Nach den ersten fünf Monaten des neuen Hessischen Landtags lud das Bündnis Heilen und Helfen die Fraktionen im Landtag ein, zu zentralen Fragen der Heilberufe Stellung zu nehmen. Bei der Veranstaltung, die am Donnerstag, 20. Juni, im Wiesbadener Kurhaus stattfand, wurden Themen der Versorgung, Patientensicherheit und Weiterbildung diskutiert. Politikerinnen und Politiker aller im Landtag vertretenen Parteien standen den Heilberufskörperschaften Rede und Antwort und zeigten sich offen für die Anliegen. Journalist und Publizist Dr. Winfried Kösters moderierte die Diskussionsrunde.

Rückkehr zur Präventionsorientierung in der Zahnmedizin

Stephan Allroggen, Vorsitzender des Vorstandes der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Hessen, sieht die jahrzehntelangen Präventionserfolge in der Zahnmedizin durch die Anfang 2023 wieder eingeführte strikte Budgetierung vertragszahnärztlicher Leistungen gefährdet. Damit wurden der erst 2021 neu ausgerichteten Behandlung der Volkskrankheit Parodontitis nahezu vollständig die erforderlichen finanziellen Mittel entzogen. Bei ihrem Einsatz für die Rückkehr zu einer präventionsorientierten und für die Praxen auskömmlichen Patientenversorgung wünsche sich die Zahnärzteschaft Unterstützung durch die Abgeordneten. Eine präventionsorientierte Versorgung stieß bei allen anwesenden Abgeordneten auf grundsätzliche Zustimmung. Eine kurzfristige Lösung der Finanzierungsfrage hingegen erscheint aus Sicht der FDP nicht realistisch. Während sich die SPD für eine bedarfsgerechte Verteilung der vorhandenen Mittel aussprach, sollten aus Sicht der Grünen mehr Menschen in das GKV-System einzahlen. Die CDU setzt auf eine Reform der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ). Für die AfD ist mit Blick auf die systemischen Auswirkungen der Parodontitis eine verstärkte Zusammenarbeit der Organisationen entscheidend.

Bürokratieabbau für Zahnarztpraxen

Dr. Doris Seiz, Präsidentin der Landeszahnärztekammer Hessen, legte ihr Hauptaugenmerk auf die immense Belastung der Praxen durch bürokratische Auflagen und die Notwendigkeit, diese zu vermindern. „Im Alltag einer zahnärztlichen Praxis sind mehrere hundert Vorgaben zur Hygiene, zum Arbeits- und Strahlenschutz und vielen weiteren Bereichen zu berücksichtigen, von denen jedoch viele redundant und einige schlicht unnötig sind. Die Zeit für die Behandlung der Patientinnen und Patienten wird durch überbordende Bürokratie zunehmend vermindert.“ Seiz wünschte sich von der Politik, die Empfehlungen der berufsständischen Organisationen zum Abbau unnötiger Auflagen ernst zu nehmen und deren Umsetzung nicht durch weitere zeitaufwendige Prüfungen durch Fachfremde zu verzögern.“ Die gesundheitspolitischen Sprecher aller im Landtag vertretenen Fraktionen zeigten sich hierfür offen und baten die hessischen Körperschaften im Gesundheitswesen um Übermittlung weitere konkreter Vorschläge zum Bürokratieabbau.

Sicherung der Weiterbildung bei der Krankenhausreform

Zur bevorstehenden Krankenhausreform, welche unter anderem eine neue Strukturierung und Finanzierung für Krankenhäuser vorsieht, griff der Präsident der Landesärztekammer Hessen, Dr. med. Edgar Pinkowski, die Zukunft der Weiterbildung von Ärztinnen und Ärzten auf: „Was in Berlin bei der Krankenhausreform nicht mitgedacht wird: Wenn weniger Krankenhäuser existieren, dann gibt es auch weniger Weiterbildungsstätten und es wird auch nicht mehr alles an Weiterbildung an einem Krankenhaus absolviert werden können, wie das vorher war; deshalb brauchen wir Weiterbildungsverbünde!“, sagte Pinkowski. „Es wird auch vieles im ambulanten Bereich stattfinden müssen, weil nicht mehr alles stationär gemacht werden kann und soll. Um diese Verbünde zu gründen, brauchen wir aber einfache rechtliche und steuerliche Grundlagen. Stichwort: Arbeitnehmerüberlassung. Deshalb müssen auch die Länder Druck auf den Bund ausüben, sonst können wir nicht mehr weiterbilden.“ Pinkowski fragte in diesem Zusammenhang, welche Initiativen die Parteien zu diesem Thema planen. Die FDP wolle das ganze System in den Blick nehmen, damit auch die Ärzte in Niederlassung genug Nachwuchs haben, und forderte mehr Dialog aller Verantwortlichen. Die AfD betonte, dass es eine neue Struktur wie etwa die Weiterbildungsverbünde und eine entsprechende Finanzierung brauche. Von der hessischen SPD wurde geäußert, dass das Thema bereits in Bund-Länder-Gesprächen auf der Agenda stehe und dies in Berlin auch Gehör finde. Auch die hessischen Grünen betonten, dass dies bereits auf der Agenda stehe und bemerkten, dass dies bereits vorher vom Expertenrat hätte mitgedacht werden müssen. Die Christdemokraten betonten, dass sie für die Weiterbildungsverbünde seien und die ambulanten Praxen miteinbezogen werden sollen.

Psychotherapeutische Weiterbildung gesetzlich regeln

Dr. Heike Winter, Präsidentin der Psychotherapeutenkammer Hessen, knüpfte an das Thema der Weiterbildung an und wies auf die prekäre Lage der weiterhin gesetzlich ungeregelten neuen Weiterbildung des Berufsstandes hin: „Wenn wir heute nicht weiterbilden, fehlen uns morgen die Kolleg*innen in der Versorgung.“ Die Situation sei mit den weiter steigenden Zahlen der psychisch erkrankten Menschen bereits sehr angespannt. „Viele junge Menschen sind hochbelastet, wie beispielsweise der neuste Kinder- und Jugendreport der DAK zeigt, und finden keine Therapieplätze. Neben den individuellen Schicksalen können wir uns das schlicht volkswirtschaftlich nicht leisten. Wir zerstören ganze Lebensläufe, indem Hilfe zu spät kommt. Und das bei Erkrankungen, die durch eine Psychotherapie gut behandelt werden könnten“, mahnte Dr. Winter nachdrücklich und forderte erneut die Anpassung der entsprechenden Bedarfsplanung.
„Welche Folgen das haben kann, sehen wir an den aktuellen Fehlzeiten der Arbeitnehmer*innen – ganze 32 Tage im Jahr. Keine andere Erkrankung verursacht vergleichbare Abwesenheiten. Ein großes Problem für unseren ohnehin durch Fachkräftemangel angespannten Arbeitsmarkt. Je länger die Krankschreibung, desto höher die Gefahr der Erwerbsunfähigkeit. Psychotherapeutische Versorgung wäre günstiger.“ Die Politikerinnen und Politiker aller anwesenden Parteien sahen die beschriebenen Zusammenhänge und die Notwendigkeit, die Versorgung zu verbessern.

Erhalt der Apotheke vor Ort

Vor dem Hintergrund des aktuellen Referentenentwurfs des Bundesgesundheitsministeriums zu einem Apotheken-Reformgesetz, welcher u. a. vorsieht, dass es zukünftig Apotheken geben kann, in denen kein Apotheker mehr persönlich anwesend sein muss, fragte die Präsidentin der Landesapothekerkammer Hessen, Ursula Funke, die Landtagsabgeordneten: „Sind Sie bereit, den Berufsstand bei seinem Kampf gegen die Absenkung des Versorgungsniveaus und für den Erhalt des Apothekers in der Apotheke zu unterstützten?“ Einig waren sich die Pateivertreter darin, dass den Apotheken eine wichtige Rolle in der Gesundheitsversorgung zukomme. Die SPD betonte, dass der Gesetzentwurf noch auf Bundesebene liege, man in Hessen aber zu den Apothekern und Apotheken vor Ort stehe. Die Landespolitik müsse sich hier engagieren, die Etablierung einer Apotheke „light“ werde von ihr abgelehnt, stellte die FDP fest. Die CDU betonte, dass die Gesundheitsversorgung am besten durch freiberuflich tätige Ärzte und Apotheker gewährleistet werde. Seitens der AfD wurde geäußert, dass es kein sinnvoller Vorschlag sei, die Führung von Filialapotheken auf PTAs zu übertragen. Eine andere Bewertung äußerten die Grünen, die die Bedeutung der Digitalisierung und des Onlinevertriebs für die Veränderung der Versorgungsstrukturen hervorhoben.

Aufkaufen von Praxen und Kliniken durch Investoren

In der Veterinärmedizin spielt das Aufkaufen von Praxen und Kliniken durch Investoren wie z. B. Mars und Nestlé eine immer größere Rolle. Prof. Dr. Sabine Tacke, Präsidentin der Landestierärztekammer Hessen, stellte dar, dass dies zu Problemen bei der Einhaltung der Berufsordnung und damit primär der Versorgung von Notfallpatienten, auch in der landwirtschaftlichen Nutztierpraxis, führen kann. Eine Änderung des Hessischen Heilberufsgesetzes mit Aufnahme der "juristischen Person", wie es schon in anderen Bundesländern und auch bei der Gebührenordnung für Tierärzte GOT (Bundesgesetz) erfolgt ist, sei daher zwingend erforderlich. Dem standen die anwesenden Mitglieder des Hessischen Landtags offen gegenüber.

Das Bündnis "Heilen & Helfen" wurde im Jahr 2007 von den hessischen Körperschaften der Heilberufe ins Leben gerufen, um den Anliegen der Heilberufe mehr Gehör in der Politik und Aufmerksamkeit im gesellschaftlichen Diskurs zu verschaffen. Es setzt sich aus verschiedenen Verbänden und Kammern zusammen:  Landesärztekammer Hessen, Landeszahnärztekammer Hessen, Kassenzahnärztliche Vereinigung Hessen, Landesapothekerkammer Hessen, Psychotherapeutenkammer Hessen und Tierärztekammer Hessen. Informationen über das Bündnis Heilen & Helfen und seine Geschichte: www.heilberufehessen.de

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