Eine Tumorerkrankung beginnt mit meist mehreren Mutationen im Erbgut einer Zelle. Diese führen dazu, dass die Zelle neue Eigenschaften annimmt und sich unkontrolliert vermehren kann. Für eine personalisierte Medizin liegt es daher auf der Hand, die Genetik eines Tumors genauer zu untersuchen: Welche besonderen Veränderungen liegen im individuellen Tumor vor? Welche Gene sind vermehrt oder weniger stark aktiv oder verändert? Welche biologischen Prozesse in den Zellen sind davon betroffen?
Um individuelle Therapieempfehlungen aussprechen zu können, fahnden Onkologen daher nach spezifischen Veränderungen im Genom der Tumorzellen ihrer Patienten. Außerdem analysieren sie, welche Gene überhaupt aktiv sind und in RNA umgeschrieben werden, die schließlich als Bauplan für neue Proteine dient. Diese Information hilft ihnen dann, eine Therapie auszuwählen, die möglichst an den vorliegenden Veränderungen ansetzt und beispielsweise einen überschießenden Signalweg hemmt.
Doch nicht immer geht diese Strategie auf. Im Rahmen der MASTER-Studie untersuchen Wissenschaftler am NCT unter anderem, wie gut Patienten mit verschiedenen Tumoren auf eine Therapie ansprachen, die ihrem individuellen genetischen Profil entsprach. "Dabei hat sich gezeigt, dass genetische Untersuchungen bei vielen Patienten sehr aussagekräftig sind", erklärt Stefan Wiemann, DKFZ. "Bei einigen Betroffenen zeigte dieses Vorgehen jedoch leider nur einen geringen Erfolg und die ausgewählte Therapie brachte nicht den erhofften Effekt." Ein Grund dafür könnte sein, dass allein das Vorhandensein einer Mutation nicht zwingend bedeutet, dass diese auch zum Tragen kommt, oder ob das betroffene Gen für das Tumorgeschehen relevant ist. Und auch das Vorhandensein bestimmter RNA-Abschriften dieser Gene lässt noch nicht endgültig darauf schließen, ob auch das zugehörige Protein entsteht und mit welchen Modifikationen es in der Tumorzelle versehen wird. Diese Modifikationen zeigen, wie aktiv ein Protein ist.
"Für uns lag es daher nahe, auch auf dieser Ebene genauer hinzuschauen: Welche Proteine sind vermehrt vorhanden? Und wie aktiv sind sie?", sagt Wiemann. Der DKFZ-Forscher und seine Kollegen suchten daher in Tumorproben von Teilnehmern der MASTER-Studie nach dem Vorhandensein von Proteinen, die entscheidend sind für das Krankheitsgeschehen. Außerdem fahndeten sie nach spezifischen Phosphorylierungen dieser Proteine. Dabei handelt es sich um chemische Anhängsel, die über die Aktivität des jeweiligen Eiweißmoleküls Auskunft geben.
"Auf der Grundlage dieser Daten haben wir die Patienten dann nochmals neu so genannten therapeutischen ,Baskets‘ zugeteilt, also ,Körben‘ oder Gruppen, bei denen bestimmte Therapeutika als aussichtsreich gelten, während andere eher wenig Erfolg versprechen", berichtet Wiemann. Diese Einteilung glichen sie mit der Behandlung ab, die die Probanden tatsächlich bekommen hatten. Dabei zeigte sich bei einigen Patienten eine gute Übereinstimmung. "Wir hatten aber auch Patienten in der Studie, bei denen die Proteinanalyse wahrscheinlich zu einer anderen Empfehlung geführt hätte."
Die Proteindaten könnten bei einigen Studienteilnehmern im Nachhinein auch das schlechte Ansprechen auf die verabreichte Therapie erklären. Die Wissenschaftler hoffen daher, künftig durch zusätzliche Proteinanalysen noch exaktere Behandlungsempfehlungen geben zu können. Ob dies den Therapieerfolg tatsächlich verbessert, werden aber künftige Studien noch belegen müssen, bei denen Ergebnisse von Proteinanalysen direkt in die Therapieentscheidung einbezogen werden.
"Für uns steht grundsätzlich im Vordergrund, die beste Behandlungsstrategie mit dem größtmöglichen Nutzen für unsere Patienten auszuwählen", sagt Stefan Fröhling, Geschäftsführender Direktor des NCT und Mitautor der Studie. Dafür werden auch weiterhin genetische Analysen ein wichtiges Werkzeug sein. "Wir haben aber die Hoffnung, dass wir in Zukunft durch zusätzliche Proteinanalysen noch individuellere und konkretere Therapieempfehlungen geben können."
Wahjudi LW, Bernhardt S, Abnaof K, Horak P, Kreutzfeldt S, Heining C, Borgoni S, Becki C, Berg D, Richter D, Hutter B, Uhrig S, Pfütze K, Leichsenring J, Glimm H, Brors B, von Kalle C, Stenzinger A, Korf U, Fröhling S, Wiemann S. Integrating Proteomics into Precision Oncology. International Journal of Cancer. http://dx.doi.org/10.1002/ijc.33301
Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1.300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können.
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Gemeinsam mit Partnern aus den Universitätskliniken betreibt das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) an den Standorten Heidelberg und Dresden, in Heidelberg außerdem das Hopp-Kindertumorzentrum KiTZ. Im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben universitären Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter Hochschulmedizin mit der hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums an den NCT- und den DKTK-Standorten ist ein wichtiger Beitrag, um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Krebspatienten zu verbessern.
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