Regionen mit hohen Netzentgelten drohen bei der Elektromobilität abgehängt zu werden. Agora Energiewende, Agora Verkehrswende und Regulatory Assistance Project empfehlen eine Ausgleichsregelung bei den Ausschreibungen für Schnellladesäulen und eine Reform der Netzentgelte.

Der Ausbau von Schnellladesäulen für Elektrofahrzeuge droht weiter in eine Schieflage zu geraten: Schnelles, leistungsstarkes Laden wird bei der Abrechnung der Kosten für den Bau und Betrieb der Stromnetze in Deutschland unverhältnismäßig stark belastet. Darauf verweisen die Thinktanks Agora Energiewende, Agora Verkehrswende und Regulatory Assistance Project (RAP) in einem gemeinsamen Diskussionspapier. In den geplanten Ausschreibungen für den Bau von Schnellladesäulen solle der Bund deshalb entweder Netze mit unterschiedlichen Kosten zusammenlegen oder die Netzkosten vorübergehend ganz beziehungsweise teilweise übernehmen. Mittelfristig empfehlen die drei Organisationen eine grundsätzliche Neuausrichtung der Netzentgelte.

„Wenn der Ausbau der Schnellladeinfrastruktur gelingen soll, muss der Bund auch die lange überfällige Reform der Netzentgelte angehen“, sagt Patrick Graichen, Direktor von Agora Energiewende. „Die derzeitige Verteilung der Netzkosten über die Netzentgelte passt nicht zu einer Welt, in der Elektrofahrzeuge in kurzer Zeit viel Strom laden. Hinzu kommt, dass die Kosten von Netz zu Netz sehr unterschiedlich ausfallen. Diese überholten Strukturen dürfen nicht darüber bestimmen, ob und wo Schnellladepunkte entstehen. Deshalb braucht es jetzt eine intensive Diskussion mit allen relevanten Akteurinnen und Akteuren.“

Ausschreibungen sollen flächendeckende Infrastruktur gewährleisten

Wie das Diskussionspapier zeigt, sind die Fixkosten für Aufbau und Betrieb von Schnellladepunkten deutlich höher als für Normalladepunkte und stark vom Standort abhängig. Die Investoren hätten sich bisher auf die wirtschaftlich attraktivsten Standorte konzentriert, vor allem entlang von Bundesfernstraßen. Im ländlichen Raum gebe es hingegen bisher nur wenig Möglichkeiten zum schnellen Laden. Mit einem Schnellladegesetz und Ausschreibungen will die Bundesregierung nun eine flächendeckende und verbraucherfreundliche Versorgung gewährleisten. Bis Ende Januar 2023 soll ein öffentliches Schnellladenetz mit 1.000 Standorten entstehen.

„Ausschreibungen sind grundsätzlich sinnvoll, um Lücken im Schnellladenetz zu vermeiden. Aber bei der Ausgestaltung dieses Instruments ist viel Fingerspitzengefühl gefragt“, sagt Jan Rosenow, Europa-Direktor von RAP. Die Ungleichgewichte bei der Verteilung der Netzkosten ließen sich in den Ausschreibungen kurzfristig nur ausgleichen, indem Regionen mit verschiedenen Netzkosten in einem Los zusammengelegt werden oder indem der Staat die Kosten vorübergehend übernimmt.

Netzkosten neu verteilen

Problematisch sei insbesondere das Leistungspreissystem bei der Erhebung der Netzentgelte: Der Leistungspreis werde auf die Spitzenleistung an der Ladesäule erhoben, selbst wenn diese Leistung nur ein einziges Mal im Jahr anfällt und das Stromnetz zu diesem Zeitpunkt engpassfrei ist. Die Höhe variiere zudem von Netz zu Netz um über 1.200 Prozent. Besonders in der Anfangsphase, wenn die Ladesäulen noch wenig genutzt werden, sei dies ein großes Hindernis.

„Bei der Ladeinfrastruktur ist es sinnvoller, die Netzkosten auf den geladenen Strom zu verlagern, mit einem durchschnittlichen Netzarbeitspreis pro Kilowattstunde. Sonst werden nur wenige in Schnellladepunkte investieren, schon gar nicht an Standorten mit besonders hohen Netzkosten“, sagt Rosenow. EU-Länder wie Italien, Portugal und Spanien könnten hier als Beispiel dienen.

„Eine gute Schnellladeinfrastruktur ist ein wichtiger Baustein für die Energiewende im Verkehr“, sagt Günter Hörmandinger, stellvertretender Direktor von Agora Verkehrswende. „Der Handlungsdruck steigt, je mehr der Absatz von E-Autos auch in Deutschland zunimmt. Es ist richtig, dass der Staat beim Ausbau der Infrastruktur in Vorleistung geht, wenn die Marktkräfte allein nicht ausreichen. Aber das kann keine Dauerlösung sein. An einer umfassenden Reform der Steuern, Abgaben und Umlagen im Energie- und Verkehrssektor führt kein Weg vorbei.“

Diskussionspapier „Ladeblockade Netzentgelte“

Das Diskussionspapier „Ladeblockade Netzentgelte. Wie Netzentgelte den Ausbau der Schnellladeinfrastruktur für Elektromobilität gefährden und was der Bund dagegen tun kann“ steht kostenlos zum Download zur Verfügung unter: www.agora-energiewende.de, www.agora-verkehrswende.de, www.raponline.org.

Über The Regulatory Assistance Project (RAP)
The Regulatory Assistance Project ist eine unabhängige, global ausgerichtete Organisation, die Regierungen und Behörden bei der Dekarbonisierung des Stromsystems unterstützt. Weiter Informationen unter www.raponline.org.

Über Agora Verkehrswende

Agora Energiewende und Agora Verkehrswende erarbeiten wissenschaftlich fundierte und politisch umsetzbare Wege, damit die Energiewende sowohl im Strom- als auch im Verkehrssektor gelingt. Die beiden Thinktanks sind gemeinsame Initiativen der Stiftung Mercator und der European Climate Foundation.

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