Rund 600 Gäste nahmen in der TauberPhilharmonie Weikersheim und via Livestream am Mittwoch, 17. April an der achten Veranstaltung der Reihe „enter the future“ der Wittenstein Stiftung teil. Der Referent Prof. Dr. Martin Korte zeigte auf, wie sich die digitale Reizüberflutung, der man tagtäglich ausgesetzt wird, auf das „Steinzeitgehirn“, das Denken und Verhalten der Menschen auswirkt. Zudem gab er Antworten auf die Frage, wie der Umgang mit digitalen Technologien im Alltag – privat und geschäftlich – aussehen müsste, damit man wieder konzentrierter, produktiver und kreativer sein könne.

Der Dschungel an neuronalen Verknüpfungen bildete im übertragenen Sinne das Bühnenbild für den Referenten Prof. Dr. Martin Korte, Professor für zelluläre Neurobiologie an der TU Braunschweig und Buchautor, der das Publikum der Wittenstein Stiftung mit auf eine spannende Reise durch die Irrungen und Wirrungen des selbstgemachten digitalen Wahnsinns nahm. Gleich zu Beginn stellte er anschaulich dar, welche Informationsflut wir heute im Gegensatz zu früher bewältigen müssen: „Ein Bauer im Mittelalter hat in seinem ganzen Leben so viele Informationen zugespielt bekommen, wie wir an einem einzigen Tag“. Dem menschlichen Gehirn bleibe aufgrund seiner begrenzten Ressourcen folglich nichts anderes übrig, als sich selektiv auf die Informationen zu beschränken, die zukünftig von Bedeutung sein könnten. Allein dieser Auswahlprozess kann das Arbeitsgedächtnis bei zu vielen Informationen pro Zeiteinheit massiv überlasten, weshalb laut Korte auch vor allem mit dem Mythos des Multitaskings aufzuräumen sei: „Wenn wir viele Dinge gleichzeitig tun, weiß das Gehirn nicht, wo unsere Priorität liegt. Es kann sein, dass sich Nebensächlichkeiten statt der Hauptsache gemerkt werden. Dieser ständige Aufgabenwechsel führt zu 40 % Produktivitätsverlust und am Ende brauchen wir für alles fast doppelt so lange.“ Multitasking also nur eine eingebildete Produktivität?

Kindern nicht zu früh die reale Welt vorenthalten

Dass in der Medizin bereits ein eigener Fachbegriff für die Angst existiert, ohne Mobiltelefon unerreichbar für soziale und geschäftliche Kontakte zu sein, verdeutlicht die Wichtigkeit, sich bereits frühzeitig gegen besagte Nomophobia zu wappnen. Sich selbst – ob beruflich oder privat – Zeitinseln zu schaffen, in denen ohne Anwesenheit von mehreren digitalen Endgeräten konzentriert gearbeitet werden kann, sei laut Korte essenziell, um nicht nur dem Ermüden der Nervenzellen im Stirnlappen entgegenzuwirken, sondern auch um die eigene Widerstandskraft aufrechtzuerhalten – die im gleichen Areal des Gehirns angesiedelt ist. Vor allem in der frühkindlichen Erziehung rät der Experte absolut rigoros, auf den Einsatz jeglicher digitalen Medien zu verzichten. Bereits wenige Stunden täglich an Smartphone oder Tablet führe bei drei- bis achtjährigen schon dazu, dass zum Zeitpunkt der Einschulung der Wortschatz deutlich eingeschränkt ist. Da Sprache nicht nur durch Hören, sondern auch durch Beobachtung der Mundbewegungen und der Mimik erlernt wird, sei es zudem extrem schädlich für Kinder, ihre Eltern einen Großteil der Zeit nur hinter einem digitalen Endgerät wahrzunehmen. Auch wenn er sich nicht gegen die Nutzung digitaler Medien per se aussprach, rief der Neurobiologe zu einer bedachten Nutzung auf, die im richtigen Alter starten und von regelmäßigen Ruhepausen und Medienwechsel geprägt sein sollte – wobei die dreidimensionale Wahrnehmung, d.h. das Spielen, Raufen, Klettern und Toben, natürlich durch nichts zu ersetzen sei.

Informationen ohne Bildung sind nutzlos

Während die „digital immigrants“ noch analog aufgewachsen und den Umgang mit digitalen Technologien erst im Erwachsenenalter lernen mussten, wurden die „digital natives“ bereits seit frühesten Kindertagen mit digitalen Geräten und elektronischen Medien sozialisiert. Dies hat vor allem Einfluss auf die Entstehung und das Anwenden von Wissen, so Korte. Wer kein eigenes Wissen generiert und gespeichert habe und sich immer nur auf das Ergebnis von Suchmaschinen verlasse, könne der täglichen Informationsflut nichts entgegensetzen. Statt Antworten auf Fragen erst einmal „in seinem eigenen Kopf“ zu suchen, nutze man größtenteils lieber sofort digitale Suchmaschinen – ein kapitaler Fehler laut Korte: „Je mehr wir wissen, umso differenzierter können wir die Welt wahrnehmen. Es ist heutzutage wichtiger denn je, eigenes Wissen gespeichert zu haben, um die Flut an Informationen und
Suchmaschinenergebnisse richtig bewerten und in Bezug setzen zu können. Bildung entsteht nur durch Kombination von Wissen und Informationen.“

Dieser Ansicht schloss sich auch Gastgeber Dr. Manfred Wittenstein, Stifter und Kuratoriumsvorsitzender der Wittenstein Stiftung, abschließend an und plädierte für eine Nutzung der neuen Technologien, so dass sie den Menschen helfen und Erleichterung verschaffen, statt sich davon treiben, belasten oder gar beschädigen zu lassen.

Nächste Veranstaltung der Wittenstein Stiftung

Neben der Veranstaltungsreihe „enter the future“, hat die Wittenstein Stiftung im Herbst 2023 mit „perspektivenwechsel“ eine weitere Reihe ins Leben gerufen, deren zweite Veranstaltung unmittelbar bevorsteht: Am Donnerstag, 13. Juni ab 19 Uhr ist der Diplom-Physiker und Zauberkünstler Thomas Fraps in der Weikersheimer TauberPhilharmonie mit seiner Show „Die Tricks unseres Gehirns – warum Wissen nicht immer vor Täuschung schützt“ zu Gast. Gerade in Zeiten der digitalen Reizüberflutung fällt es dem menschlichen Gehirn oft schwer, zwischen Fakten und Fiktionen zu unterscheiden. Genau diesen Umstand wird Fraps nutzen, um vor den Augen des Publikums die Naturgesetze spielerisch und humorvoll auf den Kopf zu stellen. Nebenbei erfährt man, wie Betrüger, Fälscher und Hochstapler sogar Experten hinters Licht führen und warum Wissen nicht immer vor Täuschung schützt.

Die Aufzeichnungen aller enter the future-Veranstaltungen sowie die Möglichkeit zur Anmeldung zu perspektivenwechsel finden Sie unter www.wittenstein-stiftung.de.

 

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