Der Seehundbestand im Niedersächsischen Wattenmeer hat sich auf hohem Niveau stabilisiert: 8.912 Tiere sind in diesem Sommer während der Flüge im Wattengebiet zwischen Ems und Elbe gezählt worden. Das sind knapp 200 Seehunde mehr als in 2022 (8.723). Der Nachwuchsbestand mit 2.195 Tieren bleibt nach wie vor konstant (2022: 2.176). Das ist das Ergebnis des diesjährigen Seehundmonitorings des Niedersächsischen Landesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LAVES).

Die Seehunde machen einen vitalen Eindruck. „Bei den Untersuchungen hat sich gezeigt, dass es keine Hinweise auf mögliche Viruserkrankungen, wie beispielsweise Seehundstaupe oder Vogelgrippe (Influenza H5N1), gibt“, erläutert Prof. Dr. Eberhard Haunhorst, Präsident des LAVES. Seehunde, die tot an der Küste angespült werden, sichtbar erkrankt sind und eingeschläfert werden müssen, werden im Lebensmittel- und Veterinärinstitut (LVI) Oldenburg des LAVES untersucht. „Meeressäuger sind Spitzenprädatoren und damit ein wichtiger Bioindikator für den einzigartigen Lebensraum Wattenmeer“, so der Veterinär Haunhorst weiter. Anzahl und Gesundheitszustand lassen Rückschlüsse auf Wasserqualität und Fischbestand zu. Und damit auch auf das empfindliche Lebensmittel Fisch.

Meeressäuger tragen ein hohes Infektionspotential in sich und werden auch deshalb intensiv beobachtet. Im LVI Oldenburg wurden im Zeitraum von 2022 bis heute 82 Tiere (Seehunde, Kegelrobben und Schweinswale) untersucht. Die Pathologen im LVI Oldenburg haben bei den Tieren einen massiven Parasitenbefall festgestellt. Vor allem in der Lunge und auch im Darm werden regelmäßig verschiedene Parasitenarten nachgewiesen. „Dies ist bei Wildtieren zunächst nichts Ungewöhnliches, doch der Befall ist höher als erwartet und muss weiter beobachtet werden. Eine mögliche Ursache könnte die Beeinträchtigung der Immunsysteme der Tiere durch Umwelteinflüsse sein“, erläutert Haunhorst. Im Übrigen wurde der Erreger Erysipelothrix rhusiopathiae in Niedersachsen nicht nachgewiesen, der 2021 für das Verenden von Schweinswalen vor der niederländischen Nordseeküste verantwortlich war. Der Erreger kann die Erkrankung Rotlauf beim Menschen und bei Schweinen auslösen.

Das LAVES beabsichtigt in Zusammenarbeit mit der Nationalparkverwaltung die Untersuchungen der Meeressäuger weiter auszuweiten, um noch mehr über den Gesundheitszustand des Wattenmeeres zu erfahren. In diesem Jahr wurden die Wattenmeer Anrainer Kommunen gebeten, möglichst alle Strandungen zu melden, um einen besseren Überblick zu bekommen.

Rückblick: 1988 und 2002 zog die Seuche „Seehundstaupe“ durch die Population. 1988: Der geringe Seehundbestand an der Niedersächsischen Küste von knapp 2.500 Tieren reduzierte sich auf 1.400.

2002: 3.851 Seehunde wurden tot aufgefunden – der Bestand von rund 6.500 Tieren reduzierte sich um weit mehr als die Hälfte. Im jeweiligen Folgejahr wurden lediglich 229 (1989) beziehungsweise 799 Jungtiere (2003) gezählt.

Die beste Zeit für die Zählung ist bei Niedrigwasser von Juni bis August. In den Sommermonaten kommen die Seehunde vermehrt an Land, um ihre Jungen aufzuziehen, um sich zu sonnen und um ihr Fell zu wechseln. Die Tiere ruhen auf den Sandbänken und können so vom Flugzeug aus gezählt werden.

Doch das Wetter war nicht gut: teils stürmische Winde, Gewitter und starker Regen beeinträchtigten die diesjährigen Zählflüge. Seehunde reagieren sensibel auf Wetteränderungen und auf Störungen durch den Menschen, dann ziehen sie sich ins offene Meer zurück. Dies hat sich deutlich auf die Zählergebnisse ausgewirkt. Flüge mussten abgesagt, abgebrochen und verlegt werden. Seehunde mögen es sonnig und ruhig, dann kommen sie an Land und können gezählt werden.

15 Flüge – fünf Termine mit jeweils drei Propellermaschinen – standen für das Monitoring auf dem Plan. Dafür wurde das niedersächsische Küstengebiet in drei Abschnitte aufgeteilt. Die Kleinflugzeuge (3) starteten pro Termin: ab Emden, Mariensiel und Nordholz. An den Zählungen waren auch in diesem Jahr niedersächsische Jäger ehrenamtlich beteiligt, die von Wissenschaftlern des LAVES begleitet wurden. Sie verschafften sich zudem einen Gesamteindruck über den Gesundheitszustand der Meeresbewohner. Die ersten Flugzeuge starteten am 9. Juni, die letzten am 24. August.

Das jährliche Seehundmonitoring wird vom LAVES seit 2005 für Niedersachsen organisiert und koordiniert. Schon seit 1958 wird der Seehundbestand in Niedersachsen systematisch erfasst: Bis 1972 wurde von Schiffen aus gezählt und seither aus der Luft aus Flugzeugen. Grundlage für die Zählung ist seit 1990 das Internationale Seehundschutzabkommen zwischen Deutschland (Niedersachsen und Schleswig-Holstein), Dänemark und den Niederlanden. Gemeinsames Ziel ist die Erhaltung eines dem Ökosystem angepassten vitalen Seehundbestandes. Im Rahmen dieses Abkommens starten die Zählungen dieser Länder zeitgleich, um Doppelzählungen der sehr mobilen Seehunde zu vermeiden.

Die Trilaterale Seehundexpertengruppe führt im Herbst alle Ergebnisse aus den Ländern zusammen und bewertet die Daten für den gesamten Seehundbestand im UNESCO Weltnaturerbe Wattenmeerzwischen Den Helder, Emden, Husum und Esbjerg. Das LAVES vertritt Niedersachsen in dieser internationalen Expertengruppe.

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