Der geleakte Entwurf der EU-Kommission für ein neues Gentechnik-Gesetz missachtet das Vorsorgeprinzip und öffnet einer zunehmenden Patentierung Tür und Tor. Wie die Koexistenz von Anbauformen mit und ohne Gentechnik in der Praxis sichergestellt werden könnte, beschreibt er nicht.

Wenige Wochen, bevor die EU-Kommission am 5. Juli offiziell ihren neuen Gesetzesentwurf für den Umgang mit Gentechnik präsentieren will, ist ein erster Entwurf aus Brüssel durchgesickert. Demnach würde das jahrzehntelang in der EU geltende Vorsorgeprinzip abgeschafft und Neuen Gentechniken sowie deren Patentierung ein Freifahrtschein ausgestellt. Der Ökolandbau soll zwar für alle Gentechnik weiter verschlossen bleiben – wie gentechnikfreie Landwirtschaft künftig sichergestellt werden könnte, beschreibt der Entwurf jedoch nicht.

„Man kann ihn förmlich hören, den Jubel hinter den Türen der Gentechnik-Industrie. Sie hat es offensichtlich geschafft, die EU-Kommission von einem Freifahrtschein für die Neue Gentechnik zu überzeugen. Damit verbschiedet man sich in der EU vom lange gültigen Vorsorgeprinzip“, kommentiert Bioland-Präsident Jan Plagge. Kernelement des geleakten Entwurfs ist die Einteilung der durch die neuen genomischen Züchtungstechniken (NGT) wie CRISPR/Cas erzeugten Pflanzen in zwei Kategorien: eine ohne und eine mit Zulassungsverfahren. Demnach würde der Großteil aller NGT-Pflanzen in die erste Kategorie fallen und damit weder auf Risiken geprüft noch am Endprodukt gekennzeichnet werden.

Aus für gentechnikfreie Regionen – nur Bio bleibt frei, aber wie?

Zudem werden die Möglichkeiten von Mitgliedstaaten, den Anbau von genom-editierten Pflanzen vor Ort zu regeln und einzuschränken, abgeschafft. Sie dürfen auch lokal keine Einschränkungen mehr machen, wie es heute noch zum Beispiel in gentechnikfreien Regionen möglich ist. Jan Plagge: „Es ist absolut inakzeptabel, dass die Mitgliedsstaaten nun offenbar ihrer Souveränität beraubt werden und einer nicht gekennzeichneten Gentechnik einen Freibrief geben müssen. Das mag im Sinne der Gentechnik-Lobby sein – im Sinne der Menschen in Europa, die weiter wählen können wollen, ob sie zu Gentechnik greifen oder nicht, ist es nicht.“

Immerhin erkennt die EU-Kommission in dem Entwurf an, dass Gentechnik den Grundprinzipien von Bio widerspricht und hält den Ökolandbau für alle Gentechniken, auch die neuen, verschlossen. Das begrüßt Plagge grundsätzlich: „Um unsere Lebensmittelsysteme wirklich nachhaltig zu machen, müssen wir uns von vermeintlich einfachen, kurzfristigen Lösungen verabschieden. Die Gentechnik mit ihren bislang leeren Nachhaltigkeitsversprechen und einem engen Fokus auf bestimmte Gene oder Merkmale ignoriert die Komplexität der Wechselwirkungen der Ökosysteme. Damit steuern wir in die nächste Sackgasse von Abhängigkeiten und vergrößern die Instabilität unserer Agrar- und Ernährungssysteme.“ Bio hingegen brauche keine Gentechnik und biete einen systembasierten Ansatz, der Innovationstreiber für die gesamte Landwirtschaft sei.

Allerdings lässt der Gesetzes-Entwurf offen, wie Gentechnikfreiheit in der Praxis zukünftig funktionieren könnte: Denn bis auf die Kennzeichnung von Saatgut und einem Transparenzregister sind dort kaum Möglichkeiten beschrieben, wie eine Ko-Existenz von Bewirtschaftungsformen mit und ohne Gentechnik verursachergerecht geregelt werden kann.

Fragen der Patentierung bleiben offen – IFOAM übergibt Resolution an Kommission

Gänzlich außen vorgelassen werden von dem Entwurf alle Fragen der Patentierung. Dabei ist klar: die neue Gentechnik befeuert Patente – nicht nur auf Sorten, sondern vor allem auf genetische Eigenschaften, zum Beispiel auf bestimmte Resistenzeigenschaften von Wildsorten. „Es geht vor allem um ein sehr lukratives Geschäftsmodell für Agrochemie-Konzerne“, ist sich Plagge sicher. Die Befürworter behaupten, CRISPR/Cas und Co mache nichts anderes als herkömmliche Züchtung. Doch es handelt sich im Gegensatz zur klassischen Züchtung um ein (gen)technisches Verfahren – und das ist auch für die Konzerne wichtig, denn: pflanzliche Eigenschaften können nur patentiert werden, wenn sie durch ein technisches Verfahren erzeugt werden können. Damit fallen dann aber alle Sorten, auch die herkömmlich gezüchteten Sorten mit diesen patentierten Eigenschaften, unter das Lizenzsystem der Agrochemie. „Abhängigkeiten der landwirtschaftlichen Betriebe von riesigen Konzernen werden dadurch gefördert. Auch in diesem Punkt ist der Gesetzesvorschlag in der durchgestochenen Form also völlig untauglich und die EU-Kommission darf ihn daher erst gar nicht auf den Verhandlungstisch bringen“, so Plagge.

Um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen, hatte die europäische Bio-Dachorganisation IFOAM Organics Europe auf der Generalversammlung am Mittwoch in Brüssel eine Resolution zur Neuen Gentechnik verabschiedet und diese an EU-Kommissar Janusz Wojciechowski überreicht.

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