Die Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch zieht zum Ende des ersten Regierungsjahres der Ampelkoalition eine gemischte klimapolitische Bilanz. Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch: „Im Vergleich zur Vorgängerregierung macht die Ampel im Bereich der Erneuerbaren Energien und der nationalen sowie internationalen Klimapolitik vieles besser. Noch ist die Regierung aber weit entfernt vom wissenschaftlich Notwendigen und dem im Koalitionsvertrag Versprochenen. Völlig unzureichend ist die Politik im Verkehrssektor, da sich der zuständige Minister Wissing gesetzeswidrig weigert, ein Maßnahmenpaket vorzulegen, das die gewaltige Lücke zum Einhalten des Klimaschutzgesetzes schließen kann.“

Auch im Bereich der Energieeffizienz müsse noch viel mehr passieren. Bals weiter: „Bundeskanzler Scholz hat zwar seine Richtlinienkompetenz genutzt, um ein Energieeffizienzgesetz noch für dieses Jahr anzukündigen. Doch bisher sieht es nicht so aus, dass das bis Jahresende noch kommt. Der Bundeskanzler trägt die Verantwortung für die Bundesregierung als Ganzes. Er hat im Wahlkampf als „Klimakanzler“ für sich geworben – diesem Anspruch wird er bisher nicht gerecht, obwohl der neue IPCC-Bericht die Dringlichkeit dazu unterstrichen hat.“

Osterpaket und internationale Klimapartnerschaften auf der Habenseite

Auf der Habenseite der Koalitionsbilanz sieht Germanwatch insbesondere das „Osterpaket“. „Dies ist das bislang ambitionierteste Gesetzespaket zur Beschleunigung des Ausbaus der Erneuerbaren Energien, das wir in Deutschland je gesehen haben“, betont Bals. Auch die vor kurzem angekündigten industriepolitischen Initiativen, damit in Europa wieder mehr Windkraftanlagen, Solarmodule und Wärmepumpen produziert werden, seien zu begrüßen. Positiv sind ebenso die Klimaschutzverträge, die ab dem kommenden Jahr die Dekarbonisierung der energieintensiven Industrie unterstützen sollen sowie der Ausstieg aus der Energiecharta.

Überdies sieht Germanwatch einen Aufbruch in der internationalen Klimapolitik. „Deutschlands Klima- und Entwicklungspartnerschaften mit Ländern wie Indien oder Kenia und die gemeinsam mit anderen G7-Ländern vorangetriebenen Partnerschaften für eine gerechte Energiewende mit Südafrika, Indonesien, Vietnam, Senegal und auch in diesem Kontext Indien können der Beginn einer sehr wirkungsvollen internationalen Zusammenarbeit für das Klima sein. Auch der Beschluss der UN-Klimakonferenz zum Aufbau einer Architektur und eines Fonds zur Unterstützung der verletzlichsten Staaten beim Umgang mit klimabedingten Schäden und Verlusten ist ein Durchbruch für mehr Klimasicherheit, der ohne das Wirken der neuen Bundesregierung wohl nicht gelungen wäre“, so Bals.

Sollseite: Klimaschutzsofortprogramm für alle Sektoren fehlt weiterhin

Ein Blick auf die Sollseite der Koalition zeigt jedoch: Der Aufbruch in einigen Politikfeldern kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Regierung Scholz das zentrale klimapolitische Versprechen des Koalitionsvertrags noch nicht einhält. Christoph Bals: „Viele der großen Krisen der Gegenwart sind angetrieben vom Geschäftsmodell der fossilen Energieträger Kohle, Öl und Gas. Sie sind die wichtigste Ursache für die eskalierende Klimakrise. Die Einnahmen aus dem Export von Öl und Gas finanzieren sowohl den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine als auch ein die Menschenrechte mit Füßen tretendes Regime im Iran. Aber anders als im Koalitionsvertrag vereinbart, hat die Regierung im ersten Jahr kein Klimaschutzsofortprogramm mit einem verbindlichen Fahrplan vorgelegt, wie in allen Sektoren die Klimaziele für 2030 eingehalten werden sollen. Dass wir auf dieses Programm noch immer warten, ist vor allem ein Resultat der Blockade der FDP.“

 Im Verkehrsbereich werden bislang weder das Dienstwagenprivileg angepackt, mit dem vor allem SUVs in den Markt hineingedrückt werden, noch gibt es die notwendigen Anreize, anstelle von großen Autos mit Verbrennungsmotor kleinere E-Autos zu kaufen. „Fehlanzeige auch bei der im Koalitionsvertrag vereinbarten Umschichtung der Mittel vom Autobahnbau zur unterfinanzierten Schiene“, erklärt Bals. Zudem setze der Bundeskanzler in der Energiekrise bislang einseitig auf Diversifizierung der fossilen Importe anstatt auch massiv durch Energieeffizienz und weitere Beschleunigung von Elektrifizierung mit Erneuerbaren Energien Öl und Gas einzusparen. Das angekündigte ambitionierte Energieeffizienzgesetz lässt bislang auf sich warten.

Christoph Bals betont: „Olaf Scholz steht in der Verantwortung. Er muss sicherstellen, dass sich alle Mitglieder seines Kabinetts an geltendes Recht halten. Das bedeutet: Verkehrsminister Wissing muss endlich die Sofortmaßnahmen in seinem Ressort zum Schließen der Lücke zur Zieleinhaltung vorlegen, zu denen er laut Klimaschutzgesetz verpflichtet ist. Der Kanzler muss zudem sicherstellen, dass in allen Sektoren nicht nur der Ausbau Erneuerbarer Energien, sondern auch die Energieeffizienz massiv vorangetrieben werden. Es ist insbesondere seine Verantwortung dafür zu sorgen, dass Deutschland nicht mehr lange die eskalierende Klimakrise sowie das Untergraben von Menschenrechten und Demokratie weltweit über seine Öl- und Gasrechnungen bezahlt.“

Olaf Scholz muss nun zeigen, dass er Klimakanzler kann

Nach Einschätzung von Germanwatch steht in den nächsten Wochen die klimapolitische Reputation von Olaf Scholz im In- wie im Ausland auf dem Spiel. „Olaf Scholz muss zeigen, dass er Klimakanzler kann. Er muss alle Ressorts auf den Kurs zum schnellen Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas und damit Klimaschutzkurs bringen.“ Dringend nötig sind nach Einschätzung von Germanwatch ein ambitioniertes Effizienzgesetz, die Umsetzung aller Vorschläge der Gaskommission und ein Förderprogramm für die energetische Sanierung der am schlechtesten isolierten Häuser, in denen tendenziell Menschen mit geringeren Einkommen leben. Damit könnten die Gasnachfrage und damit die Heizkosten für die betroffenen Menschen deutlich gesenkt werden.

Entscheidend für einen schnelleren Ausstieg aus dem Öl ist zudem, dass die Regierung neben der beschleunigten Umstellung auf Elektromobilität und kleinere Autos den Ausbau des Schienennetzes massiv vorantreibt. Die Infrastrukturpläne sind entsprechend auf Klimazielerreichung umzustellen. Bals: „Die Bundesregierung hat in diesem Krisenjahr versucht, das Krisenmanagement gut umzusetzen. Allerdings wurde das Geld mit der Gießkanne verteilt, statt gezielt denjenigen Menschen zu helfen, die finanzielle Unterstützung wirklich benötigen. Und neben dem Management der Krise wurden bisher die strukturellen Ursachen der Krise, das Beenden der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern, nicht ernsthaft genug angepackt.“

Auch auf europäischer Ebene bestehe Handlungsbedarf für den Bundeskanzler, so Bals: „Innerhalb der EU erwarten wir, dass die Bundesregierung eine Erhöhung der Ziele für Erneuerbare Energien und Effizienz unterstützt, damit die Energiekrise möglichst schnell strukturell überwunden werden kann." Nur so könne die EU auch ihre Klimaziele erhöhen und auf den 1,5-Grad-Pfad kommen.

"Auf internationaler Ebene muss der Kanzler dringend Abstand nehmen von Plänen zur Erschließung neuer fossiler Lagerstätten, beispielsweise im Senegal. Diese brauchen wir bei ausreichend Effizienzfortschritten auch gar nicht. Sowohl für das Klima als auch für die Überwindung der Energiekrise wäre es besser, Länder des Globalen Südens stärker beim Ausbau der Erneuerbaren Energien, Energieeffizienz und grünen Wasserstoffs zu unterstützen und so auch international die Gasnachfrage zu senken. Um das leisten zu können, muss auch Deutschlands internationale Klimafinanzierung in den nächsten Jahren verlässlich wachsen", so Bals abschließend.

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