Das europäische Lieferkettengesetz soll Arbeitsbedingungen und Umweltschutz verbessern. Doch ausgerechnet Deutschland blockiert die Einführung. Grund ist die ablehnende Haltung der FDP in der Bundesregierung. Dabei hätten gerade deutsche Unternehmen keine Nachteile zu befürchten. Denn zum einen haben sie bereits Erfahrungen mit dem vor einem Jahr in Deutschland eingeführten Lieferkettengesetz gesammelt. Gut zwei Drittel der großen Unternehmen erfüllen schon heute im Wesentlichen dessen Anforderungen. Zum anderen würden deutsche Unternehmen davon profitieren, dass gleiche Spielregeln in ganz Europa gelten. Hinzu kommt: Die geplante Lieferkettenrichtlinie geht zwar teilweise über das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz hinaus; sie sieht zum Beispiel einen erweiterten Anwenderkreis, eine umfassende Definition der Wertschöpfungskette und eine zivilrechtliche Haftung vor. Anderseits beinhalten die Entwürfe im Vergleich zum deutschen Gesetz auch Entlastungen für Unternehmen. Dazu gehören unter anderem Erleichterungen bei der Risikoanalyse für Länder mit funktionierendem Rechtssystem, die Möglichkeit einer konsolidierten Erfüllung der Due Diligence, das heißt, die Möglichkeit, die Sorgfaltspflichten in der Lieferkette für alle Konzernbestandteile auf Konzernebene zusammenfassend zu betrachten, oder die gemeinsame Durchführung von Audits. Auch für deutsche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bringt ein Lieferkettengesetz Vorteile, zeigt die Untersuchung von Dr. Judith Beile und Dr. Katrin Vitols von der Unternehmensberatung wmp consult, die von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert wurde.*

"Morgen steht in Brüssel die letzte Abstimmung über das EU-Lieferkettengesetz an, für das Gewerkschaften, NGOs und progressive Parteien seit Jahren kämpfen. Die Studie zeigt, dass das EU-Lieferkettengesetz eine große Chance ist: für Menschenrechte und Umweltschutz über die gesamte Lieferkette, aber auch für die deutsche Wirtschaft", sagt Christina Schildmann, Leiterin der Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung.

Beile und Vitols haben untersucht, inwiefern große börsennotierte Unternehmen in Deutschland ihrer Sorgfaltspflicht in der Lieferkette nachkommen und welche ersten Erfahrungen mit dem deutschen Lieferkettengesetz vorliegen. Darüber hinaus wurde analysiert, welchen Einfluss Arbeitnehmervertretungen bei der Überprüfung von Sorgfaltspflichten haben können. Grundlage waren Fallstudien multinationaler Unternehmen mit Sitz in Deutschland, die Analyse der Unternehmensberichte von 90 Dax- und MDax-Unternehmen sowie Interviews mit Expert*innen.

Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, kurz Lieferkettengesetz, gilt seit Januar 2023. Es war notwendig geworden, weil freiwillige Selbstverpflichtungen von Unternehmen über viele Jahre kaum spürbare Fortschritte gebracht hatten. Ziel des Gesetzes ist es, die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltschutz entlang der gesamten Lieferkette, also auch bei den Zulieferern, sicherzustellen. Das Gesetz erlegt allen in Deutschland ansässigen Unternehmen mit mehr als 1000 Beschäftigten bestimmte Sorgfaltspflichten auf – unter anderem müssen sie Grundsatzerklärungen zur Einhaltung von Menschenrechten abgeben, Risikoanalysen durchführen, Präventionsmaßnahmen umsetzen und Beschwerdeverfahren einrichten.

Einige Fortschritte, aber auch Lücken

Viele der untersuchten Unternehmen berichten, dass sie im Rahmen der Umsetzung des Lieferkettengesetzes aktiv geworden sind oder planen, dies künftig zu tun. Zwar haben sich zumindest fast alle Dax-Unternehmen bereits in der Vergangenheit grob mit der Frage befasst, wie sich menschenrechtliche und ökologische Risiken auf das Geschäft auswirken könnten. Seit Einführung des Gesetzes gehen die Aussagen dazu jedoch weiter. Auch die befragten Arbeitnehmervertreterinnen und Arbeitnehmervertreter in den Unternehmen betonen, dass das Gesetz beziehungsweise bereits seine Ankündigung zu Verbesserungen geführt hat. Laut der Studie erfüllen 66 Prozent der Unternehmen die wesentlichen Anforderungen des Lieferkettengesetzes, 34 Prozent sind noch nicht so weit.

Nachbessern müssen die Unternehmen laut Studie unter anderem in diesen Bereichen:

. Die Grundsatzerklärung, die rund zwei Drittel der Unternehmen veröffentlicht haben, bezieht sich nicht immer auf die im Gesetz genannten Menschen- und Umweltrechte und deren Referenzdokumente. Nur ein Drittel der Unternehmen beschreibt in der Grundsatzerklärung umfassend die notwendigen Prozesse. In den meisten Fällen fehlt eine adäquate Risikoanalyse, die als Grundlage dienen sollte.

. Häufig werden externe Dienstleister mit der Durchführung der Risikobewertung beauftragt. Viele Unternehmen beschränken sich auf die Beschreibung ihres Vorgehens bei der Risikoanalyse, veröffentlichen aber nicht die Ergebnisse. Konkrete Risiken werden nur selten genannt.

. Nur rund ein Drittel der untersuchten Unternehmen gibt an, Nachhaltigkeitskriterien bei der Beschaffung zu berücksichtigen. Welche Kriterien dabei genau berücksichtigt werden und inwieweit sie letztlich vergaberelevant sind, wird jedoch selten offengelegt.

. Menschenrechtliche und ökologische Zielindikatoren sind nur in wenigen Fällen vorhanden. Einzelne Unternehmen nennen Ziele zur Überprüfung von Lieferanten, zur Nachhaltigkeit beim Einkauf oder zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit der Rohstoffbeschaffung. Bei den Umweltzielen dominiert die Einsparung von Treibhausgasemissionen.

. Viele der untersuchten Unternehmen verfügen über einen Verhaltenskodex für Lieferanten. Eine genaue Definition der Anforderungen an die Lieferanten in Bezug auf Menschen- und Umweltrechte fehlt darin jedoch häufig.

Chance für mehr Mitbestimmung

Für Arbeitnehmervertretungen bieten sich mit dem Lieferkettengesetz neue Möglichkeiten: Sie werden in die Erarbeitung von Grundsatzerklärungen, Verhaltenskodizes, Beschwerdemechanismen und Risikoanalysen einbezogen. Sie nehmen an Betriebsbesuchen bei Zulieferern teil, um die Arbeitsbedingungen vor Ort zu überprüfen, und treten in direkten Kontakt mit den Beschäftigten. Sie können sich über die Ergebnisse von Kontrollen und besondere Vorkommnisse informieren. Sie sind in Gremien auf verschiedenen Unternehmensebenen vertreten und können so direkt Einfluss auf Entscheidungen nehmen und sicherstellen, dass die Interessen der Beschäftigten berücksichtigt werden. Darüber hinaus fungieren die Arbeitnehmervertretungen als Ansprechpartnerinnen für Beschäftigte sowie für internationale Gewerkschaften im Rahmen von Beschwerdeverfahren. Alle befragten Arbeitnehmervertreter*innen halten das Lieferkettengesetz für einen wichtigen Schritt.

Beile und Vitols kommen ebenfalls zu dem Schluss, dass das deutsche Lieferkettengesetz "einen Meilenstein" darstellt. Auch wenn die Unternehmen noch an einigen Stellen nachbessern müssten, sei ein solches Gesetz wichtig, um Menschenrechte und Umwelt nachhaltig zu schützen. Die Politik müsse sich auf die Frage konzentrieren, nachhaltiges Lieferkettenmanagement weiter zu stärken. Der EU-Richtlinienentwurf biete hierfür einen guten Ansatzpunkt.

*Judith Beile, Katrin Vitols: Das Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz. Einfluss und Auswirkung von Mitbestimmung auf Due Diligence in der Lieferkette, Working Paper der HBS-Forschungsförderung Nr. 320, Februar 2024. Download: https://www.boeckler.de/…

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