"Süßwaren, Limo und Snacks bescheren der Lebensmittelindustrie besonders große Profite, daher fixt sie Kinder und Jugendliche auf allen Kanälen gezielt auf diese Produkte an. Dies fördert Übergewicht, Adipositas und ernährungsbedingte Krankheiten bei hunderttausenden Kindern und offenbart zugleich das Versagen der Politik, die Schwächsten der Gesellschaft vor den hinterhältigen Strategien der Konzerne zu schützen", erklärte Luise Molling von foodwatch. "Die Ministerin darf nicht länger tatenlos dabei zusehen, wie die Konzerne mit perfiden Marketingtricks Kinder dick und krank machen."
Kinder und Jugendliche in Deutschland essen deutlich mehr Zucker als von Fachorganisationen wie etwa der Weltgesundheitsorganisation, der Deutschen Gesellschaft für Ernährung und der Deutschen Diabetes Gesellschaft empfohlen wird. Die Organisationen empfehlen, dass Minderjährige maximal 10 Prozent der täglich aufgenommen Kalorien durch sogenannte freie Zucker aufnehmen. Tatsächlich aber nehmen Kinder und Jugendliche im Alter von 3 bis 18 Jahren in Deutschland 16,3 Prozent ihrer Tagesenergie aus freien Zuckern auf – also 63 Prozent mehr als empfohlen. Umgerechnet erreichen die jungen Menschen damit schon am 224. Tag im Jahr, dem 11. August, ihr Zucker-Limit für ein ganzes Jahr.
Konkret bedeutet das: Mädchen essen im Durchschnitt mehr als 60 Gramm freie Zucker pro Tag, obwohl sie maximal 38 Gramm zu sich nehmen sollten. Jungs essen im Schnitt mehr als 70 Gramm freie Zucker pro Tag, obwohl sie nicht mehr als 44 Gramm verzehren sollten. Als freie Zucker werden alle Zuckerarten bezeichnet, die zum Beispiel Lebensmittelhersteller ihren Produkten zusetzen, sowie der in Honig, Sirup, Fruchtsaftkonzentraten und Fruchtsäften natürlich enthaltene Zucker. Natürlicherweise in Früchten oder Milchprodukten vorkommender Zucker fällt nicht darunter.
Die Grünen hatten vergangene Woche nach einem entsprechenden Vorstoß Großbritanniens eine Beschränkung der an Kinder gerichteten Fernsehwerbung in Deutschland gefordert. Bundesernährungsministerin Klöckner hatte sich "offen" für eine solche Regelung gezeigt. foodwatch wies darauf hin, dass das Fernsehen nur einer von zahlreichen Marketingkanälen sei, der von der Industrie für Produktwerbung an Kinder genutzt werde. Eine Regulierung müsse deshalb zum Beispiel auch Influencer-Marketing in Sozialen Medien, Gewinnspiele, Spielzeugbeigaben und Comicfiguren umfassen.
Das WHO-Regionalbüro für Europa hatte Anfang 2015 konkrete Vorgaben definiert, wonach nur noch ernährungsphysiologisch ausgewogene Produkte an Kinder vermarktet werden sollten. Dabei spielen unter anderem die Anteile von Fett, Zucker und Salz, aber auch der Kaloriengehalt oder zugefügte Süßstoffe eine Rolle.
Seit Jahren fordern Fachgesellschaften und Ärzteverbände wirksame Maßnahmen gegen Fehlernährung. Neben Werbebeschränkungen fordern sie eine EU-weit verpflichtende Nährwert-Kennzeichnung in Ampelfarben, verbindliche Standards für die Schul- und Kitaverpflegung sowie steuerliche Anreize für die Lebensmittelindustrie, gesündere Rezepturen zu entwickeln – etwa durch eine Sonderabgabe auf Limonaden.
Grundlage für die Berechnung des "Kinder-Überzuckerungstags" sind Daten aus der sogenannten DONALD-Studie aus dem Jahr 2016, die das Ernährungsverhalten von mehr als 1.000 Kindern und Jugendlichen untersucht hat. Aktuellere Zahlen zum Konsum von freiem Zucker durch Kinder in Deutschland liegen nicht vor.
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