Verwaltungsgericht Gießen: „Klimapolitische Zielsetzungen eines Mitgliedsstaates haben außer Betracht zu bleiben, soweit sie mit geltenden Rechtsvorschriften nicht im Einklang stehen“, zumal „Deutschland im Jahr 2019 ca. 37 Milliarden Kilowattstunden Strom mehr exportierte, als es importierte“.

Die vom Regierungspräsidium Darmstadt erteilte Ausnahme vom Tötungsverbot nach § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) ist rechtswidrig und „darf nicht angewandt werden“, da dies „ein Verstoß gegen die vorrangigen Bestimmungen der Vogelschutzrichtlinie“ darstellt. Dies gelte unabhängig davon, ob es sich um eine streng geschützte Vogelart handele oder nicht, so das Gericht. (VG Gießen, 1. Kammer)

Die vom Regierungspräsidium Gießen am 12.10.2018 erteilte Genehmigung für drei Windenergieanlagen im Butzbacher Stadtwald ist rechtswidrig. Der Genehmigungsbescheid wurde nach dem Erörterungstermin am 22.01.2020 vom Verwaltungsgericht am 28.01.2020 aufgehoben. Der Umweltverband Naturschutzinitiative e.V. (NI) hatte gegen das Land Hessen vor allem deshalb geklagt, weil nach seiner Ansicht die Genehmigung gegen europäisches Recht verstößt. So wurden Ausnahmen vom Tötungsverbot beim Wespen- und Mäusebussard zugelassen, die aus Sicht der NI mit der europäischen Vogelschutzrichtlinie nicht zu vereinbaren sind.

Nunmehr liegt der Naturschutzinitiative e.V. (NI) die Urteilsbegründung vor, die vollumfänglich der Argumentation der NI folgt. Hiernach sieht die Kammer das Tötungsverbot zu Lasten der Arten Wespenbussard und Mäusebussard als verletzt an und verweist auch auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse des Helgoländer Papiers, die Fachkonvention der Länderarbeitsgemeinschaft der Staatlichen Vogelschutzwarten (LAG VSW 2015).

Die vom Regierungspräsidium Darmstadt erteilte Ausnahme vom Tötungsverbot nach § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5 (Ausnahme aufgrund eines überwiegenden öffentlichen Interesses) des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) ist danach rechtswidrig, da dies einen Verstoß gegen die vorrangigen Bestimmungen der Vogelschutzrichtlinie darstelle. Diese Ausnahme dürfe nicht angewandt werden. Dies gelte unabhängig davon, ob es sich um eine streng geschützte Vogelart handele oder nicht, so das Gericht.

Der Versuch der Beklagten, dem Umweltverband die Klagebefugnis abzusprechen scheiterte ebenso wie der Versuch, nachträglich die Ausnahme auch mit § 45 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BNatSchG wegen der Gewährleistung der „öffentlichen Sicherheit“ durch die Errichtung von Windenergieanlagen zu erreichen. Bei dieser Norm gehe es nach Auffassung des Gerichtes und nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes um Fragen, die sich „wesentlich“ auf die „Existenz des Staates“ auswirken würden.

Es sei hingegen „ernsthaft“ nicht zu befürchten, „dass die Einhaltung der europäischen Vogelschutzrichtlinie zu einem Energieversorgungsengpass in der Bundesrepublik Deutschland führen“ würde, so die Kammer. „Denn die Einhaltung der europäischen Vogelschutzrichtlinie bedeute lediglich, dass dort keine Windenergieanlagen errichtet werden dürfen, wo dies zu einer signifikant erhöhten Tötung von europäischen Vogelarten führen würde.“

„Klimapolitische Zielsetzungen eines Mitgliedsstaates haben außer Betracht zu bleiben, soweit die mit geltenden Rechtsvorschriften nicht im Einklang stehen“, zumal „Deutschland im Jahr 2019 ca. 37 Milliarden Kilowattstunden Strom mehr exportierte, als es importierte, so das Gericht.

Das Gericht stellte klar, dass sich der Umweltverband auf die Verletzung umweltbezogener Vorschriften auch dann im Rahmen einer Klage berufen könne, wenn der Artenschutz nicht im Rahmen einer Vorprüfung zur UVP Berücksichtigung finden müsse. Damit steht die Entscheidung im Einklang mit der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes (BVerwG).

„Bei Heranziehung des Helgoländer Papiers“ und eines im Verfahren vorgelegten Gutachtens ergebe sich, so das Verwaltungsgericht, dass die „Annahme, dass die Errichtung und der Betrieb von Windenergieanlagen in einem Lebensbereich von Wespenbussarden zu einem signifikant erhöhten Tötungsrisiko und somit zu einem Verstoß gegen § 44 Abs. 1 S. 1 Nr.1 BNatSchG“ führe, aus naturschutzfachlicher Sicht nicht zu beanstanden sei.

Auch die Annahme, wonach für den Mäusebussard ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko besteht, sei aus naturschutzfachlicher Sicht nicht zu beanstanden. Auch beim Mäusebussard greift das Gericht in der Begründung des Urteils die Empfehlungen des Helgoländer Papiers der Länderarbeitsgemeinschaft der Staatlichen Vogelschutzwarten auf.

„Auch wenn in diesem Papier kein bestimmter Mindestabstand zwischen Windenergieanlagen und dem Horst des Mäusebussards genannt wird, gilt der Mäusebussard nach übereinstimmender naturschutzfachlicher Einschätzung als kollisionsgefährdet, da er kein Meideverhalten gegenüber den Anlagen zeigt“, so das Verwaltungsgericht.

„Dieses Urteil ist ein wichtiger Meilenstein für den Natur- und Artenschutz. Es macht unmissverständlich klar, dass bisher erteilte Ausnahmen vom Tötungsverbot rechtswidrig und nicht mit der europäischen Vogelschutzrichtlinie zu vereinbaren sind“, erklärte Harry Neumann, Bundes- und Landesvorsitzender der Naturschutzinitiative e.V. (NI). Der Umweltverband geht davon aus, dass der Verwaltungsgerichtshof in Kassel die Entscheidung bestätigen wird, sollte Berufung gegen das Urteil eingelegt werden.

Der Umweltverband wurde erfolgreich vertreten durch die Kanzlei Habor, Göttingen.

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