Status quo und wirksame Booster für den Ausbau des Recyclings von Reifen und Gummi wurden auf dem 2. bvse-Forum „Recycling von Reifen und Gummi“ am 18./19. Oktober in Bonn diskutiert.

Zeit für Perspektivwechsel und politische Neubetrachtung

Über einen Zeitraum von mehr als 70 Jahren wurde in Deutschland eine große Bandbreite an qualitativ hochwertigen Recycling- und Verwertungsstrukturen für Altreifen- und Gummiabfälle aufgebaut. Doch bisher wurde der systemrelevante, aber “schwierige“ Stoffstrom auf politischer Ebene, obwohl im Koalitionsvertrag vereinbart, noch zu wenig beachtet. Dies soll sich künftig ändern, kündigte Ministerialdirigent Dr. Christoph Epping vom Bundesumweltministerium (BMUV) an.

„Es braucht einen Perspektivwechsel, um Kreisläufe langfristig zu schließen und damit die Rohstoffversorgung der Zukunft zu sichern“, erklärte Epping. „Dazu müssen Kreisläufe künftig vom Produkt aus gedacht werden. Dazu ist es aber auch notwendig, mit allen Beteiligten fachgerechte Diskussionen zu den einzelnen Stoffströmen und ihren spezifischen Anforderungen neu zu führen. Denn für die notwendige Transformation kann es keine allgemeine Lösung über alle Stoffströme hinweg geben. Künftige Regulierungen, die die Kreislaufwirtschaft und das Recycling weiter fördern sollen, müssen auf Basis von Fakten gemacht werden, damit sie auch praktisch funktionieren“, machte der BMUV-Ministerialdirigent deutlich.

Fakten für mehr Recycling, Ressourcen- und Umweltschonung

Eine wichtige Faktenbasis, die grundlegenden Input für künftige konstruktive Diskussionen um eine Förderung hochwertiger Verwertung und praxisbezogener Regelungen für das Recycling von Altreifen und Gummi geben wird, liefern die Ergebnisse des UBA-Vorhabens „Evaluierung der Erfassung und Verwertung“ mit Schwerpunkt Altreifen, die Christian Kitazume vom Umweltbundesamt vorstellte.

„Ein großes Problem stellte bisher die mangelnde Datenverfügbarkeit und das Fehlen einer „echten“ Statistik über den Altreifenanfall dar“, erklärte Kitazume. „Informationen basierten bislang auf Schätzungen, die alleine auf dem Reifenersatzgeschäft begründet waren. Nicht berücksichtigt wurde beispielsweise die große Dunkelziffer für die Reifenmengen, die jährlich illegal entsorgt oder abgelagert werden“, so der UBA-Experte.

Fehlender wirtschaftlicher Anreiz Gefahr für die umweltgerechte Entsorgung von Altreifen

„Altreifenentsorger handeln mit Abfällen, die einen negativen Marktwert besitzen. Das schafft Fehlanreize für eine ordnungsgemäße Sammlung und rohstoffsichernde Weiterleitung in hochwertige Verwertungswege. Die vom Letztbesitzer erhobenen Entsorgungskosten liegen durchschnittlich bei ca. 2-3 Euro pro Reifen – die Entsorgungskosten für den annehmenden Handel bzw. Reifenserviceunternehmen, die mit 80-90 % eine große Rolle bei der Rücknahme und Erfassung von Altreifen spielen, bewegen sich in einer Spannbreite von 40-135 Euro pro Tonne. „Das fehlende wirtschaftliche Interesse wird hier zu einer Gefahr für die umweltgerechte Entsorgung und den Weg der Altreifen in hochwertige Verwertungswege“, machte Kitazume deutlich.

Hochwertige Reifenverwertung ist mittelständisches Thema

„Das Know-how und die Strukturen für hochwertiges Recycling und Rohstoffsicherung in Deutschland sind da. Es liegt im Mittelstand und sollte auch künftig in dessen Aufgabenbereich bleiben“, betonte der bvse-Fachverbandsvorsitzende Bernd Franken. Abgesehen von den zertifizierten Entsorgungsfachbetrieben, die eine ordnungsgemäße und umweltgerechte Entsorgung der Reifen nachweislich sichern, fehlt jedoch ein flächendeckend funktionierender Kontrollmechanismus, der die illegale oder umweltschädigenden Entsorgung verhindert.

Gesetzlicher Weg über zertifizierte Altreifen-Entsorgungsfachbetriebe?

„Der Weg der Altreifen in eine möglichst hochwertige Verwertung sowie die nachweisliche Dokumentation einer ordnungsgemäßen und umweltgerechten Entsorgung sollte aus unserer Sicht klar gesetzlich geregelt werden. Dies könnte beispielsweise über die verpflichtende Annahme durch zertifizierte Altreifen-Entsorgungsfachbetriebe sichergestellt werden. Nur Reifen, die ordnungsgemäß sortiert und gesammelt werden, können später den etablierten hochwertigen Verwertungswegen als Input zur Verfügung stehen und mit zur künftigen Rohstoffsicherung beitragen“, betonte der Vorsitzende des bvse-Fachverbandes Recycling von Reifen und Gummi.

Wanted: Stabile und zuverlässige Allianzen für die Kreislaufwirtschaft

„Damit genügend Input und recyclingfähiges Material in den hochwertigen Verwertungswegen ankommt, benötigen wir verlässliche Allianzen, und das nicht nur im Handel“, machte Josef Hösl, Estkom GmbH, deutlich. Auch die Reifenhersteller müssen dazu über Regelungen stärker in die Kreislaufwirtschaft eingebunden werden. Wir müssen verhindern, dass Reifenhersteller durch fehlende Vorgaben für ein Design for Recycling in Zukunft noch mehr Reifen mit Materialien auf den Weg bringen, die im Recycling Probleme bereiten, warnte Hösl.

Recyclingpotenziale für Reifengranulate durch EU-Chemikalienrecht gebremst

Nach den Ergebnissen der neuen UBA-Studie betrug das Recycling mit der Gewinnung von Granulaten und Mehlen im Jahr 2018 rund 240.000 Tonnen. Den Einsatz von Granulaten und Mehlen aus dem Recycling sieht die UBA-Erhebung aufgrund der ökologisch vorteilhaften Eigenschaften in hochwertigen Anwendungen und als gleichwertigen Neuwarensatz. „Je nach Produkt sind hier Treibhausgaseinsparungen von über 50 Prozent möglich. Das hat Potenzial für die Zukunft. Bis zum Jahr 2030 wird hier eine Menge von bis zu 350.000 Tonnen pro Jahr erreicht werden“, erklärt UBA-Referent Kitazume auf Grundlage der Schätzung im UBA-Papier.

Dem Wachstumspotenzial für Reifengranulate steht indes das Chemikalienrecht im Weg. Die EU-Chemikalienverbotsverordnung REACH gibt strenge Grenzwerte für Polyzyklische Aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) vor. Reifengranulate können PAK-haltigen Ruß und Weichmacheröle enthalten und begrenzen damit den Einsatz in bestimmten Erzeugnissen. „Wir erwarten nicht, dass die EU-Regulatorik hier Grenzwerte absenkt, obwohl eine Migration nachweislich toxikologisch unbedenklich ist, aber wir würden es begrüßen, wenn über andere Prüfverfahren nachgedacht würde“, lautete die Meinung des bvse-Fachverbands.

Gemeinsamer Dialog zu Zielen und praktikablen Regelungen

Gute Strukturen und viel Kompetenz sind vorhanden, sie müssen nur noch besser kanalisiert werden, waren sich alle Beteiligten der anschließenden Podiumsdiskussion einig. Dazu sind klar definierte Ziele und praktikable gesetzliche Regelungen, die auf allen Ebenen umsetzbar sind, notwendig. Hierzu sollte der bereits begonnene breite Dialog mit allen Beteiligten der Kreislaufkette, der Politik und der Branchenverbände weitergeführt werden, lautete der Konsens.

Übergreifende Verbändearbeit auf europäischer Ebene

Material aus dem Recycling von Alt-Reifen und -Gummimaterialien ist ein sexy Stoffstrom, denn es sichert wertvolle Ressourcen. Jedoch erschweren abfall- und stoffrechtliche Hindernisse der Branche zunehmend, für die jährlich anfallenden rund 1,2 Millionen Tonnen Altreifen und Gummiabfälle, marktgängige Verwertungsmöglichkeiten zu finden. Außerdem fehlt es an Rechts- und Investitionssicherheit, um bestehende Kapazitäten für das stoffliche Recycling in Deutschland weiter auszubauen, fasste bvse-Referent Dr. Thomas Probst den aktuellen Status quo der Branche zusammen.

An diesen Themen wird der bvse weiter auf nationaler Ebene und gemeinsam mit der Mechanical Tyre Recycling Branch des europäischen Branchendachverbands EuRIC (EuRIC MTR) auf europäischer Ebene arbeiten, erklärten die anwesenden Verbandsvertreter.

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