Nordrhein-Westfalen hat 2023 ein Rekordjahr beim Ausbau der Solarenergie erlebt: Wie eine vom Landesverband Erneuerbare Energien NRW (LEE NRW) vorgenommene Auswertung der Meldungen im Marktstammdatenregister zeigt, sind landesweit 211.111 Photovoltaikanlagen mit einer Leistung von 2.165 Megawatt (MW) neu in Betrieb gegangen. Im Vergleich zum Vorjahr bedeutet das mehr als eine Verdoppelung (2022: 955 MW). Im Bundesländervergleich rangiert NRW mit dem neuen Zubau-Rekord nach Bayern und vor Baden-Württemberg auf Rang zwei.
„Es ist schön zu sehen, dass der Solar-Aufschwung in NRW prozentual gesehen noch über den neuen Rekordzahlen auf Bundesebene liegt“, kommentiert LEE NRW-Geschäftsführer Christian Mildenberger die Bilanz des letzten Jahres. Die gestiegenen Energiepreise und der Wunsch vieler Bürgerinnen und Bürger sowie von Industrie- und Gewerbebetrieben, sich mit eigenen Photovoltaikanlagen unabhängiger zu machen, sind für den LEE NRW die Hauptgründe für den immensen Solar-Aufschwung.
Diese Entwicklung macht sich auch an der Zahl der kleinen Balkonkraftwerke fest: An die 55.000 neue Stecker-Solaranlagen, auf die allerdings weniger als zwei Prozent der neu installierten Leistung entfallen, haben landesweit im vergangenen Jahr erstmals Solarstrom erzeugt. Christian Mildenberger: „Für viele Haushalte sind diese Mini-Solaranlagen ein Testballon, oft erfolgt danach der Kauf einer größeren Photovoltaikanlage.“
Die LEE NRW-Analyse des Marktstammdatenregisters zu ausgewählten Städten zeigt, dass es im vergangenen Jahr auch einen starken Solarzubau in den Kommunen gegeben hat. So verzeichnete unter den größeren NRW-Städten Köln ein Plus von 30,2 MW, Dortmund von 26,4 MW, Bielefeld von 16,3 MW und Münster von 16,1 MW.
Bei der NRW-Bilanz für den Solarausbau gibt einen bitteren Wermutstropfen: Die Zahl der leistungsstärkeren und damit von den Erzeugungskosten günstigeren Freiflächenanlagen ist verschwindend gering, im vergangenen Jahr entfiel auf dieses Segment lediglich etwa drei Prozent der neu installierten Leistung. Wie günstig auf Freiflächen Solarstrom erzeugt werden kann, hat die jüngste Ausschreibungsrunde der Bundesnetzagentur gezeigt: Die Zuschläge für die erfolgreichen Gebote lagen zwischen 4,5 und 5,5 Cent pro Kilowattstunde – damit ist dieser Solarstrom die günstigste Form der Stromerzeugung und damit unverzichtbar für ein klimaneutrales Industrieland, das Nordrhein-Westfalen werden soll.
Einige Bundesländer machen bereits vor, wie es bei der Freiflächen-PV anders geht: In Schleswig-Holstein lag der Anteil der Freiflächen-Projekte an der neu installierten Solarleistung im vergangenen Jahr bei rund 48 Prozent. In Bayern gingen über 200 größere Solarkraftwerke mit insgesamt mehr als 1.600 MW Leistung an den Start. Zum besseren Vergleich: NRW verfügt derzeit nur über einen Bestand von 440 MW an solaren Freiflächenanlagen.
„In NRW findet der Solarausbau fast nur auf privaten und gewerblichen Dächern statt. NRW wäre mit Bayern beim Solarausbau gleichauf, wenn es in einer ähnlichen Größenordnung neue Freiflächen-Projekte gegeben hätte“, verweist Christian Mildenberger auf die Dimensionen. Die Bundesregierung hat sich in ihrer Solar-Strategie zum Ziel gesetzt, dass der künftige Solarausbau zur Hälfte auf Dachflächen und zur anderen Hälfte auf Freiflächenprojekte entfällt. Dieses Ziel unterstützt auch die Landesregierung. „Allerdings ist NRW davon derzeit noch ganz weit entfernt“, sagt der LEE NRW-Geschäftsführer.
Dies muss Anke Nolte „leider“ bestätigen. Sie leitet die Abteilung Standortentwicklung bei der Wattner AG mit Sitz in Köln, einem mittelständischen Unternehmen, das bei der Projektierung von solaren Freiflächenanlagen bundesweit führend ist. „Der bisherige Landesentwicklungsplan und das vielerorts fehlende Know-how bei den Genehmigungsverfahren haben dazu geführt, dass die solaren Freiflächenanlagen in NRW bislang ein Nischendasein fristen.“
Nach eigenen Angaben hat die Wattner AG derzeit sechs Projekte mit rund 100 MW Leistung landesweit in der Pipeline. Wann die zuständigen Behörden grünes Licht für diese Vorhaben geben, darüber kann Nolte nur spekulieren. „Mit dem Genehmigungsverfahren betreten die entsprechenden Ämter vielerorts Neuland. In anderen Bundesländern haben Kommunen dagegen bereits vor Jahren einen Kriterienkatalog erarbeitet, an dem sie sich nun bei der Abarbeitung der Anträge orientieren können.“ Deshalb wünscht sich die Solarexpertin der Wattner AG, „dass Fachleute der Bezirksregierungen die Kommunen künftig unterstützen und die Vorgaben des neuen LEP mit Augenmaß und individuell für jede Kommune umsetzen.“
Und nicht nur das: „Wenn Standorte für Freiflächenanlagen ausgewiesen sind, ist dies leider oft genug da, wo es keine Möglichkeit für einen Netzanschluss gibt“, beklagt Nolte. Deshalb müsse es ein viel koordiniertes Vorgehen mit den Netzbetreibern geben.
Nicht nur diese Forderung unterstützt der LEE NRW:
• Neben der NRW-Taskforce Windenergie plädiert der LEE NRW für die Schaffung einer neuen Taskforce Solarenergie, die hilft, Tempo bei den Ausweisungen neuer Flächen zu machen;
• Für den LEE NRW muss die Landesregierung dafür sorgen, dass die vorhandenen Potenziale auf Freiflächen, aber auch bei Agri-, Floating- (schwimmende Solarparks) oder Parkplatz-PV an Autobahnen und Bundesstraßen viel besser genutzt werden;
• Informationskampagnen für die beschlossene Solarpflicht von Kommunen und Bürgern hält der LEE NRW für unverzichtbar, damit diese erfolgreich umgesetzt wird.
LEE NRW-Geschäftsführer Christian Mildenberger: „NRW steht vor einem Solar-Boom, der allerdings kein Selbstläufer ist. Notwendig ist deshalb noch mehr Unterstützung aus dem politischen Raum.“
Als Dachverband der Erneuerbare-Energien-Branche in Nordrhein-Westfalen bündelt der LEE NRW die Interessen aus allen Bereichen der Energiewende. Zum Verband zählen mittelständische Unternehmen, Verbände und Bürger. Das gemeinsame Ziel: 100% Erneuerbare Energien bis 2045 – in den Bereichen Strom, Wärme und Verkehr. Dafür engagieren sich auch fünf LEE-Regionalverbände als kompetente Ansprechpartner vor Ort. Denn im Energieland Nr. 1 ist die Branche wichtiger Arbeitgeber für 46.000 Beschäftigte, die 2017 ein Umsatzvolumen von 10 Mrd. Euro erwirtschafteten.
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