Vieles rund um Covid-19 ist derzeit noch immer schwer einschätzbar. Unklar ist etwa, weswegen es zu den oft lange andauernden Folgestörungen nach einer intensivmedizinischen Behandlung schwer Betroffener kommt. Ist es eine Auswirkung der Viruserkrankung? Oder eine Folge der künstlichen Beatmung? „Es ist vermutlich die Summe von allem“, meint die Ergotherapeutin Paeschke. Eine künstliche Beatmung, so sehr sie lebensrettend sein kann, kann den Körper nicht in derselben Qualität versorgen, wie das eine gesunde, physiologische Lunge schafft. Auch das lange Liegen, sich nicht aktiv bewegen können oder neurologische Vorerkrankungen können beispielsweise Wahrnehmungsstörungen oder kognitive Einschränkungen verstärken.
Aufgabe Nummer eins von Ergotherapeuten: Selbstständigkeit herbeiführen
Ziel einer ergotherapeutischen Behandlung von Covid-19 Patienten ist, deren größtmögliche Handlungsfähigkeit und damit Selbstständigkeit im Alltag wieder herbeizuführen. Ein aus menschlicher Sicht ebenso wie aus gesellschaftlichen und gesamtwirtschaftlichen Gründen wünschenswerter Zustand. Die Ergotherapeutin dazu: „Selbstständigkeit beginnt tatsächlich in ganz kleinen Schritten.“ Sie veranschaulicht das Ganze am Beispiel von Sensibilitätsstörungen: „Wer seine Füße nicht spürt, kann nicht sicher stehen, geschweige denn alleine gehen; gleiches gilt für die Hände: um selbstständig essen, trinken, sich selbst versorgen zu können, müssen die Patienten ihre Hände spüren.“ Mithilfe verschiedener ergotherapeutischer Methoden wie manueller oder Arm-Fähigkeits-Therapie, Wahrnehmungs- und Sensibilitätstraining stimulieren Ergotherapeuten ihre Patienten mit Covid-19. Darüber hinaus fördern und verbessern sie mit taktilen Reizen, dem Spüren unterschiedlicher Oberflächen, die Wahrnehmungsfähigkeit der Betroffenen. In der Klinik, wo auf die besonderen Hygienemaßnahmen rund um Covid-19 und die erheblichen Infektionsrisiken oder weitere Keime zu achten ist, kein ganz einfaches Unterfangen. Anstelle schöner, haptischer Arbeitsmaterialien aus der Praxis kommen stattdessen die Bettdecke, Kleidungsstücke mit unterschiedlichen Strukturen, Handtücher oder die Haarbürste zum Einsatz. Ebenso Wärme, Kälte, Reize und Übungen, die die Patienten auch eigenständig machen können und regelmäßig in ihren Reha-Alltag einbauen müssen, um ihre Selbstständigkeit so gut es geht wieder zu erlangen. Was aber mit einer durch Covid-19 geschädigten Lunge anstrengend ist. Daher dauert es oft sehr lange, bis die verschiedenen Trainings zum Waschen, Anziehen, Haushaltführen und zur Alltagsstrukturierung am jeweiligen Aufenthaltsort des Patienten zum angestrebten Erfolg und zur Selbstständigkeit führen.
Angst bei an Covid-19 Erkrankten und deren Angehörigen
Die lange Dauer des Klinik- und Rehaaufenthalts wegen Covid-19 wirkt sich auch an anderer Stelle aus: Einige der betagten Patienten können es sich nicht leisten, ihre Wohnung, in der sie vor ihrer Erkrankung alleine gelebt haben, zu halten. Oder es ist aufgrund ihrer körperlichen oder geistigen Verfassung nicht klar, ob sie in ihr bisheriges Zuhause zurückkehren oder in welches Setting sie alternativ entlassen werden können. Das ist bedrohlich und schürt ebenso Ängste bei den Betroffenen wie die Erkrankung Covid-19 selbst durch ihre physischen und psychischen Auswirkungen. Angst ist häufig auch bei den Angehörigen zu beobachten. Deren Angst überträgt sich leicht – sogar dann, wenn die Betroffenen selbst motiviert oder zuversichtlich sind. „Da hilft nur, alle, auch das Umfeld, aufzuklären, zu beraten, Möglichkeiten wie Apps zur Entspannung zu empfehlen und auch Kommunikationswege und Klarheit zu schaffen“, verdeutlicht Henny Paeschke einen weiteren Arbeitsauftrag von Ergotherapeuten. Sie unterstützt die Patienten und deren Angehörige, indem sie sie auch bei den praktischen Dingen unterstützt. Zu wissen, es ist Hilfe da, man wird nicht alleine gelassen, ist ein wichtiger Aspekt, der einen Teil der Angst nimmt und Zuversicht aufkommen lässt. Gleichzeitig vermittelt die Ergotherapeutin allen Beteiligten Strategien und leitet sie an, um die Angst in den Griff bekommen. Denn Angst wirkt sich negativ aus, macht, was insbesondere bei den an Covid-19 Erkrankten kontraproduktiv ist, dass derjenige verkrampft, anders atmet, sich die Atmung verschlechtert. Dem haben Ergotherapeuten etwas entgegenzusetzen, etwa durch digitale Trainingsprogramme und Apps, die die Erkrankten auch außerhalb der ergotherapeutischen Interventionszeit praktizieren können. Mit Angst trauen sich Patienten manche wichtige Übung oder Handlung nicht zu. Oder sie sind zu schnell, wollen etwas rasch hinter sich bringen und manövrieren sich dadurch in gefährliche Situationen. Beides können Ergotherapeuten durch ihr frühzeitiges Eingreifen und eine zielgerichtete Intervention verhindern.
Wichtiger Aspekt ergotherapeutischer Interventionen: ressourcenorientiertes Arbeiten
Ergotherapeuten arbeiten ressourcenorientiert. Konkret bedeutet das: Ergotherapeuten fokussieren sich auf das, was der Patient bereits kann, werden nicht müde, auch kleinste Erfolge und Fortschritte groß aufzuzeigen. Derart befeuert, wächst allmählich das Selbstbewusstsein, die Motivation steigt und die Patienten wollen sich weitere Fähigkeiten, die sie vor ihrer Covid-19 Infektion hatten, zurückerobern. Sie lernen, Aktivitäten des Alltags wieder zu beherrschen – immer mit dem Ziel vor Augen, die eigene Selbstständigkeit so vollständig als möglich zurückzuerlangen. „Oft sind es tatsächlich die Angehörigen oder nahestehende Menschen aus dem Umfeld, die ‚aus dem Ruder laufen‘, die nicht verstehen, dass es auch Stillstand geben kann und es nicht ständig vorwärtsgeht“, weiß die Ergotherapeutin. Von außen sind die Faktoren, die den Heilungsverlauf bei Covid-19 so langwierig gestalten, nicht erkennbar. Viele Patienten mit Covid-19 leiden unter dem Fatigue-Syndrom, einem andauernden Erschöpfungszustand. Ist das der Fall, heißt es für Ergotherapeuten, die Menschen aus dem Umfeld genau zu informieren, zu motivieren und emotional aufzufangen. Denn nur eine positive Grundstimmung bei allen Involvierten wirkt sich auf die an Covid-19 Erkrankten heilungsfördernd aus.
Ergotherapeuten beziehen Umfeld und Angehörige ein
Das Umfeld beziehen Ergotherapeuten grundsätzlich wann immer möglich in ihre Interventionen ein. Gerade in Ausnahmesituationen wie der durch Covid-19 verursachten Pandemie bewirken nahestehende Menschen durch ihre Anwesenheit Sicherheit, schaffen Vertrautheit und eine gewisse Normalität. Sie können Teil der Therapie sein, können sich in die Therapie mit einbringen, wenn die Ergotherapeuten vor Ort sind. Und an den anderen Tagen durch die bei den Ergotherapeuten erlernten Übungen Hilfe und Stütze für die Erkrankten sein. Auch kommt ihnen eine Schlüsselrolle zu, wenn es darum geht, passende Lösungen zu finden und Entscheidungen mitzutragen – vielleicht auch die, dass nach der Reha der Umzug in eine Pflegeeinrichtung der für alle Beteiligten einzig richtige Schritt ist. Darauf, dass alle auch schwerwiegende Entscheidungen gut tragen und aushalten können, arbeiten Ergotherapeuten von Anfang an mit viel Fingerspitzengefühl hin. Es ist eine Besonderheit von Ergotherapeuten, ihre Patienten immer wieder in eine Positivschleife zu bringen, so dass sie ihre Covid-19 Erkrankung und deren Folgen akzeptieren lernen. Bestenfalls lernen die Patienten auch zu realisieren, dass es trotz der Erkrankung und die daraus resultierenden Folgen dennoch schöne Momente in ihrem Leben gibt.
Informationsmaterial zu den vielfältigen Themen der Ergotherapie gibt es bei den Ergotherapeuten vor Ort; Ergotherapeuten in Wohnortnähe auf der Homepage des Verbandes unter https://dve.info/service/therapeutensuche.
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