Prof. Dr. Tobias Heidland, Direktor des Forschungszentrums „Internationale Entwicklung“ im Institut für Weltwirtschaft, kommentiert anlässlich des zehnten Jahrestags des Kriegsbeginns in Syrien am 15. März die Lage der Kriegsflüchtlinge in der Region:

„Zehn Jahre nach Beginn des Bürgerkriegs in Syrien riskiert die EU die Migration weiterer notleidender Menschen nach Europa. Die Lage vieler Kriegsflüchtlinge, die in den Nachbarländern leben, ist dramatisch – verstärkt noch durch die Corona-Pandemie. Will die EU verhindern, dass sich mehr hilfsbedürftige Menschen auf den Weg nach Europa machen, muss sie dringend die geplanten Hilfsgelder für die Erstaufnahmeländer im Nahen Osten erhöhen.

Über 5,6 Millionen Menschen flohen aus Syrien ins Ausland, und weitere 6,6 Millionen wurden intern vertrieben. Die EU sollte die Nachbarländer Syriens, in denen die meisten Flüchtlinge leben, deutlich stärker unterstützen. Die Türkei beherbergt mit derzeit 3,6 Millionen Menschen die größte Anzahl an registrierten syrischen Flüchtlingen. Im Libanon leben etwa 1,5 Millionen. Das bedeutet, etwa jeder vierte Einwohner ist ein Flüchtling. Davon leben knapp 90 Prozent in bitterster Armut. Durch die Corona-Pandemie und die dadurch bedingte Wirtschaftskrise drohen noch mehr Menschen in die Armut abzurutschen. Die Bereitstellung von deutlich mehr Geldern durch die EU wäre ein wichtiger Schritt, um die Verantwortung für den Flüchtlingsschutz gerechter zu verteilen.

Während die EU-Mitgliedsstaaten seit Jahren über die Reform des gemeinsamen europäischen Asylsystems streiten, sind sie sich einig, dass die Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern von Migrantinnen und Migranten, den Transitländern sowie den Ländern, die Flüchtlinge beherbergen, intensiviert werden soll. Um die Weiterwanderung nach Europa zu verringern. Dies entspricht auch dem Willen der EU-Bürgerinnen und -Bürger. Unsere Forschung zeigt deutlich, dass die breite Öffentlichkeit direkte Finanzhilfen an die Erstaufnahmeländer unterstützt. Dies gilt ebenso in Ländern, deren Regierungen sich vehement gegen die Aufnahme und Versorgung von Flüchtlingen innerhalb Europas wehren.

Wie die Regierungen der europäischen Staaten wünschen sich die Bürgerinnen und Bürger, dass diese direkten Zahlungen an eine effektive Zusammenarbeit bei der Verminderung von Migrationsbewegungen gebunden sind. In diesen dualen Motiven, zugleich Solidarität zu zeigen und Migrationsbewegungen zu kontrollieren, findet sich somit Konsenspotenzial für die Zusammenarbeit ansonsten zerstrittener EU-Mitgliedsstaaten und ein starkes Mandat für alle politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger der EU, eine ausreichende Finanzierung der UNHCR-Flüchtlingsprogramme sicherzustellen.

Selbst ohne die Corona-Pandemie wäre dieser Schritt überfällig, jetzt ist er umso drängender, denn viele Flüchtlinge, die vorher in der Türkei oder im Libanon gerade so über die Runden gekommen sind, haben nun ihre Existenzgrundlage verloren.“

Zum EUI Working Paper: What asylum and refugee policies do Europeans want? Evidence from a cross-national conjoint Experiment

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