Die Handynutzung beim Autofahren kann zu einem meterlangen Blindflug führen. Damit riskieren Verkehrsteilnehmer schon durch einen kurzen Blick aufs Smartphone einen Crash mit gesundheitlichen Folgen oder gar ihr Leben. Mit der Formel zum Weg-Zeit-Gesetz lässt sich die Blindfluglänge berechnen: Strecke ist gleich Zeit mal Geschwindigkeit. Darauf macht die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) anlässlich des Tags der Verkehrssicherheit am 20. Juni 2020 aufmerksam. Sie rät vor allem Jugendlichen, sich mit dieser Formel einmal zu verdeutlichen, wie lange sie ohne Sicht fahren, wenn sie am Handy daddeln. „Wir raten dringend, beim Autofahren das Handy beiseite zu legen. Denn viele Unfallverletzungen, die wir in der Notaufnahme sehen, sind durch sekundenlange Ablenkung des Fahrers entstanden“, sagt Prof. Dr. Michael J. Raschke, stellvertretender DGOU-Präsident und Direktor der Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie am Universitätsklinikum Münster.

Je höher die Geschwindigkeit, desto höher ist das Unfallrisiko. Das liegt an der erhöhten Bewegungsenergie beim Aufprall und der verkürzten Reaktionszeit. Bei einer Geschwindigkeit von 50 km/h im Stadtverkehr führt schon das 3-sekündige Checken einer SMS zu etwa 42 Metern Fahrt ohne Wahrnehmung des Verkehrsgeschehens – dem sogenannten Blindflug1. Auf der Autobahn bei 120 km/h entsteht ein 100 Meter langer Blindflug. Das bedeutet nicht nur keine Wahrnehmung des Straßenverkehrs, sondern auch die völlig aufgehobene Kommunikation mit anderen Verkehrsteilnehmern. In dieser Zeit kann weder auf andere Fahrzeuge reagiert werden noch auf Fußgänger oder Hindernisse auf der Fahrbahn. So kann es zu einem gefährlichen Aufprall kommen. Dies gilt für die Ablenkung sowohl hinter dem Steuer als auch auf dem Fahrrad, dem E-Scooter oder als Fußgänger – der Blick aufs Handy kann entscheidende Sekunden kosten, die später über Leben oder Tod entscheiden.

Auch Ablenkung des Fahrzeugführers durch Mitfahrende ist ein generelles Thema der Unfallprävention. Entscheidend ist, dass der Fahrzeugführer an seiner Verantwortung, sich im Straßenverkehr aufmerksam zu bewegen, nicht gehindert wird. „Besonders jungen Menschen fehlt es anfangs an Routine beim Fahren. Es ist wichtig, dass sie sich jederzeit ihrer Verantwortung als Fahrzeugführer bewusst sind. Denn im Straßenverkehr gefährdet man bei einer gefährlichen Situation nicht nur sich selbst, sondern bringt auch andere Menschen in Gefahr“, sagt Dr. Christopher Spering, Leiter der DGOU-Sektion Prävention und Oberarzt an der Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Plastische Chirurgie an der Universitätsmedizin Göttingen (UMG). „Auch wenn sich der Fahrzeugführer beim Anfahren eines Fußgängers selbst kaum verletzt, kann doch der seelische Schaden bei einem jungen Fahrer fatale Folgen haben, wenn er jemand anderen schwer verletzt oder gar getötet hat.“

Laut Statistischem Bundesamt haben 18- bis 24-jährige Verkehrsteilnehmer immer noch das mit Abstand höchste Unfallrisiko im Straßenverkehr. Im Jahr 2018 verunglückten in Deutschland insgesamt 60 976 junge Männer und Frauen dieser Altersgruppe im Straßenverkehr, 369 junge Erwachsene wurden getötet. Damit waren 15,3 Prozent aller Verletzten und 11,3 Prozent aller Getöteten im Straßenverkehr im Alter von 18 bis 24 Jahren, obwohl nur jeder 13. der Gesamtbevölkerung (7,6 Prozent) dazu zählte. Langfristig ist allerdings ein deutlicher Abwärtstrend zu beobachten: Seit 1991 ist die Zahl der verunglückten 18- bis 24-Jährigen um mehr als die Hälfte von 134 764 auf 60 976 Personen in 2018 zurückgegangen.

Die Gründe, warum junge Menschen im Straßenverkehr zum Risiko für sich und andere werden, sind vielschichtig und reichen von unangepasster Geschwindigkeit und Abstandsfehler über die Handynutzung am Steuer sowie dem Fahren unter Alkohol- oder Drogeneinfluss bis hin zu einer extrem hohen Risikobereitschaft.

Die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) engagiert sich gemeinsam mit Polizei und Rettungsdiensten in der Prävention von Unfällen bei Jugendlichen. Sie hat das P.A.R.T.Y.-Programm in Deutschland eingeführt und weiterentwickelt. Das Akronym steht für „Prevention of Alcohol and Risk related Trauma in Youth“, was so viel heißt wie „Vermeidung von Verletzungen, die bei Jugendlichen durch Alkohol und risikoreiches Verhalten verursacht werden”. Das Präventionsprogramm stammt ursprünglich aus Kanada. Es richtet sich an Jugendliche zwischen 15 und 18 Jahren. Dabei besuchen Schüler in ihrem Klassenverband eine Unfallklinik in ihrer Region und erleben einen Tag lang, wie Schwerverletzte nach einem Verkehrsunfall versorgt werden. Sie durchlaufen einen Parcours vom Rettungsdienst über den Schockraum und die Intensivstation bis hin zur Rehabilitation – wichtige Stationen, die ein Schwerverletzter erlebt. Durch das eigene Erleben und das Gespräch mit Rettungsdienstpersonal, Pflegemitarbeitern, Ärzten und verletzten Patienten erhalten sie einen Eindruck von den Folgen riskanten Verhaltens. Damit sollen sie in die Lage versetzt werden, in kritischen Situationen selbstständig kluge Entscheidungen zu treffen und Risiken zu vermeiden.

In Deutschland werden jährlich mehr als 80 P.A.R.T.Y.-Tage in über 40 Traumazentren der Initiative TraumaNetzwerk DGU® mit jeweils 20 bis 30 Jugendlichen veranstaltet. Aufgrund der Corona-Krise können derzeit keine P.A.R.T.Y.-Tage durchgeführt werden.

Weitere Informationen:
1) Weg-Zeit-Gesetz bei gleichförmigen Bewegungen:  s= v × t    
Beispiel 1: s= 120 km/h  × 3 sec = 0,1 km = 100 m
Beispiel 2: s= 50 km/h  × 3 sec = 0,042 km = 42 m

www.party4school.de
www.party-dgu.de
www.dgu-online.de

Der Tag der Verkehrssicherheit wurde 2005 vom Deutschen Verkehrssicherheitsrat ins Leben gerufen. In diesem Jahr wird er digital durchgeführt. Mit der Aktion #1000sichereWünsche sind Organisationen, Betriebe, Städte und Gemeinden sowie Verkehrsteilnehmer dazu aufgerufen, am 20. Juni einen Post mit ihrem Wunsch für mehr Verkehrssicherheit auf ihren sozialen Netzwerken zu teilen.

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