Auch die Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (HAW, ehemals Fachhochschulen) stehen vor umfassenden Veränderungsprozessen. „Hochschulen in Zeiten von Transformationsprozessen“ lautete daher der Titel der 39. Jahrestagung der Hochschulkanzler*innen der HAW, die Kanzlerin Yvonne Plaul vom 11. bis zum 13. September 2024 an der Technischen Hochschule Lübeck ausgerichtet hatte.

In Deutschland gibt es nach Angaben des Statistischen Bundesamtes aktuell 215 Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (HAW). In den letzten Jahren wurden an diesem Hochschultyp überproportional viele Studienplätze aufgebaut. Auch die Aufgaben der HAW mit ihrem Fokus auf der anwendungsorientierten Forschung und Lehre wurden mehr und anspruchsvoller. „Die Finanzierung dieser wichtigen Aufgaben bei sich verschlechternder Finanzlage in Bund und Ländern ist eine Mammutaufgabe“, so Kanzlerin Yvonne Plaul. Welche Weichenstellungen sind dafür an den HAW, aber auch in der Politik notwendig? Kanzler*innen aus ganz Deutschland tauschten in Lübeck Ideen aus, wie dieser Wandel nicht nur gestaltet, sondern auch finanziert werden könnte.

Immer mehr Drittmittel, immer weniger Grundfinanzierung

Die Finanzierung von Hochschulen ist ein komplexes Zusammenspiel von Bund, Ländern und externen Drittmittelgebern, das immer wieder neu verhandelt und angepasst werden muss. Ein Problem: „Der Anteil an der fixen Grundfinanzierung ist über die Jahre und mit dem Rückzug des Bundes aus der Bildungsfinanzierung deutlich abgesunken. Finanzielle Aufwüchse haben die HAW vor allem über temporäre Finanzierungen erhalten.“, so Yvonne Plaul. „Damit fehlt es an Verbindlichkeit und Planbarkeit der mittel- bis langfristigen Situation und z.B. wichtigen Investitionen wie in den klimagerechten Hochschul(um)bau. Mit steigendem Aufwand für Mittelakquise und Verwendungsberichte fehlt die Zeit für Kernaufgaben in Lehre und Forschung.“

Die Hochschulgesetze der Länder weisen den HAW das Thema Forschung zwar als Daueraufgabe zu, stellen dafür aber kaum Geld in der Grundfinanzierung zur Verfügung. Daher lautet ein Trend: Mehr (zeitlich befristete) Projektförderung über Drittmittel, weniger (langfristige) Grundfinanzierung. Eine Folge: Auch Daueraufgaben in Forschung, Lehre und inzwischen auch Infrastrukturaufgaben müssen in immer größerem Umfang mit befristeten Mitteln bestritten werden.

In verschiedenen Bundesländern gibt es unterschiedliche Modelle: Über 100 Teilnehmende, so viele wie noch nie, tauschten ihre Erfahrungen in Kleingruppen und Workshops zur Hochschulfinanzierung, Hochschulautonomie und politischer Steuerung aus. „Wichtig erschien den Teilnehmenden vor allem die Konsistenz von Landes- und Hochschulstrategien. Hier müssen alle an einem Strang ziehen und die Hochschulen ausreichend Freiheiten haben, um auch aus wenig Ressourcen möglichst viel zu machen“, so Yvonne Plaul. Zur Forschungsförderung mit guten Beschäftigungsbedingungen wurde zudem das Papier „Lernendes Manifest“ vorgestellt und diskutiert, dass u.a. durch Gewerkschaften initiiert wurde.

Anwendungsorientierte Forschung hat Fokus auf Problemlösung

„Hochschulen für Angewandte Wissenschaften sind in Zeiten von großen Veränderungen mit ihrem besonderen Leistungsspektrum für die anstehende Transformation von besonderer Bedeutung“, sagte Guido Wendt, Staatssekretär des Ministeriums für Allgemeine und Berufliche Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Schleswig-Holstein: „Sie sind es, die den Wissenstransfer von der Hochschule in die Gesellschaft organisieren.“ Gerade habe der Wissenschaftsrat auf Bitte des Landes das Hochschulsystem in Schleswig-Holstein begutachtet und „den HAW ein hervorragendes Zeugnis ausgestellt“, so Wendt. „Sie sind Innovationstreiber, z.B. bei der Forschung zur Energiewende.“

„Hochschulen sind für die Resilienz einer Gesellschaft unerlässlich“, betonte Prof. Dr. Micha Teuscher in seiner Keynote. Sie leisten sowohl mit der Lehre als auch mit ihrer anwendungsorientierten Forschung einen unverzichtbaren Beitrag bei der Lösung der vielen aktuellen Herausforderungen vom Klimawandel über die Energiekrise bis hin zur demografischen Entwicklung. „Die einzelnen Herausforderungen wirken wechselseitig aufeinander ein, dynamisieren und verschärfen den Problemdruck und damit den Transformationsbedarf in der Gesellschaft.“

Die Folge: Unsere Welt wird komplexer. „Diese Veränderungen müssen erforscht und erklärt werden, damit die Gesellschaft sie verstehen und mit ihr umgehen kann.“ Es gehe auch um soziale Transformation und um neue Formen der Beteiligung. Das Ziel sei „nicht nur wissen und verstehen, sondern vor allem Anwendung von Wissen, Handeln und Können. Die HAW haben durch die anwendungsorientierte wissenschaftliche Qualifizierung ihrer Studierenden eine zentrale Verantwortung für die Gesellschaft: Die Vermittlung wissensbasierter Handlungskompetenzen.“

Konkrete Zusammenarbeit in einer neuen schlagkräftigen Struktur

„Die Aufgaben werden mehr, die Gelder weniger“, blickte Heinz-Joachim Henkemeier, scheidender Bundessprecher der Hochschulkanzlerinnen und –kanzler, in die Zukunft. Die Verteilung der Studierenden an die unterschiedlichen Hochschulen wird sich auch durch die veränderte Wirtschaftslage verändern – ein Trend, der sich auch in der neuen SIT-Studie abzeichnet. Gleichzeitig werden die Anforderungen aus der Wirtschaft an die Qualifikationen der Absolvent*innen differenzierter und die Verhandlungen mit der Politik aufwändiger.

Die Kanzler*innen der HAW in Deutschland wollen daher zukünftig konkreter zusammenarbeiten, haben sich dafür eine neue, schlagkräftigere Struktur gegeben und bei der Tagung in Lübeck einen Verein restrukturiert. Zur ersten Bundessprecherin der Hochschulkanzler*innen wurde Andrea Gerlach-Newman von der Technischen Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm gewählt. Als Sprecherin der Kanzler*innen von rund 120 Hochschulen wird sie deren Themen auf Bundesebene vertreten.

Geschlossenes Auftreten unglaublich wichtig

Die Wichtigkeit von Zusammenarbeit in Zeiten der Transformation unterstrich auch Muriel Helbig, Präsidentin der TH Lübeck, in Ihrer Begrüßung. „Vor fünf Jahren feierten wir hier in Lübeck unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten Steinmeier den 50. Geburtstag des Hochschultyps Fachhochschule, heute Hochschule für angewandte Wissenschaften. Die ersten drei Fachhochschulen wurden tatsächlich in Schleswig-Holstein gegründet, in Flensburg, Kiel und Lübeck.“ Sie erinnerte an die Kampagne unglaublich wichtig und an das „Lübecker Manifest“, das vor fünf Jahren im Rahmen der Fachtagung der HAW-Präsident*innen von über 100 Leitungsverantwortlichen der Hochschulen veröffentlicht wurde und das ein klares Statement an die Politik enthielt.

Erste Erfolge sind sichtbar. „Wenn wir geschlossen auftreten, können wir viel erreichen“, sagt sie, und nennt als Beispiele die Verhandlungen über das Promotionsrecht oder das Programm FH-Personal. „Wie unglaublich wichtig, dass Sie diese Kanzler*innen-Tagung durchführen und in so großer Zahl nutzen. Dass Sie gemeinsame Positionen erarbeiten, sich austauschen und hoffentlich gestärkt wieder an Ihre jeweilige Hochschule zurückreisen.“

 

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