Oxfam: Menschen in Armut unterstützen, Wirtschaft demokratisieren
Berlin, 25. Januar 2021. Die Covid-19-Pandemie verschärft weltweit die soziale Ungleichheit. Während die 1.000 reichsten Menschen ihre Verluste in der Corona-Krise in nur neun Monaten wettmachten, könnte es mehr als ein Jahrzehnt dauern, bis sich die Ärmsten von den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie erholt haben. Darauf weist die Nothilfe- und Entwicklungsorganisation Oxfam in einem neuen Bericht hin, der im Vorfeld der virtuellen Veranstaltung „Davos-Agenda“ erscheint. Dem Bericht zufolge droht eine Verschärfung der wirtschaftlichen Ungleichheit in fast allen Ländern gleichzeitig – zum ersten Mal seit Beginn der Aufzeichnungen vor über einem Jahrhundert. Das liegt auch daran, dass die Wirtschaft vor allem auf Gewinnmaximierung ausgerichtet ist. Oxfam fordert stärkere Unterstützung von Menschen in Armut und die Ausrichtung der Wirtschaft am Gemeinwohl.
Für den Bericht „The Inequality Virus“ hat Oxfam 295 Ökonom*innen aus 79 Ländern befragen lassen. 87 Prozent der Wissenschaftler, darunter führende Ungleichheitsforscher wie Jeffrey Sachs, Jayati Ghosh und Gabriel Zucman, erwarten als Folge der Pandemie in ihrem Land eine "Zunahme" oder einen "starken Anstieg" der Einkommensungleichheit. Für diesen Fall prognostiziert die Weltbank, dass noch 2030 mehr Menschen in Armut leben werden als vor der Pandemie. Einige weitere Ergebnisse des Oxfam-Berichts sind:
- Die Corona-Krise ist für die Reichsten vorbei: Das Vermögen der (im Dezember 2020) zehn reichsten Männer der Welt ist seit Februar 2019 – trotz der Pandemie – um fast eine halbe Billion US-Dollar auf 1,12 Billionen US-Dollar gestiegen. Dieser Gewinn wäre mehr als ausreichend, um die gesamte Weltbevölkerung gegen Covid-19 zu impfen und sicherzustellen, dass niemand durch die Pandemie verarmt. Gleichzeitig erlebt die Welt die schlimmste Jobkrise seit über 90 Jahren, mit Hunderten Millionen Menschen, die Einkommen oder Arbeit verloren haben.
- Frauen sind am stärksten betroffen, wieder einmal: In den Sektoren, in denen durch die Pandemie besonders große Einkommens- und Arbeitsplatzverluste drohen, etwa im Gastgewerbe oder im Büromanagement, sind 49 Prozent der berufstätigen Frauen beschäftigt, aber nur 40 Prozent der Männer. Frauen stellen weltweit auch etwa 70 Prozent der Arbeitskräfte im Gesundheits- und Sozialwesen – wichtige, aber oft schlecht bezahlte Jobs, die sie einem größeren Risiko aussetzen, an Covid-19 zu erkranken.
- Ungleichheit kostet Leben: In Brasilien ist die Gefahr, an COVID-19 zu sterben, für People of Colour 40 Prozent höher als für weiße Menschen. In den USA würden fast 22.000 Schwarze Menschen und Menschen mit lateinamerikanischer Migrationsgeschichte noch leben, wäre die Gefahr an COVID-19 zu sterben für sie genauso groß wie für weiße Menschen. Untersuchungen aus Großbritannien zeigen außerdem, dass die Todesrate von an COVID-19 erkrankten Menschen in einkommensschwachen Gegenden doppelt so hoch ist wie in wohlhabenden. Ähnliche Ergebnisse gibt es auch aus Frankreich, Spanien und Indien.
Tobias Hauschild, Leiter des Teams „Soziale Gerechtigkeit” von Oxfam Deutschland, kommentiert: „Die tiefe Kluft zwischen Arm und Reich erweist sich als ebenso tödlich wie das Virus. Konzerne und Superreiche müssen jetzt ihren fairen Beitrag leisten, um die Krise zu bewältigen. Aber das reicht nicht aus. Unternehmen, Märkte und Politik sind weltweit so gestaltet, dass kurzfristige Gewinninteressen zu oft über das Gemeinwohl triumphieren. Auf der Strecke bleiben Arbeitsschutz, Löhne und Menschenrechte. Diese zerstörerische Logik müssen wir umdrehen, doch mächtige Wirtschaftsinteressen verhindern bislang den nötigen Wandel. Das führt dazu, dass einige Wenige die Pandemie im Luxus überstehen, während über die Hälfte der Menschheit darum kämpft, ihre Rechnungen zu bezahlen und Essen auf den Tisch zu bringen. Deshalb reicht es nicht, Symptome zu bekämpfen. Wir müssen die Ursachen sozialer Ungleichheit an der Wurzel packen und unsere Wirtschaft solidarisch und ökologisch gerecht umgestalten.“
Unterstützung des Globalen Südens und Demokratisierung der Wirtschaft
Oxfam fordert eine Demokratisierung der Wirtschaft: Unternehmen müssen so reguliert werden, dass die Interessen aller von Unternehmensentscheidungen Betroffenen berücksichtigt werden. Es braucht ein effektives, gemeinwohlorientiertes Kartellrecht und sektorspezifische Regulierungen, die eine gerechte Verteilung von Gewinnen innerhalb der Lieferkette und die Einhaltung fairer Handelspraktiken sicherstellen. Gemeinwohlorientierte Unternehmen müssen besonders gefördert werden, damit sie stärker die Märkte prägen, zum Beispiel durch Bevorzugung bei öffentlicher Beschaffung und Wirtschaftshilfen.
Kurzfristig braucht es eine Steuerpolitik, die Unternehmen und Superreiche angemessen an der Finanzierung unseres Gemeinwesens beteiligt. Die Steuergelder werden dringend benötigt, um insbesondere in Ländern des Globalen Südens Menschen in Armut zu unterstützen und öffentlich finanzierte Systeme für Bildung, Gesundheit und soziale Sicherung auszubauen, von denen vor allem Menschen mit niedrigem Einkommen profitieren. Geld hierfür ist genug da: Hätte man die Extragewinne der 32 globalen Konzerne, die im vergangenen Jahr trotz Pandemie die größten Zuwächse hatten, mit einer einmaligen Steuer belegt, wären 104 Milliarden US-Dollar zusätzlich verfügbar.
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