tarifunion auf dem Stuttgarter Schlossplatz. „Eine gute Verwaltung hat zwar ihren Preis, aber vor allem auch ihren Wert, und ihren Wert für Staat und Gesellschaft stellen die Kolleginnen und Kollegen insbesondere in diesen Corona-Zeiten deutlich und tagtäglich unter Beweis“, so der baden-württembergische Landeschef.

Beim Münchener Protestlauf verwies Rainer Nachtigall, Vorsitzender des Bayerischen Beamtenbundes, auf die fundamentale Rolle des öffentlichen Dienstes: „Wir wollen einen leistungsfähigen und kompetenten öffentlichen Dienst, der als Fundament unser Staatswesen träg. Dann müssen wir auch Beschäftigungsbedingungen schaffen, die ihn für Arbeitskräfte attraktiv machen“, so der BBB Vorsitzende. „Wir brauchen Löhne im öffentlichen Dienst, die uns konkurrenzfähig machen“, forderte Nachtigall. Die aktuelle Inflation verleihe der Forderung der Gewerkschaften zusätzlich Nachdruck, betonte er weiter.

In Hessen fand kein Prozentlauf statt – dort hatten sich Gewerkschaften und Land bereits am 15. Oktober 2021 auf einen Kompromiss geeinigt, der die Zukunftsfähigkeit des öffentlichen Dienstes sichert und als Wertschätzung für die hessischen Landesbeschäftigten angesehen werden kann. Hessen ist nicht Mitglied der TdL, so dass die Einkommens- und Beschäftigungsbedingungen der dortigen Landesbediensteten jeweils gesondert verhandelt werden.

Hintergrund

Die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes fordern für die Beschäftigten der Länder unter anderem eine Erhöhung der Tabellenentgelte der Beschäftigten um 5 Prozent, mindestens um 150 Euro monatlich (im Gesundheitswesen mindestens 300 Euro) sowie eine Erhöhung der Azubi-/Studierenden/Praktikantinnen/Praktikanten-Entgelte um 100 Euro. Von den Verhandlungen betroffen sind etwa 3,5 Millionen Beschäftigte: Direkt ca. 1,1 Millionen Tarifbeschäftigte der Bundesländer (außer Hessen), indirekt ca. 1,4 Millionen Beamtinnen und Beamte der entsprechenden Länder und Kommunen sowie rund eine Million Versorgungsempfängerinnen und Versorgungsempfänger. Die zweite und dritte Verhandlungsrunde finden am 1./2. November 2021 und am 27./28. November 2021 in Potsdam statt.

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