Bei der Frage, ob Mehrarbeitszuschläge zu zahlen sind, sind nicht nur die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden, sondern auch Urlaubsstunden zu berücksichtigen, entschied jetzt das Bundesarbeitsgericht (BAG). Nach Ansicht des BAG stehe das Unionsrecht einer Regelung in einem Tarifvertrag entgegen, die für das Erreichen des Schwellenwertes für Mehrarbeitszuschläge nur die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden berücksichtig. Es sind auch die Stunden, die dem vom Arbeitnehmer in Anspruch genommenen Mindestjahresurlaub entsprechen, für die Berechnung des Schwellenwertes heranzuziehen, so die Erfurter Richter (Urteil vom 16.11.2022 – 10 AZR 210/19).

BAG folgt der Entscheidung des EuGH

Das BAG folgt damit einer Entscheidung des Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH), dem es die Frage vorgelegt hatte, ob das Unionsrecht einer solchen Regelung in einem Tarifvertrag entgegenstehe (EuGH, Urteil vom 13.01.2022 – C-514/20). Ein „Mechanismus“, bei dem die Inanspruchnahme von Urlaub für den Arbeitnehmer ein geringeres Entgelt nach sich ziehen kann, da dieses um den für tatsächlich geleistete Überstunden vorgesehenen Zuschlag beschnitten wird, sei nach Ansicht des EuGH dazu geeignet, den Arbeitnehmer davon abzuhalten, in dem Monat, in dem er Überstunden erbracht hat, von seinem Recht auf bezahlten Mindestjahresurlaub Gebrauch zu machen. Jede Praxis oder Unterlassung eines Arbeitgebers, die den Arbeitnehmer davon abhalten kann, seinen Mindestjahresurlaub zu nehmen, verstößt gegen das mit dem Recht auf bezahlten Mindestjahresurlaub verfolgte Ziel.

Sachverhalt

Der Kläger ist bei dem beklagten Unternehmen als Mitarbeiter in Vollzeit mit einem Bruttostundenlohn von 12,18 Euro beschäftigt. Für das Arbeitsverhältnis gilt der Manteltarifvertrag in der Fassung vom 17. September 2013 (MTV), den der Arbeitgeberverband iGZ mit den Gewerkschaften des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) abgeschlossen hat. Nach § 4.1.2. MTV werden Mehrarbeitszuschläge in Höhe von 25 % unter anderem für Zeiten gezahlt, die in Monaten mit 23 Arbeitstagen über 184 geleistete Stunden hinausgehen. Im Monat August 2017, auf den 23 Arbeitstage entfielen, arbeitete der Kläger 121,75 Stunden und nahm 10 Tage Urlaub, die das beklagte Unternehmen mit 84,7 Stunden abrechnete.

Geleistete Stunden

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass es nach dem Wortlaut des § 4.1.2. MTV nur auf tatsächlich geleistete Stunden ankomme. Sie vergütete keine Mehrarbeitszuschläge, da der Kläger im August 2017 tatsächlich nicht mehr als 184 Stunden gearbeitet habe. Mit der Klage macht der Kläger für den Monat August 2017 Mehrarbeitszuschläge in Höhe von 72,32 Euro geltend. Er hat die Ansicht vertreten, bei der Berechnung der Mehrarbeitszuschläge müssten die für Urlaub abgerechneten Stunden einbezogen werden. Das BAG gab dem Mitarbeiter Recht. Allerdings sprach es dem Mitarbeiter nicht die eingeklagten 72,32 Euro zu, sondern lediglich 68,36 Euro.

Begründung folgt

Bisher liegt nur die Pressemitteilung 44/22 des BAG vor, die Entscheidungsgründe werden erst in einigen Monaten veröffentlicht. Die Pressemitteilung und die Ausführungen des Senats in der mündlichen Verhandlung am 16.11.2022 sprechen allerdings dafür, dass die für einen Urlaubstag nach § 6a MTV ermittelten Stunden nach Ansicht des BAG berücksichtigt werden müssen (22,45 Stunden x 12,18 Euro x 0,25 = 68,36 Euro).

Keine Entscheidung allein für die Zeitarbeit

„Das Vorlageverfahren betrifft keine zeitarbeitsspezifische Frage. Auch Tarifverträge anderer Branchen dürften von der Entscheidung des BAG betroffen sein. Viele Tarifverträge stellen ebenfalls auf „geleistete“ Stunden zur Berechnung etwaiger Mehrarbeitszuschläge ab“, erläutert RA Eric Odenkirchen, Leiter des iGZ-Fachbereich Arbeits- und Tarifrecht. Aus diesem Grund habe das Bundesarbeitsgericht (BAG) die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers auch wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfrage zugelassen.

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