Die Ausstellung „Schlesisches Theater. Geschichte und Gestalten“ beleuchtet die facettenreiche Geschichte des Theaters in Kattowitz (Katowice), das seit 117 Jahren eine zentrale Rolle im kulturellen Leben Oberschlesiens spielt. Eröffnet als Stadttheater im damals deutschen Kattowitz, diente es zunächst der bürgerlichen Bevölkerung der wachsenden Stadt und Region. Die deutsch-polnische Schau erzählt seine Geschichte anhand der Menschen, die es geprägt haben – von den Anfängen im 20. Jahrhundert bis heute.

Historischer Überblick

Das Stadttheater wurde im Oktober 1907 eröffnet. Bis 1922 bestand es als deutsche Kultureinrichtung, bevor die Stadt nach dem Ersten Weltkrieg infolge der Volksabstimmung und Teilung Oberschlesiens polnisch wurde. In den Jahren 1922 bis 1924 fand eine geteilte (deutsch-polnische) Nutzung statt. 1936 wurde das Theater in „Stanisław Wyspiański-Theater” umbenannt, was den polnischen Einfluss unterstrich. Während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg, nach der Eroberung von Kattowitz durch die Wehrmacht im September 1939, erlebte das Theater eine Rückkehr zu deutschen Inszenierungen. Es wurde als Propagandainstrument genutzt und sämtliche polnischen Einflüsse wurden eliminiert. Nach dem Ende des Krieges nahm das Theater seine Arbeit unter polnischer Leitung wieder auf. Im August 1945 siedelte das Polnische Theater aus Lemberg (Lwów/Lwiw) nach Kattowitz um und setzte dort seine Tradition unter dem Namen „Schlesisches Theater Stanisław Wyspiański” fort. In den Nachkriegsjahren wurde das Theater zu einem Symbol des kulturellen Wiederaufbaus in der Region, auch wenn es, wie alle Kultureinrichtungen, der Zensur unterlag. Dennoch erreichte es ein hohes künstlerisches Niveau und erlangte durch subtile Kritik am politischen System Aufmerksamkeit und Anerkennung.

Kulturelle Bedeutung und thematische Schwerpunkte

Das Schlesische Theater spiegelt die wechselvolle Geschichte der Stadt Kattowitz und der Region wider. Kattowitz, das 1865 die Stadtrechte erhielt, entwickelte sich schnell von einer kleinen Siedlung zu einem bedeutenden Industrie- und Bergbauzentrum. Heute ist die Stadt Hauptstadt der Woiwodschaft Schlesien und kulturelles Zentrum der Region. Das Theater bietet ein breites Repertoire an klassischen und zeitgenössischen Stücken, die die kulturelle Vielfalt reflektieren. In den letzten Spielzeiten rückte das Thema „Schlesiertum” in den Fokus. Lokale Geschichten wurden auf die Bühne gebracht und fanden großen Anklang beim Publikum. Besonders erfolgreich war die Inszenierung von Kazimierz Kutz‘ „Die fünfte Seite der Welt”. Diese Produktion führte zu weiteren Inszenierungen, die sich mit der Geschichte und den Persönlichkeiten der Region befassten, darunter Werke über Ikonen wie Rysiek Riedel, Zbigniew Cybulski und Jerzy Kukuczka. Das Theater ist auch bekannt für seine innovativen Interpretationen von Werken der Welt- und polnischen Literatur. Dazu gehören unter anderem Anton Tschechows „Platonow” in einer Neuinterpretation – ohne die titelgebende Figur, Henryk Sienkiewicz‘ „Sintflut” in einer modernen Inszenierung sowie die Uraufführung von Jonathan Littells „Die Wohlgesinnten”. Weitere herausragende Inszenierungen waren Jerzy Pilchs „Viele Dämonen” und Émile Zolas „Germinal”, ebenso wie eine Neuinterpretation von Miguel de Cervantes‘ „Don Quijote” und George Orwells „Farm der Tiere”. Ein weiteres Markenzeichen ist die Förderung der Neuen Dramatik. In den letzten Jahrenentstanden zahlreiche Uraufführungen, darunter „Drach” und „Demut”, basierend auf den Bestsellern von Szczepan Twardoch, sowie eine Adaption des Comics „Wilq Superhero”. Das Theater beauftragte ferner renommierte polnische Autorinnen und Autoren, neue dramatische Texte zu schreiben. Das Schlesische Theater hat sich zudem zur Aufgabe gemacht, neue Aufführungsorte in der Stadt zu erschließen. Zu den bemerkenswerten Projekten gehören die Inszenierung von „Morphin” im postindustriellen Wilson- Schacht sowie Aufführungen in einem Einkaufszentrum und im Schlesischen Parlament. Das Theater experimentierte auch mit ungewöhnlichen Formaten, wie einer Open-Air-Aufführung in der Siedlung Czerwionka-Leschczin.

Das Theatergebäude

Das Gebäude wurde von dem deutschen Architekten Carl Moritz entworfen, der 1863 in Berlin geboren wurde und sich durch seinen neoklassizistischen Stil auszeichnete. 1904 erhielt er den Auftrag, das Theater in Kattowitz zu bauen. Der Bau repräsentiert eine Mischung aus traditionellem Design und modernistischen Innenräumen, die Eleganz und Schlichtheit vereinen. Trotz der relativ geringen Größe wirkt das Gebäude monumental und modern. Im Laufe der Jahre wurde vor allem die Fassade mehrfach umgestaltet, abhängig von den politischen Verhältnissen und der jeweils vorherrschenden Ideologie. Heute verfügt das Schlesische Theater über drei Bühnen: die Hauptbühne mit 444 Sitzplätzen, die Kammerbühne mit 95 Sitzplätzen und die Malarnia-Bühne mit 88 Sitzplätzen.

Die Sonderausstellung

Die Sonderausstellung „Schlesisches Theater. Geschichte und Gestalten“, die in Kooperation mit dem Schlesischen Theater in Kattowitz entstanden ist, beleuchtet die wechselvolle Geschichte des Theaters, die eng mit der geopolitischen Entwicklung und den sprachlichen Besonderheiten der Region Oberschlesien verzahnt ist. Neben dem historischen Kontext werden Kostüme ausgewählter Aufführungen präsentiert und Ausschnitte aus Inszenierungen gezeigt. Ergänzt wird die Ausstellung durch Fotografien und architektonische Schaubilder. Leihgaben aus dem Historischen Museum in Kattowitz, ein eigens für die Ausstellung angefertigtes 3D-Modell des Gebäudes und eine einladende Leseecke ermöglichen einen Blick hinter die Kulissen dieser traditionsreichen Spielstätte. Auf diese Weise hat die Ausstellung sowohl einen historisch-dokumentarischen als auch einen identitätsstiftenden Charakter – sie erzählt die Geschichte der Menschen, die dieses Theater nachhaltig geprägt haben und derer, die es heute ausmachen.

Schlesisches Theater. Geschichte und Gestalten

27. Oktober 2024 – 27. Juli 2025

Ausstellungseröffnung mit einem kuratorischen Rundgang: Sonntag, 27. Oktober 2024, 15 Uhr

Ausstellungskonzept: Anna Appelhoff, Katarzyna Lorenc

Wissenschaftliche Mitarbeit: Dagmara Gumkowska, Julia Korus, Prof. Dr. hab. Andrzej Linert

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