1899 kaufte die Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten die „Klappermühle“, etwa 35 Kilometer östlich von Magdeburg gelegen, um auf dem Gelände eine „Missions- und Industrieschule“ zu errichten. Der Ort wurde in Friedensau umbenannt und schon im selben Jahr begannen der erste Unterricht mit einem Lehrer und sieben Schülern und der Baustart für weitere Gebäude. Das Wachstum war enorm:  Im zehnten Jahr des Bestehens lernten bereits rund 250 Schülerinnen und Schüler aus vielen europäischen Ländern in Friedensau. Große Häuser waren gebaut worden, ein weitläufiger Campus war entstanden. Der Ort erlebte eine wechselvolle Geschichte und die Ausbildungsstätte wurde 1990 als Hochschule staatlich anerkannt. Sie unterhält die Fachbereiche Theologie und Christliches Sozialwesen und der Campus ist internationaler denn je.

Festakt mit Festrede von Prof. Dr. Jan-Hendrik Olberz

Die bewegte Geschichte Friedensaus klang in den Festveranstaltungen immer wieder an – auch in der Festrede des Erziehungswissenschaftlers Prof. Dr. Jan-Hendrik Olbertz am Nachmittag. Er war von 2002 bis 2010 Kultusminister des Landes Sachsen-Anhalt (parteilos, auf Vorschlag der CDU gewählt). Mit Blick auf die DDR-Zeit resümierte er: „Das [theologische] Seminar hat sich ein bemerkenswertes Maß an Unabhängigkeit und Selbstständigkeit bewahrt.“ Das Thema seiner Festrede drehte sich um das Verhältnis von Wissen und Glauben – zwei Elemente, die an einer christlichen Hochschule von grundlegender Bedeutung sind. Dazu unterschied er zunächst Wissen und Bildung: „Wissen ist Rohstoff und wird in Schulen zu Bildung veredelt“, so Olbertz. Bildung umfasse „die drei V“: Verstand, Verständnis und Verständigung, also die Kommunikation darüber. Weil Wissen heute empirisch und methodisch herleitbar sein müsse, scheine Glauben nicht dazu zu passen, da er auf Gewissheiten setze und mit dem stehe und falle, woran man glaube. Aber Wissenschaft könne nur einen Teil der Wirklichkeit darstellen. Man müsse nicht seinen Verstand ausschalten, wenn man glauben wolle, so Olbertz. Wissen bedeute, etwas herauszufinden, Glauben bedeute, es anzunehmen. Das Menschsein müsse Sinn haben, Wissenschaft reiche dazu nicht aus. Wissen ohne Glauben erzeuge oft Ratlosigkeit, Glauben gänzlich ohne Wissen sei heute ohnehin obsolet geworden, so Olberts.

Abschließend ging er auf die Herausforderungen der Künstlichen Intelligenz (KI) für das Denken und die Bildung ein: Sie könne das eigene Denken nicht ersetzen, aber sie mache uns „Denkangebote“, die wir annehmen könnten oder auch nicht. KI denke „nicht wirklich“ und übernehme keine Verantwortung. Es sei Aufgabe von Bildungseinrichtungen wie der Theologischen Hochschule Friedensau, den Umgang mit KI zu lehren und sie vernünftig zu nutzen, schloss Jan-Hendrik Olbertz seinen Festvortrag.

Streiflichter und Grußworte

Anschließend berichtete der Friedensauer Kirchenhistoriker Dr. Johannes Hartlapp einige Streiflichter aus der Geschichte Friedensaus unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, als durch die Anerkennung der Siebenten-Tags-Adventisten als kirchliche Körperschaft durch den ersten Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt (und einzigen, der nicht der Einheitspartei SED angehörte) letztlich die Wiedereröffnung des Predigerseminars möglich wurde.

Vertreter aus Politik und Bildungswesen sprachen Grußworte, darunter Christoph Börner, Referent im Ministerium für Wissenschaft und Umwelt als Vertreter des Ministers, Prof. Dr. Claudia Becker, Rektorin der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und stellvertretende Vorsitzende der Landesrektorenkonferenz Sachsen-Anhalts, Prof. Dr. Sigrid James für das Kuratorium der Theologischen Hochschule Friedensau. Sie bescheinigte der Hochschule, dass die Verbindung von Glaube und Wissenschaft nicht überall so gut funktioniere, wie in Friedensau und lobte auch die kulturelle Vielfalt der Hochschule. Zwei Alumni der Hochschule würdigten ebenfalls in kurzen Beiträgen die positiven Erfahrungen in Friedensau, die sie zu den Positionen befähigt hätten, die sie derzeit innehaben: Thomas Petracek, Programmdirektor der Hilfsorganisation ADRA Europa und Musa Mitekaro, derzeit im Leitungsteam der teilkontinentalen adventistischen Kirchenleitung für das östliche Zentralafrika.

Auch die adventistische Weltkirchenleitung (Generalkonferenz) übermittelte ein Grußwort. Die Leiterin der Bildungsabteilung der Generalkonferenz, Lisa Beardsley-Hardy, übermittelte Grüße des Präsidenten der Weltkirchenleitung, Ted Wilson, und der Verantwortlichen des adventistischen Bildungswesens.

Festgottesdienst am Vormittag

Bereits am Vormittag hielt Lisa Beardsley-Hardy die Predigt im Festgottesdienst, der vom Rektor der Theologischen Hochschule Friedensau, Prof. Roland Fischer geleitet wurde. Darin fragte sie, woher es komme, dass Friedensau viele Menschen ausgesandt habe, die mit vollem Einsatz Gutes bewirkt und innovativ gearbeitet hätten. Es liege an den Lehrkräften, die „überzeugt von dem sind, was sie lehren“ und an der Mentalität der Studierenden. Aber es sei noch mehr: Der Geist „der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit“ sei eine Gabe Gottes, die er jenen schenke, die er zum Dienst beruft, sagte sie unter Bezugnahme des Bibeltextes aus 1. Timotheus 1,7–9 und 14. Es sei vor allem das Werk Gottes. „Macht ohne Liebe treibt Kriege an, Kraft mit Liebe macht die Schwachen mächtig“, so Beardsley-Hardy. Das sei es, was die Studierenden antreibe. An die Studierenden und Absolventen gerichtet sagte sie: „Du musst nicht vollkommen sein, damit Gott deine Arbeit segnet.“ Auch die Freundschaften, die in Friedensau entstehen, seien ein soziales Kapital, das sich hilfreich erweisen werde. Die Theologische Hochschule Friedensau sei berufen, die Wegbereiter von heute auszubilden, die den Spuren der ersten Pioniere folgen“, so Beardsley-Hardy abschließend.

Grußworte von Kirchenvertretern

Zum Gottesdienstprogramm gehörten auch Grußworte von Vertretern adventistischer Kirchenkörperschaften und der Evangelischen Kirche. Der Finanzvorstand der teilkontinentalen Kirchenleitung für Mittel- und Südeuropa (Intereuropäische Division), Norbert Zens, verwies auf die beiden an Friedensauer Gebäuden angebrachten Texte „Unser Herr kommt“ und „Bete und arbeite“. Er habe keine Zukunftssorge um Friedensau, wenn diese Leitworte aus der Gründerzeit an die Studierenden von heute weitergegeben würden. Der Präsident des Norddeutschen Verbandes der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten sprach über die Spannung von Wissenschaft und Bekenntnis, die Friedensau aushalten werde. „Wir brauchen nicht nur Wissen, sondern auch die Fähigkeit, die richtigen Fragen zu stellen. Das motiviert“, so Naether. Mit der alttestamentlichen Persönlichkeit Hiob fragte er: „Wo will man die Weisheit finden? Wo ist die Stätte der Einsicht?“ Es wäre schön, wenn man als Antwort „Friedensau“ sagen könne, sagte Naether. Weisheit sei die Erkenntnis Gottes. Auch der Vizepräsident der regionalen adventistischen Verwaltungsgemeinschaft Berlin-Mitteldeutsche Vereinigung, Jens Fabich, wünschte in seinem Grußwort, dass „Friedensau weiterhin ein Ort des Wissens, der Weisheit und der Intelligenz“ sein möge – mit Christus als Fundament. Anett-Petra Warschau, stellvertretende Superintendentin des evangelischen Kirchenkreises Elbe-Fläming, formulierte in ihrem Grußwort einen Dank an Gott „für die Visionen und Taten, die hier entstanden sind … Sie bringen Wissen und Vision, aber auch Wertschätzung zusammen – für die Menschen, die hier leben“, so Warschau. Ein abschließendes Grußwort sprach Andriy Shevchuk, Präsident der adventistischen Hochschule in Butscha (Ukraine), in dem er hervorhob, dass die Hochschule Friedensau die erste Einrichtung war, die ihnen geholfen habe, als der Krieg begann und große Teile der Stadt zerstört wurden. Zum Dank überreichte er dem Rektor der Hochschule, Prof. Roland Fischer, eine mit schwarzen und roten Fäden bestickte ukrainische Tracht (Vishyvanka), deren Farben für die unterschiedlichen Lebenserfahrungen stehen.

Dank und Wünsche von Hochschulvertretern

Auch Vertreter der Friedensauer Hochschule trugen Dankesworte und Wünsche vor. Bernhard Oestreich, Professor für Neues Testament, dankte für das gespendete Geld, das Friedensau trage, für das Vertrauen der Kirche, das er erfahren habe (insbesondere in der „DDR-Misstrauensgesellschaft“) und der adventistischen Kirchengemeinde Friedensau, der es gelang, sowohl Studierende aus aller Welt als auch pensionierte Zuzügler zu integrieren. Dr. Anett Witherspoon, Programmdirektorin des Studiengangs International Social Science, wünschte sich, dass der Geist der Dankbarkeit und der Dringlichkeit weitergetragen werde. Zudem wünschte sie sich mehr Wachstum und eine größere akademische Sichtbarkeit.

Musikalische Beiträge

Am Ende des Gottesdienstes sprach Rektor Prof. Roland Fischer ein Segenswort.

Umrahmt wurden der Festgottesdienst und der Festakt durch musikalische Beiträge von Friedensauer Studierenden und Hochschulangehörigen, darunter der Hochschulchor, ein Bläserchor und verschiedene Instrumentalisten, unter anderem mit Gitarre, Harfe und Trompete.

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