„Im Rahmen der Corona-Pandemie haben die Währungs- und Finanzbehörden weltweit beispiellose politische Unterstützungsmaßnahmen eingeleitet, um die deflationären Kräfte umzukehren und zu verhindern, dass die globale Rezession in eine Depression umschlägt,“ erklärt Sivierio. Diese reflationären Maßnahmen hätten in Kombination mit der Entwicklung und fortschreitender Verteilung von Covid-19-Impfstoffen die Voraussetzungen für das Entstehen eines reflationären Umfelds für die Weltwirtschaft im Jahr 2021 geschaffen.
Mittelfristige Erwartungen an Reflation und Inflation
Insgesamt sei die Weltwirtschaft 2020 um etwa 3,5 Prozent geschrumpft, angesichts der außerordentlichen politischen Unterstützung und der Einführung der Covid-19-Impfstoffe erwarte der IWF aber, dass sich die Weltwirtschaft 2021 um ungefähr 5,5 Prozent erholen werde. „Wenn weitere Überraschungen und größere Rückschläge ausbleiben, sollte das reflationäre Umfeld zu einem soliden Wirtschaftswachstum beitragen“, so Sivierio. In der ersten Jahreshälfte werde die Inflation aber tendenziell anwachsen, was auf höhere Energie- und Rohstoffpreise, Angebotsengpässe und einen positiven Basiseffekt zurückzuführen sei. „Wir erwarten, dass die Inflation im zweiten Quartal dieses Jahres ihren Höhepunkt erreicht“, erklärt Sivierio. „Insgesamt dürfte die Inflation jedoch langfristig gedämpft bleiben“.
Dies sei durch negative Produktionslücken, Gegenwind durch strukturelle Kräfte, wie Demografie, Globalisierung und Technologie, und ein wachsendes Ungleichgewicht zwischen Ersparnissen und Investitionen zu erklären. Da die Inflation derzeit unter dem Zielwert von zwei Prozent liege, würden die Zentralbanken der fortgeschrittenen Volkswirtschaften wahrscheinlich über vorübergehende Inflationsschübe hinwegsehen und ihre akkommodierende Politik für einen längeren Zeitraum beibehalten.
Auswirkungen auf die Finanzmärkte
„Ein reflationäres Umfeld, das durch eine zyklische Konjunkturerholung, unterstützende makroökonomische Politik und moderat steigende Preise gekennzeichnet ist, wird als positiv für Aktienmärkte und Risikoanlagen im Allgemeinen angesehen“, analysiert Sivierio. Die wichtigsten Aktienindizes seien seit den Tiefstständen im März 2020 mittlerweile um etwa 75 Prozent auf neue Höchststände gestiegen. Dies sei durch eine Liquiditätsflut der Zentralbanken und einen verbesserten Wirtschaftsausblick angetrieben worden. Auch die Wahl von Joe Biden habe die Reflationsdynamik verstärkt und dadurch „Reflation Trades“ angeheizt.
„Das birgt mit der Zeit auch Risiken für die Finanzmärkte“, analysiert Sivierio. „Die Verabschiedung des 1,9 Billionen USD schweren US-Corona-Hilfspakets hat zusammen mit der allmählichen Wiederbelebung der US-Wirtschaft zu einem Anstieg der Inflationserwartungen und einem sprunghaften Anstieg der Renditen von Staatsanleihen geführt.“ Demnach sei die Rendite 10-jähriger US-Staatsanleihen von 0,9 Prozent Ende 2020 auf 1,7 Prozent am Ende des ersten Quartals dieses Jahres gestiegen. Die europäischen Staatsanleiherenditen hätten eine ähnliche Entwicklung genommen und seien in die Nähe des Niveaus vor der Pandemie zurückgekehrt.
Höhere Renditen als eins der größten Risiken
„Höhere Renditen werden derzeit als eins der größten Risiken für die Finanzmärkte angesehen“, analysiert Sivierio. Ein anhaltender und starker Anstieg der langfristigen US-Zinsen könne die noch junge zyklische Erholung stören, die Aufwärtsbewegung des Marktes zum Entgleisen bringen und die Reflationstrades durcheinanderbringen. Das Risiko höherer US-Renditen könnte zudem auch den US-Dollar stärken und die Kapitalströme aus den Schwellenländern zurück in die USA lenken. Obwohl das reflationäre Umfeld bislang intakt sei, habe sich der Spielraum für weitere Gewinne bei Risikoanlagen verengt.
Langfristiger Ausblick
„Das reflationäre Umfeld wird die langfristigen Renditen von den geringen Niveaus des letzten Jahres allmählich nach oben treiben und für weitere Volatilität und Wellen von Marktturbulenzen sorgen“, erklärt Sivierio. „Wir gehen jedoch davon aus, dass die mit der zyklischen Erholung einhergehenden Reflationstrades noch ein Stück Weg vor sich haben.“ Dafür nennt er zwei Gründe: Erstens spiegelt der Anstieg der langfristigen Renditen eine deutliche Verbesserung der globalen Wachstumsaussichten wider. Zweitens macht die beispiellose politische Unterstützung diese Erholung auch weniger zinssensibel als frühere Zyklen.
Außerdem sei zu berücksichtigen, dass die Inflation wahrscheinlich im Rahmen bleiben wird und die Zentralbanken ihre akkommodierende Geldpolitik für einen längeren Zeitraum beibehalten werden. Auch die Renditen blieben historisch niedrig. Unternehmen hätten sich zu sehr günstigen Konditionen refinanziert und der wirtschaftliche Aufschwung werde höhere Unternehmensgewinne begünstigen.
„Jedoch sehen wir ein unterschiedliches Wachstumsbild zwischen den USA und Europa, und die Fed und die EZB verfolgen unterschiedliche Ansätze, die beide zu einer Vergrößerung des Renditeabstands zwischen US- und europäischen Staatsanleihen beitragen,“ erklärt Sivierio. Obwohl der US-Dollar im Jahr 2020 rund 11 Prozent seines Wertes verloren habe, hätten diese Entwicklungen die weitere Abschwächung der US-Währung gebremst. Unterschiedliche Wachstumsraten in den USA und Europa könnten in Kombination einer Vergrößerung des Renditeabstands diesen Trend umkehren und einige der beliebten Reflationstrades, wie Rohstoffpreise und Schwellenländerzyklus, gefährden: „Daher scheint es sicher, dass wir noch einige Zeit von Reflation und Inflation und deren Auswirkungen auf die Märkte hören werden“, so Sivierio.
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