Der österreichische Multimediakünstler André Heller bespielt vom 16. bis 24. März 2024 die Elbphilharmonie. Für sein Reflektor-Festival bringt der legendäre Kunst-Expediteur Musiker:innen aus allen Genres zusammen und kuratiert ein umfangreiches und phantasiegeladenes Begleitprogramm. Projektionen auf der Fassade und im Foyerbereich lassen Hamburgs berühmtes Konzerthaus in neuem Licht erstrahlen: Neun Abende lang lädt eine große Lichtinszenierung Hellers auf der Außenseite der Elbphilharmonie Konzertbesucher:innen und andere Neugierige zum Innehalten und Staunen ein, für die Projektionen im Foyerbereich konnte er die exzeptionelle Malerin Xenia Hausner gewinnen. Das musikalische Programm ist ein Fest der Vielfalt und der Begegnungen. Die international gefeierte finnische Opernsängerin Camilla Nylund tritt am selben Abend auf wie die fünffache Grammy-Gewinnerin Angélique Kidjo aus Benin. Ein dadaistischer finnischer Chor schreiender Männer steht traditionellen bulgarischen a-cappella-Virtuosinnen gegenüber. Ekstatische Gnawa-Musik aus Marokko verbindet sich mit hypnotischem Sufi-Gesang aus Pakistan. Eine besondere Herzensangelegenheit ist für Heller die Jewish Music Night, die ein faszinierendes Kaleidoskop jüdischer Gesangstraditionen aus aller Welt hochaktuell präsentiert. Dazu kommt ein Theaterabend zum 100. Geburtstag von Maria Callas, das erste Deutschlandkonzert der konkurrenzlosen Songwriterlegende Jimmy Webb und ein Abend mit den aktuell wichtigsten Interpreten des Wienerlieds aus Hellers Heimatstadt. Im Gespräch nähern sich Philosoph Peter Sloterdijk und Sänger Florian Boesch der »Fremde« bei Franz Schubert. An den Wochenenden ist in den Kaistudios als Teil des großen Festivals eine Auswahl der von Heller in den letzten Jahrzehnten gestalteten Filme zu sehen. Tickets sind auf www.elbphilharmonie.de erhältlich. 

André Heller ist wieder in aller Munde, seit sein Kunstvergnügungspark »Luna Luna« vor kurzem den Weg von Hamburg, wo er 1987 ursprünglich realisiert wurde, nach Los Angeles gefunden hat. In das Projekt ist mit dem Rapper Drake einer der erfolgreichsten Musiker der Gegenwart involviert und tausende begeisterte Besucher:innen, darunter kunstaffine Stars wie Dua Lipa und Leonardo DiCaprio, pilgern nach »Luna Luna« und machen Heller nun auch zu einem Instagram-Phänomen. In seiner illustren Karriere war Heller zuvor schon Regisseur, Chansonnier, Maler, Radiomacher, Autor und international erfolgreicher Multimediakünstler. Seine bisherigen Projekte reichen von Gartenkunstwerken, Wunderkammern, literarischen Bestsellern zu großen fliegenden und schwimmenden Skulpturen. Neben der Regie von Shows, Theaterstücken, Zirkussen, Filmen und Opern, einer vielfach ausgezeichneten Karriere als Sänger und Songwriter hat er auch Feuerspektakel, Labyrinthe und Museumsbauten umgesetzt. Heller, der in Wien, Marrakesch und auf Reisen lebt, spricht von sich selbst nicht als Künstler. Er sieht sich als Schüler, der versucht, weiße Flecken auf der Landkarte seines Wissens zu tilgen.

»Fremd ist der Fremde nur in der Fremde« – diese Worte aus einem halb dadaistischen, halb philosophischen Text des Komikers und Autors Karl Valentin sind für André Heller der Leitsatz seines »Reflektor«-Festivals. Zum Auftakt am 16.3. hat er eine Begegnung zwischen dem Gegenwartsphilosophen Peter Sloterdijk und dem Bariton Florian Boesch arrangiert. Ausgehend von Franz Schuberts bekanntem Liederzyklus »Winterreise« werden sie sich über das Gefühl des Fremdseins austauschen.

Gleich danach trifft im Großen Saal die rhythmusbetonte Musik der jungen Gnawa-Sängerin Hind Ennaira aus Essaouria (Marokko) auf das kraftvolle Qawwali des unvergleichlichen Sufi-Ensembles um Fareed Ayaz und Abu Muhammad aus Pakistan. Wenn »Famoudou« Don Moye am Schlagzeug sitzt, verschmelzen Jazz-Drumming und afrikanisch inspirierte Percussion zu einem faszinierenden Klanggebilde. »Sun Percussion« nannte der 1946 geborene Drummer seine große Sammlung von Schlaginstrumenten aus aller Welt. Mit ihnen erlangte er ab 1970 Berühmtheit im legendären experimentellen Jazz-Kollektiv Art Ensemble of Chicago und spielt dort bis heute äußert virtuos und in allen Klangfarben. Am 17.3. steht er gemeinsam mit Christoph Leloil und Simon Sieger auf der Bühne des Kleinen Saals.

Der finnische Chor der schreienden Männer Mieskuoro Huutajat und der bulgarische Frauenchor Bulgarian Voices Angelite gehören jeweils zu den bekanntesten Vokalgruppen ihrer Länder. Mieskuoro Huutajat deklamiert, ruft und schreit auf der Bühne alles von Nationalhymnen über Kinderlieder bis hin zu Gesetzestexten. Mit einer Musik zwischen westlicher Harmonik und mikrotonalen Schwingungen, zwischen Tradition und Gegenwart lassen Angelite alle Folkloreklischees weit hinter sich (17.3.).

Jimmy Webb
 schrieb die Hits für Stars wie Frank Sinatra, Barbara Streisand oder The 5th Dimension, Klassiker wie »MacArthur Park«, »Up, Up and Away« und »Wichita Lineman« – nicht nur für Bob Dylan ein konkurrenzloses Meisterwerk. Nun betritt Webb zum ersten Mal eine deutsche Bühne, eine einzigartige Chance, die Songwriter-Legende live zu erleben (18.3.). Drei unterschiedliche Vokalensembles sind am 19.3. bei der Jewish Music Night im Großen Saal zu erleben: Religiöse jüdische Poesie, genannt Piyut, gab dem Piyut Ensemble seinen Namen. Synagogenlieder, Musik aus Nordafrika und aus dem Nahen Osten, sowie Elemente ganz unterschiedlicher Weltmusik sind Inspirationsquellen für sein spirituell-künstlerisches Schaffen. Kraftvolle Rhythmen und Gesänge machen die Musik der Voices of Yemen aus. Das Hauptanliegen des 2021 von Ravid Kahalani gegründeten Ensembles ist Bewahrung der mystischen jüdischen Lieder des Jemen, angereichert mit zeitgemäßen Grooves. Auch die jüdische Diaspora hat ihren Platz in diesem einmaligen Konzert: In Brooklyn begeben sich seit einigen Jahren junge chassidische Sänger auf die Spuren der synagogalen Gesänge ihrer Vorfahren. Auf dem Programm der Brooklyn Cantors steht auch ein Gesang von Jossele Rosenblatt, der von 1906 bis 1912 in Hamburg wirkte, ehe er in den USA berühmt wurde und bis heute als wichtige Referenz des Kantoren-Gesangs gilt.

Maria Callas ist die berühmteste Sopranistin aller Zeiten. Das Erfolgsstück »Meisterklasse« (1995) des us-amerikanischen Dramatikers Terrence McNally schildert, wie die Callas nach dem Ende ihrer Bühnenkarriere drei junge Sänger unterrichtet und dabei zu sich selbst findet. Wie beiläufig erklingt dazu Musik von Verdi, Puccini und Bellini. In Hamburg wird nun erstmals und einmalig die legendäre Inszenierung des Wiener Volkstheaters gezeigt – mit der Schauspielerin und Sängerin Andrea Eckert als ungnädige, verletzliche Diva (20.3.).
 
Die insbesondere für ihre dramatischen Rollen bei Wagner und Strauss gefeierte und vielfach preisgekrönte Sopranistin Camilla Nylund zählt zu den absoluten Lieblingskünstlerinnen André Hellers. Am 21.3. gestaltet sie einen Doppelabend mit Angélique Kidjo, die wie keine andere Musikerin westafrikanische Einflüsse mit R&B, Funk und Pop kombiniert. Nylund singt orchestral arrangierte Evergreens aus dem Great American Songbook, so entsteht ein Programm mit Liedern ganz unterschiedlicher Herkunft, interpretiert von zwei Großen ihrer Zunft. Der mit fünf Grammys ausgezeichnete Soweto Gospel Choir wurde gegründet, um die einzigartige und inspirierende Kraft afrikanischer Gospelmusik zu feiern. In der Elbphilharmonie präsentiert er Titel von Curtis Mayfield, Marvin Gaye oder Ottis Redding und, auf speziellen Wunsch von André Heller, Songs von Größen wie Bob Dylan und Prince (22.03.). Ein Update für traditionsreiche Folk-Musik-Formen – das haben sich die Sängerinnen Oum aus Marokko und Noura Mint Seymali aus Mauretanien zum Ziel gesetzt. Sie vermengen ihre jeweiligen nationalen Musiktraditionen mit neuen Genres und machen sie so für die Gegenwart relevant (23.3.).
 
Harri Stojka schafft als Gitarrist den seltenen Spagat zwischen Punk, Jazz und Fusion, verliert dabei aber nie die Verbindung zu seinen familiären Wurzeln im sogenannten »Gypsy Jazz«, mit dem er als Kind einer künstlerisch vielseitigen Lovara-Rom:nja-Familie aufgewachsen war. Vor wenigen Monaten holte Stojka die Geschichte seines 2014 verstorbenen Vaters ein: Ein über acht Jahrzehnte verschollenes, handschriftlich verfasstes Büchlein, das dieser im Konzentrationslager Buchenwald verfasst hatte, kam ausgerechnet in der Holocaust Gallery des Imperial War Museum in London zum Vorschein. Mit dem Musiker und Journalisten Robert Rotifer spricht Stojka in der Elbphilharmonie über die bewegende Geschichte dieses Funds. Im Anschluss daran wird in einem furiosen akustischen Set die Unauslöschlichkeit der Rom:nja-Kultur im Angesicht von Diskriminierung und Völkermord musikalisch zelebriert (24.3.). Der Liedermacher und Dichter Ernst Molden hat für den Abschlussabend gemeinsam mit André Heller eine Riege von Musiker:innen zusammengestellt, die eines eint: Mit viel Achtung für die Tradition hauchen sie dem Wienerlied neuen Geist ein. Poesie, schwarzen Humor, blitzgescheiten Spott und herzergreifende Melodien – himmelhochjauchzend, zu Tode betrübt –: Das bringen der charismatischen Sänger Voodoo Jürgens, Nino Mandl, besser bekannt als Der Nino aus Wien, der österreichische Superstar Marco Wanda, die Songschreiberin Anna Mabo und die Sängerinnen Tini Kainrath und Ursula Strauss nach Hamburg. Für instrumentale Vielfalt sorgen die Neuen Wiener Concert Schrammeln und das Frauenorchester (24.3).

Bereits mehrfach kreuzten sich die Wege André Hellers mit denen der österreichischen Künstlerin Xenia Hausner: zuletzt an der Staatsoper Unter den Linden, bei der André Heller mit »Der Rosenkavalier« sein Opern-Debüt in Berlin gab und dabei auf Hausner setzte, die als Bühnenbildnerin an den großen Häusern in London, Wien und Salzburg tätig war. Dem »Reflektor« fügt André Heller mit Hausners großformatigen, farbkräftigen Gemälden, die rund um die Konzerte im Foyer des Großen Saales riesenhaft and die Wände projiziert werden, eine weitere Facette hinzu. »Meine Motive stehen hier nicht nur für Migration im tagesaktuellen Sinn, sondern ganz allgemein für Wurzellosigkeit und Unzugehörigkeit. Das Nichtankommen ist mir vertraut«, so die Künstlerin über ihre Werkserie »Exiles«. Inspiriert wurden ihre verschiedenen Werke u.a. durch die Fluchtbewegungen des Jahres 2015.

In seiner Filmreihe »Menschenkinder« porträtiert André Heller seit 2013 ganz unterschiedliche Persönlichkeiten und ihr Leben. Einfühlsame Gespräche geben den Interviewpartner:innen Raum, völlig frei aus ihren Biografien zu erzählen. Ganz ohne Druck und vorgegebene Richtung offenbaren sie so intime Einblicke in ihren Werdegang, erinnern sich plötzlich an halb Vergessenes und erschaffen ganz nebenbei ein Panorama von Zeitgeschichte und Lebenswelten. In den Kaistudios sind die Portraits von Christoph RansmayrSophie FreudPeter Fabjan und Andrea Breth zu sehen. Dazu kommen Filmaufführungen von »Im Herzen des Lichts. Die Nacht der Primadonnen« über ein Fest der Stimmen in einer geheimen Höhle auf Sizilien, »Im toten Winkel. Hitlers Sekretärin. Die Lebensbeichte von Traudl Junge«, ein Gespräch von Gert Voss und Harald Schmidt am Gardasee mit dem Titel »Scheitern, Scheitern, besser scheitern« und »Jessye Norman. Ein Porträt«.

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