Von der Festlegung der Zinsen bis hin zu Anleihekäufen – den Notenbanken steht ein breites Repertoire an geldpolitischen Instrumenten zur Verfügung. Ein Instrument wird jedoch häufig nicht als solches wahrgenommen und dementsprechend seltener betrachtet oder analysiert. Die Rede ist von dem sog. Forward Guidance. Diese eher unkonventionelle Form der Geldpolitik fußt auf der Steuerung von Markterwartungen über die Offenlegung eigener volkswirtschaftlicher Prognosen und der sich daraus ergebenen geldpolitischen Ausrichtung. Abhängig davon, wie es angewandt wird, kann Forward Guidance ein sowohl effektives als auch kontraproduktives Mittel darstellen. In letzter Zeit glänzten die Notenbanken eher damit, bewusst oder unbewusst, mehr Unsicherheiten zu verursachen, als zu beseitigen. Erfahren Sie in der heutigen Ausgabe des Zinskommentars, warum die Notenbanken scheinbar die adäquate Anwendung ihres eigenen Instrumentenkastens verlernt haben.

Forward Guidance – und wie man damit umgehen sollte!

Die Europäische Zentralbank (EZB) unterscheidet grundsätzlich zwischen drei Kategorien von Forward Guidance. Das Open-ended Forward Guidance ist eine rein qualitative Aussage über den Verlauf der Leitzinsen, wie zum Beispiel die Aussage „wir gehen davon aus, dass die Leitzinsen über einen längeren Zeitraum auf dem aktuellen oder einem niedrigeren Niveau bleiben.“ Das Data-based Forward Guidance knüpft den Verlauf der Leitzinsen an eine wirtschaftliche Entwicklung, wie zum Beispiel die Aussage „wir belassen die Leitzinsen auf dem aktuellen Niveau bis die Inflation das Niveau von Zwei Prozent mittelfristig erreicht.“ Die dritte und letzte Kategorie ist das Calendar-based Forward Guidance, welches den Verlauf der Leitzinsen an ein bestimmtes Zeitfenster bindet, wie zum Beispiel die Aussage „wir erwarten, dass die Leitzinsen auf dem derzeitigen Niveau bleiben, zumindest bis Mitte 2024.“

Untersuchungen der EZB zeigen, dass das Calendar-based Forward Guidance die effektivste Methode in der Steuerung von Renditen bzw. Zinsen auf dem Anleihemarkt ist. Zudem herrscht bei dieser Form des Forward Guidance der größte Konsens unter Marktteilnehmern über den Verlauf der Leitzinsen. In der Theorie ist Forward Guidance ein zweischneidiges Schwert. Zum einen beseitigt es Unsicherheiten, da die Notenbanken offen und transparent über die geldpolitische Ausrichtung sprechen. Zum anderen schafft es dadurch auch Verwirrung, da nun Marktteilnehmer ihre Erwartungen weniger an andere, private Datenquellen knüpfen. Dadurch werden die Preise nicht basierend auf der gesamten Fülle der verfügbaren Informationen gebildet.

Ein Paradebeispiel einer erfolgreichen Anwendung von Forward Guidance ist die inzwischen geschichtsträchtige Rede des ehemaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi, der im Rahmen der Eurokrise Mitte 2012 sagte, dass die EZB „alles im Rahmen ihres Mandates tun werde, um den Euro zu retten.“ Diese Aussage trug signifikant zu der Rettung des Euros bei und half allein Italien über 100 Milliarden Euro an zusätzlichen Schulden zu sparen. Damals sanken im Zuge der Aussage Draghis die Risikoaufschläge auf Staatsanleihen krisengebeutelter Staaten um teilweise mehr als 15 Prozentpunkte innerhalb kürzester Zeit (Vgl. Abbildung 1).

Ähnlich wie Draghi versuchte Christine Lagarde Ende 2022 mit verschiedenen Aussagen und Reden die Entschlossenheit der EZB im Kampf gegen die Inflation herauszustellen. Dennoch kam dies viel zu spät, da auch angesichts zweistelliger Inflationsraten die Glaubwürdigkeit der EZB bereits beschädigt war. Ein weiteres Negativbeispiel aus jüngster Zeit ist der US-Notenbankchef Jerome Powell, der Ende 2023 von möglichen Zinssenkungen bereits Anfang 2024 sprach und damit die langfristigen Zinsen auf eine Talfahrt von über 100 Basispunkte schickte, während die kurzfristigen Zinsen weiterhin hoch blieben. Das führte dazu, dass derzeit vermehrt Markteilnehmer langfristig finanzieren und damit die Zinswende bereits eingeläutet wurde, obwohl dies nicht die gewünschte Intention war. Inzwischen sind die langfristigen Zinsen wieder leicht angestiegen, da die Fed, entgegen der Aussage Powells, zögerlich kommuniziert und agiert. Das schafft Unsicherheiten am Markt. Insgesamt müssen die Notenbanken wieder selbstbewusster und mit einer klaren Kommunikationsstrategie auftreten, die den Leitzinsverlauf kurz- und mittelfristig in den Erwartungen der Marktteilnehmer verankert. Ansonsten besteht nicht nur Verunsicherung im Verlauf der Inflation, sondern auch im Verlauf der Leitzinsen, und das will kein Marktteilnehmer.

Die Effektivität von Forward Guidance ist umstritten, und die Notenbanker müssen sich wieder darauf besinnen eine klare geldpolitische Ausrichtung zu liefern und geschickt zu kommunizieren. Natürlich will kein Verantwortlicher falsch liegen, jedoch könnte das derzeitig zögerliche Verhalten und die heterogenen Meinungen der mitteilungsbedürftigen EZB-Ratsmitglieder viel mehr Schaden anrichten, als klare Aussagen über den Verlauf der Leitzinsen zu treffen. Die Notenbanken setzen ihre Glaubwürdigkeit damit aufs Spiel.

Wichtiger Hinweis: Alle im Zinskommentar dargelegten Überlegungen oder Ideen stellen keine Zinsprognosen oder mögliche Zinswenden dar. Valide und belastbare Aussagen zu Zinsentwicklungen mit klaren Handlungsempfehlungen für das persönliche Investment können nur auf Basis eines individuellen Beratungsmandates und des Neuwirth Zinsindikators getroffen werden.

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