Nur wenige Frauen haben Medikationsplan
Laut Arzneimittelreport dürften rund 30 Prozent der Frauen vor einer Schwangerschaft regelmäßig Arzneimittel einnehmen. Allerdings besitzt offenbar nur eine kleine Minderheit einen Medikationsplan. Das legt eine vertiefende Umfrage für den Arzneimittelreport nahe. Befragt wurden dabei knapp 1.300 BARMER-Versicherte, die im vergangenen Jahr entbunden haben. „Der Schutz des ungeborenen Kindes muss schon vor der Schwangerschaft beginnen. Dazu sollte die Gesamtmedikation junger Frauen grundsätzlich auf kindsschädigende Risiken geprüft werden. In der Schwangerschaft kommt ein Medikamenten-Check zu spät, um das ungeborene Kind vor Schäden zu schützen“, sagte der Autor des Arzneimittelreports, Prof. Dr. med. Daniel Grandt, Chefarzt am Klinikum Saarbrücken. Nun seien nicht alle riskanten Wirkstoffe im selben Maße gefährlich. Es gebe aber starke Teratogene, die das Risiko für grobe Fehlbildungen des Embryos verzehnfachten. Das hieße, bis zu 30 Prozent der ungeborenen exponierten Kinder könnten eine Schädigung erleiden. Dennoch hätten im Jahr 2018 mehr als 11.000 BARMER-versicherte Frauen im gebärfähigen Alter ein starkes Teratogen verordnet bekommen, und auch während der Schwangerschaft habe es Einzelfälle gegeben. „Die behandelnden Ärztinnen und Ärzte passen die Arzneimitteltherapie an die Schwangerschaft zwar sehr wohl an. Das belegen die zurückgehenden Verordnungszahlen von Teratogenen. Allerdings liegen die Absetzquoten bei den besonders kritischen Präparaten lediglich zwischen 31 und 60 Prozent. Das ist viel zu wenig“, sagte Grandt. Gerade der Einsatz stark fruchtschädigender Arzneimittel sei in keinem Fall vertretbar, wenn es gleichwertige und sicherere Alternativen gebe.
Teratogen-Einsatz muss in Frühschwangerschaft „never event“ werden
Wie aus dem Arzneimittelreport weiter hervorgeht, bekommen Frauen auch im späteren Verlauf der Schwangerschaft Arzneimittel mit Risiken der Schädigung des ungeborenen Kindes verordnet. Demnach traf dies auf 1.210 BARMER-versicherte Frauen mit Entbindung im Jahr 2018 zu. „Zu einem späten Zeitpunkt der Schwangerschaft sind solche Arzneimittel im Einzelfall eventuell akzeptabel, weil die Gefahr für Missbildungen und Schädigungen des Kindes dann etwas geringer ist. Deren Verabreichung muss dann aber zwingend im Medikationsplan stehen“, forderte Grandt. Für einen bestmöglichen Schutz sei ein weiterer Schritt erforderlich. In Großbritannien etwa gelte das Verschreiben eines teratogenen Arzneimittels in der Schwangerschaft als „never event“. Das seien Ereignisse, die grundsätzlich vermeidbar seien und solche katastrophalen Konsequenzen hätten, dass sie nie auftreten dürften. „In Deutschland muss die Verordnung teratogener Arzneimittel ebenfalls zum ,never event‘ werden, zumindest in der Frühschwangerschaft“, sagte BARMER-Vorstandschef Straub.
BARMER-Projekte sollen kindsschädigende Verordnungen reduzieren
Die BARMER treibe mehrere Innovationsfondsprojekte voran, bei denen es auch darum gehe, dass riskante Verordnungen bei Schwangeren zu „never events“ würden, so Straub. Das neueste geplante Projekt eRIKA solle etwa dafür sorgen, dass die Ärztin oder der Arzt bereits beim Ausstellen eines Rezeptes Transparenz zur Gesamtmedikation erhalte. Hier arbeite die BARMER neben Ärzteschaft und Apotheken mit der Berliner Charité zusammen. Für Frauen im gebärfähigen Alter würden die Ärztinnen und Ärzte im Rahmen von eRIKA so zum Zeitpunkt der Verordnung automatisch Hinweise auf Arzneimittel erhalten, die in der Frühschwangerschaft problematisch seien. Weiterhin könne eine patientenfokussierte digitale Anwendung bereitgestellt werden, um ergänzend Schwangeren oder Frauen, die eine Schwangerschaft planen, derartige Warnhinweise zu geben.
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