„Oh, das wäre doch nicht nötig gewesen!“ oder „Wow, Danke, dass du an mich gedacht hast!“ Bekommen wir Geschenke, reagieren wir sehr unterschiedlich. Und das hat nicht unbedingt etwas mit dem Inhalt der Päckchen zu tun, sondern liegt noch viel tiefer vergraben als unter zig Schichten weihnachtlichem Geschenkpapier. Was die Reaktion auf Geschenke mit der Kindheit und verschiedenen Bindungsmustern zu tun hat, verrät Dr. Julia Zwank, Professorin für Entwicklungspsychologie an der SRH Fernhochschule – The Mobile University.

Schenken macht glücklich, heißt es immer. Doch wenn die Reaktion der beschenkten Person so ganz anders ausfällt als erwartet, muss das nicht unbedingt zutreffen. Und überhaupt gibt es da sehr unterschiedliche Typen. Manche Menschen sind wahnsinnig aufmerksam und halten das ganze Jahr Augen und Ohren offen, um dann zum perfekten Zeitpunkt mit dem perfekten Geschenk, das übrigens auch perfekt verpackt ist, erwartungsfroh vor der zu beschenkenden Person zu stehen. Andere wiederum finden das Schenken per se blöd. Weil ihnen nie etwas Gutes einfällt, das sie verschenken könnten und wenn sie denn selbst beschenkt werden, ist ihnen das eher unangenehm.

Reaktion auf Präsente lässt Bindungsmuster aus der Kindheit erkennen

Hinter jeder dieser Einstellung und Verhaltensweisen stecken bestimmte psychologische Grundlagen, die sehr oft in den Bindungsmustern unserer Kindheit begründet liegen. Dr. Julia Zwank hält eine Professur für Entwicklungspsychologie und Wirtschaftspsychologie  an der SRH Fernhochschule und leitet den Studiengang Angewandte Psychologie mit Schwerpunkt Kinder- und Jugendpsychologie. Sie erklärt, welche Reaktion auf ein Geschenk was genau über die beschenkte Person aussagt, und verrät auch, wie man denn am besten auf ein Präsent – gleich welchen Inhaltes – reagieren kann.

Bindungsmuster: Wie unsere Kindheit das Heute beeinflusst

„Unsere Art, Beziehungen zu führen, wird stark in der Kindheit geprägt. Es hängt vor allem davon ab, wie unsere Bezugspersonen auf unsere Bedürfnisse reagierten. Diese kindlichen Muster begleiten uns als Erwachsene und beeinflussen, wie wir Nähe, Liebe und – ja – Geschenke annehmen (können)“, sagt Zwank.

Vier Bindungsstile: Von Sicherheiten und Verlustängsten

Zwank berichtet von vier verschiedenen Bindungsstilen. Da wäre zum einen der unsicher-vermeidende Typ. Von diesem hört man häufig ein: „Das wäre doch nicht nötig gewesen!“ Prof. Dr. Zwank ordnet ein: „Diese Menschen erlebten in der Kindheit oft emotionale Zurückweisung. Um sich zu schützen, unterdrückten sie ihre Gefühle und Bedürfnisse. Als Erwachsene meiden sie Abhängigkeit, wirken pseudounabhängig – oft auf Kosten echter Verbindung. Ein Geschenk anzunehmen kann dann unangenehm sein, weil es unterdrückte Unsicherheiten auslöst, nach dem Motto: „Nett, aber ich brauche nichts. Nutze dein Geld anders.“

Die Nummer zwei wäre der unsicher-ambivalente Typ: „Oh nein, habe ich genug für dich?“ Zwank erklärt: „Hier steht Angst vor Zurückweisung im Fokus. Diese Menschen hatten in ihrer Kindheit Bezugspersonen, die mal da waren, mal nicht. In Beziehungen sind sie permanent unsicher – und das überkommt sie auch beim Geschenke-Empfangen: „Das ist viel mehr als das, was ich besorgt habe – habe ich ihn/sie enttäuscht?“ Sie fokussieren sich auf ihre eigene Unsicherheit, statt die Geste anzunehmen.“

Des Weiteren gibt es noch den unsicher-desorganisierten Typus: „Für mich? Das ist lieb, aber…“ „Dieses Muster entsteht oft bei Kindern, die Vernachlässigung oder Angst erlebten. Sie sehnen sich nach Nähe, fürchten sie aber gleichzeitig. Beim Geschenke-Empfangen zeigt sich diese Ambivalenz: Erst Freude („Wie aufmerksam!“), dann Rückzug („Das brauche ich nicht, gib es zurück.“), sagt Zwank zu diesen Beschenkten.

Am einfachsten für Schenkende ist wohl Typ Nummer 4 in dieser Auslistung. Er gilt als sicher gebunden: „Danke, das bedeutet mir viel“, ist eine übliche Erwiderung auf ein Geschenk. Zwank: „Diese Menschen hatten verlässliche Bezugspersonen, fühlen sich sicher in sich selbst und können mit Anderen Verbindungen eingehen. Sie können Geschenke mit echtem Dank annehmen: „Wie schön, dass du an mich gedacht hast – das berührt mich sehr.“

Das war nicht nötig? – Doch!
Nun ist es natürlich nicht unbedingt von heute auf morgen machbar, tief verwurzelte Unsicherheiten und Ablehnungen aus vergangenen Tagen einfach zu heilen. Doch Geschenke sind ein prima Ansatzpunkt, um alte Prägungen aktiv bewusst werden zu lassen. Probieren Sie es doch jetzt an Weihnachten mal aus. Kein ABER nach dem Danke. Kein „Das wäre nicht nötig gewesen.“ Doch. War es. Weil es Menschen gibt, die an Sie denken, die Ihnen einfach so eine Freude machen wollen. Manchmal wirklich ganz uneigennützig und ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Denn für manche Menschen sind SIE vielleicht sogar das größte Geschenk.

In diesem Sinne: Viel Freude beim Schenken und Beschenktwerden. Frohe Weihnachten!

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