Reporter ohne Grenzen (RSF) ist empört, dass die türkischen Behörden sogar nach einer Katastrophe wie dem Erdbeben vom 6. Februar Medienschaffende behindern, festnehmen und auf andere Arten schikanieren.

Zu den Verletzungen der Pressefreiheit, die RSF seit den ersten Beben beobachtet hat, gehören physische Gewalt, Festnahmen, Gerichtsverfahren, Verfolgung im Netz und die Einschränkung von Twitter. Medienschaffende wurden beschuldigt, „die Polizei oder den Staat zu diffamieren“. Es wird immer deutlicher, dass das Regime versucht, die Berichterstattung über die Katastrophe und die Reaktion der Behörden zu kontrollieren.

„Die türkischen Behörden dürfen die Tragödie nicht ausnutzen, um die Pressefreiheit noch weiter einzuschränken. Die zahlreichen Angriffe, Festnahmen und Einschüchterung gegen Medienschaffende sind alarmierend. Sie müssen sofort aufhören. Reporterinnen und Reporter, die zurzeit in die verwüsteten Gebiete fahren, tun nur ihre Arbeit und das unter schrecklichen Bedingungen. Ihre Berichterstattung ist wichtiger denn je“, erklärt RSF-Geschäftsführer Christian Mihr.

Aggression, Ausweisung, Festnahmen und Einschüchterung

Allein für den 8. Februar registrierte RSF drei Fälle, in denen Medienschaffende aus fadenscheinigen Gründen hinter Gittern landeten. Mahmut Altintas, ein Reporter der kurdischen Mesopotamia Agency (MA), und Sema Caglak, eine Reporterin der Frauen-Nachrichtenseite JinNews, wurden in Birecik unter dem Vorwand festgenommen, dass sie keine offiziellen Presseausweise hätten. MA-Reporter Mehmet Güles wurde gemeinsam mit einem freiwilligen Helfer in Diyarbakir wegen des Verdachts auf „Schüren von Hass“ festgesetzt. Er wurde später zwar entlassen, steht aber weiter unter Aufsicht.

Medienschaffende berichten, dass die Polizei sie physisch angegriffen und bedroht habe: So sei Ferit Demir, ein Reporter von Halk TV, einem regierungskritischen Sender, von einem Mitglied der Anti-Terrorismus-Polizei mehrfach getreten worden, als er über den Einsatz der Regierungsbehörde für Naturkatastrophenmanagement (AFAD) in der südöstlichen Provinz Malatya berichtete.

Irem Afsin, eine Journalistin, die für ein internationales Medienunternehmen arbeitet, sagte, der Polizeichef der Provinz Urfa habe am 8. Februar versucht, sie mit den folgenden Worten einzuschüchtern: „Wenn du es wagst, schlecht über unseren Staat zu sprechen, werde ich dir den Geldhahn zudrehen, dich rausschmeißen und mich um dich kümmern.“ Sie sagte, die Polizei sei noch feindseliger geworden, nachdem Präsident Erdogan am 7. Februar den dreimonatigen Ausnahmezustand über die zehn vom Erdbeben betroffenen Städte verhängt hatte.

Auch die Beschränkungen für ausländische Medien wurden verschärft. Das Präsidialamt für Kommunikation schreibt ein Akkreditierungsverfahren für internationale Medien vor, die in die Erdbeben-Gebiete reisen und mit den Opfern sprechen wollen. Guillaume Perrier, einem bekannten Reporter der französischen Wochenzeitung Le Point, wurde am 8. Februar die Einreise verweigert. Die Begründung: Seine Berichterstattung stelle eine „Bedrohung der nationalen Sicherheit“ dar.

Kontrolle der Berichterstattung

Auch online wurde der Zugang zu Informationen eingeschränkt. Das Internet war am 7. Februar für mehr als zehn Stunden stark eingeschränkt. Das war genau der Moment, als Vorwürfe wegen des miserablen Krisenmanagements der Regierung laut wurden. Einer davon lautete, dass der Staat lange keine Hilfe in die regierungskritischen und mehrheitlich kurdischen Gebiete schickte und viele Menschen sterben mussten, die eigentlich hätten gerettet werden können. Die Regierung besteht aus einer Koalition von Präsident Recep Tayyip Erdogans islamistischer AKP mit der kleineren, ultranationalistischen MHP.

Die Organisation NetBlocks berichtete am 8. Februar, dass ihre Daten bestätigt hätten, dass der Zugang zu Twitter in der Türkei eingeschränkt war. „Die Blockade wird bei den großen Internetanbietern angewandt und kommt zu einem Zeitpunkt, an dem die Öffentlichkeit nach einer Reihe von tödlichen Erdbeben auf den Dienst angewiesen ist“, so NetBlocks. Die Beschränkungen lösten einen Aufschrei in den sozialen Medien aus. Twitter wird nicht nur von zahlreichen Medienschaffenden in den Erdbebengebieten genutzt, sondern auch von der Öffentlichkeit, etwa um Hilferufe zu übermitteln.

Es gab viele verbale Angriffe auf Medienschaffende im Internet, sowohl von Trollen als auch von Politikerinnen und Politikern. Eine davon war Elif Sahin, Abgeordnete der AKP aus Istanbul, die am 13. Februar in einem Tweet behauptete, dass „die ausländischen Medien zum Sprachrohr einer Handvoll Personen geworden sind, die den Staat verabscheuen“.

Seyhan Avsar hatte über den Tod eines Jugendlichen berichtet, der wegen „Plünderung“ in Altinözü, einer Stadt in der Nähe von Antakya, verhaftet worden war. Avsar musste daraufhin eine Einschüchterungskampagne in den sozialen Medien über sich ergehen lassen. So ging es auch Deniz Zeyrek, ein Reporter und Kommentator des in der Türkei sehr kritischen Fernsehsenders Fox TV, der sagte: „Die Behörden versuchen, die Oberhand zu gewinnen, und das in einer Katastrophe, in der ihre ungeheuerliche Nachlässigkeit und Inkompetenz für jeden offensichtlich ist.“

Rundfunkanstalten gewarnt

Der Rundfunkrat (RTÜK) – der von den Regierungsparteien dominiert wird – schlug bereits wenige Stunden nach dem ersten Erdbeben einen aggressiven Ton an und sprach eine strenge Warnung an unabhängige Medien aus, die über die zunehmenden Reaktionen und Hilferufe aus den betroffenen Regionen in Südostanatolien berichteten.

„Die Rundfunkanstalten dürfen per Gesetz keine Informationen verbreiten, die Desinformation darstellen oder die Menschen in Panik versetzen“, warnte RTÜK-Präsident Ebubekir Sahin. „Wir verfolgen diejenigen genau, die versuchen, eine ganz andere Wahrnehmung zu erzeugen, während alle Behörden, einschließlich der Armee und der Polizei, vor Ort im Einsatz sind. Wir können nicht die Augen vor Medien verschließen, die sich der Manipulation hingeben.“

Okan Konuralp, ein Mitglied der Opposition bei RTÜK ermutigte Medien dazu, frei zu berichten. „Lasst euch von diesen Drohungen nicht einschüchtern“, sagte er. „Was das Land heute vor allem braucht, sind Solidarität und die Wahrheit.“

Bei dem Erdbeben waren in Städten wie Antakya, Gaziantep und Adiyaman rund 20 Medienschaffende ums Leben, darüber hinaus Tausende in Syrien. Die Gesamtzahl der Todesopfer wird derzeit auf etwa 32.000 geschätzt, doch steigt stündlich weiter an.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit liegt die Türkei auf Platz 149 von 180.

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