Derzeit fehlen in Deutschland rund 450 Wirkstoffe, denn die Lieferengpässe sind enorm. Mit dem Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz will der Bundestag jetzt Abhilfe schaffen. Was das für Apotheker und Ärzte bedeutet, erklärt Ecovis-Steuerberaterin Cirsten Schulz in Potsdam.

Medikamente wie Schmerzmittel, Antibiotika, Antidepressiva, Cholesterin- und Blutdrucksenker oder Fiebersaft sind momentan knapp. Doch das Problem der Lieferengpässe bei der Arzneimittelversorgung besteht schon seit vielen Jahren. Das betrifft insbesondere patentfreie Arzneien. Ursachen dafür sind

  • der steigende Kostendruck,
  • die Verlagerung der Industrie in das EU-Ausland sowie
  • die unerwartet steigende Nachfrage aufgrund von Infektionswellen.

Am 23. Juli 2023 beschloss der Bundestag daher das Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG). Damit will er Lieferengpässe bei patentfreien Arzneimitteln bekämpfen und die Versorgung mit Kinderarzneimitteln verbessern.

Wie das ALBVVG die Versorgung sichern soll

Das ALBVVG hat das Ziel, die Versorgungssicherheit mit Arzneimitteln kurz- und langfristig zu stärken. Vorgesehen sind strukturelle Maßnahmen bei Festbeträgen, Rabattverträgen sowie in der Medikamentenproduktion. Ein besonderer Fokus liegt auf der Verfügbarkeit von Kinderarzneimitteln. Die Änderungen sind teilweise bereits am 27. Juli 2023 und am 1. August 2023 in Kraft getreten.

Durch das neue Gesetz sind Antibiotika mit Wirkstoffproduktion in der EU und im Europäischen Wirtschaftsraum bei Ausschreibungen von Kassenverträgen zusätzlich zu berücksichtigen. Außerdem soll sich das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) mit der Einrichtung eines Frühwarnsystems zur Erkennung von drohenden Lieferengpässen beschäftigen. Das BfArM erhält dafür zusätzliche Informationsrechte, unter anderem gegenüber Herstellern und Krankenhausapotheken.

Was Apotheker wissen müssen

Seit Anfang August 2023 gibt es neue Austauschregeln für Apotheken. Wenn ein Arzneimittel nicht verfügbar ist, dürfen Apothekerinnen und Apotheker künftig ein wirkstoffgleiches Arzneimittel abgeben. Sie müssen dazu nicht nochmals Rücksprache mit der Ärztin oder dem Arzt halten. Für einen solchen Austausch sollen Apotheken und Großhändler einen Zuschlag erhalten. Soweit sie Medikamente lediglich in Kleinpackungen abgeben können oder sie aus einer Packung nur eine Teilmenge des Medikaments nehmen, ist die Zuzahlung für die Versicherten auf die abgegebene Menge begrenzt.

Krankenhausapotheken oder krankenhausversorgende Apotheken müssen ihre Vorräte an parenteral anzuwendenden Arzneimitteln und Antibiotika zur intensivmedizinischen Versorgung aufstocken. Wenn bei Krebsarzneimitteln ein Engpass abzusehen ist, betrifft dies auch Apotheken, wenn sie die daraus anwendungsfertigen Zubereitungen herstellen.

Welche Neuregelungen medizinisches Personal betreffen

Die telefonische Krankschreibung hat sich während der Corona-Jahre bewährt. Sie soll künftig dauerhaft möglich sein. Allerdings bezieht sich dies nur auf Patientinnen und Patienten, die der Hausarztpraxis bereits bekannt sind. Zudem dürfen die Betroffenen keine schweren Symptome haben. Genaueres dazu soll der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) regeln.

Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter dürfen ab sofort auch Betäubungsmittel verabreichen, wenn das beispielsweise zur akuten Schmerzbehandlung bei Unfällen notwendig ist und keine Ärztin oder kein Arzt zur Verfügung steht.

Was pharmazeutische Unternehmen beachten müssen

Pharmazeutische Unternehmen müssen jetzt Vorräte für rabattierte Arzneimittel anlegen. Dabei ist eine Lagerhaltung von sechs Monaten vorgeschrieben. Das soll kurzfristigen Lieferengpässen vorbeugen. Die Bevorratung von Kinderarzneimitteln ist auf vier Wochen zu erhöhen.

Für Kinderarzneimittel lockert das Gesetz zudem die Preisregeln. Das bedeutet: Festbeträge und Rabattverträge soll es nicht mehr geben. Pharmazeutische Unternehmer können ihre Abgabepreise einmalig um bis zu 50 Prozent des zuletzt geltenden Festbetrags beziehungsweise des Preismoratoriums-Preises anheben. Festbetragsgruppen für Kinderarzneimittel entfallen. Dabei sollen auch Zuzahlungsbefreiungsregeln den Preisdruck senken. Statt der bisherigen 30 Prozent beträgt die Zuzahlungsbefreiungsgrenze künftig nur noch 20 Prozent.

Im Fall einer Marktverengung besteht in Zukunft die Möglichkeit, Preisinstrumente für versorgungskritische Arzneimittel zu lockern. Wenn es bei einem wichtigen Arzneimittel zu wenige Anbieter gibt, können Festbeträge oder Preisvereinbarungen zwischen Hersteller und Apotheken einmalig um 50 Prozent steigen.

Das Fazit zu den neuen Regelungen gegen Lieferengpässe

„Welche Wirkung die neuen Bestimmungen haben, bleibt abzuwarten. Mediziner, Apotheker und Pharmaunternehmen sollten die weitere Entwicklung auch mit Blick auf weitere gesetzliche Änderungen verfolgen und sich bei der Auslegung der Neuregelungen beraten lassen“, empfiehlt Steuerberaterin Cirsten Schulz in Potsdam. „Wird das Gesetz erfolgreich umgesetzt, lassen sich Lieferengpässe künftig hoffentlich vermeiden“, sagt die Ecovis-Expertin.

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