Pflegebedürftige Menschen ab 65 Jahre erhalten aufgrund ihres Gesundheitszustandes überproportional viele Behandlungen mit Heilmitteln. So entfielen 2022 von den rund 5,9 Millionen Heilmittel-Verordnungen für über 64-jährige AOK-Versicherte knapp 55 Prozent (3,2 Millionen Verordnungen) auf pflegebedürftige Versicherte. Das zeigt der aktuelle Heilmittelbericht des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO), der erstmals auch große regionale Unterschiede bei den Heilmittel-Verordnungen für ältere Pflegebedürftige transparent macht.

Obwohl nur knapp jeder dritte AOK-Versicherte über 65 Jahre (30,7 Prozent) innerhalb des Jahres 2022 für mindestens einen Tag Leistungen der Pflegeversicherung bezog, entfielen fast 60 Prozent der Heilmittelbehandlungen (29,3 Millionen) und 67 Prozent der Ausgaben (1,23 Milliarden Euro) für diese Altersgruppe auf Pflegebedürftige. „Physiotherapie, Podologie, aber auch Ergotherapie sind mit zunehmender Pflegebedürftigkeit und steigendem Versorgungsbedarf wichtige Bausteine der Behandlung. Dies führt dazu, dass auf knapp drei Prozent aller AOK-Versicherten 31 Prozent aller Heilmittelausgaben entfallen“, kommentiert WIdO-Geschäftsführer Helmut Schröder die Ergebnisse des aktuellen Heilmittelberichts.

Mehr als jeder vierte pflegedürftige AOK-Versicherte ab 65 Jahre (42,7 Prozent) erhielt im Jahr 2022 mindestens eine Behandlung aus den Bereichen Physiotherapie, Ergotherapie, Podologie oder Sprachtherapie. Besonders hoch war die Inanspruchnahme bei den 75- bis 79-Jährigen mit knapp 51 Behandlungen je 100 pflegebedürftige AOK-Versicherte aus dieser Gruppe. Je höher der Pflegegrad, desto mehr Heilmittel werden in Anspruch genommen. Ab dem Alter von 80 Jahren sinkt die Behandlungsrate dann jedoch wieder. Der häufigste Grund für eine Heilmittelverordnung bei Pflegebedürftigen war Diabetes mellitus: Diese Diagnose war im Jahr 2022 bei 17,8 Prozent der pflegebedürftigen Heilmittelpatientinnen und -patienten (143.000 AOK-Versicherte) der Behandlungsanlass. Nahezu ebenso groß ist mit 17,2 Prozent der Anteil der Patienten mit Symptomen, die das Nervensystem und das Muskel-Skelett-System betreffen (137.600 AOK-Versicherte). Verordnungen aus diesem Anlass haben mit 12,3 Prozent den größten Anteil an allen Verordnungen für Pflegebedürftige. Der weit überwiegende Teil der pflegebedürftigen Versicherten ab 65 Jahre mit einer Heilmittelbehandlung erhielt Physiotherapie (35,2 Prozent), gefolgt von Podologie-Behandlungen (10 Prozent). Am häufigsten abgerechnet wurde die „normale“ Krankengymnastik (40,8 Prozent aller Behandlungen), mit großem Abstand gefolgt von der Manuellen Lymphdrainage (13,8 Prozent) und von Krankengymnastik auf neurologischer Basis (12,4 Prozent).

Auswertung nach Regionen zeigt deutliche Unterschiede

Der Heilmittelbericht beleuchtet erstmals auch regionale Unterschiede bei der Verordnung von Heilmitteln für ältere Pflegebedürftige. Die Ergebnisse, bei denen die Unterschiede in der Alters- und Geschlechtsverteilung sowie in der Pflegeschwere herausgerechnet wurden, zeigen eine überdurchschnittliche Heilmittel-Versorgung von pflegebedürftigen AOK-Versicherten ab 65 Jahre in Sachsen, Thüringen, im Süden von Sachsen-Anhalt, im südlichen Brandenburg sowie im Nordosten Mecklenburg-Vorpommerns. Im Westen Deutschlands gibt es nur einzelne Regionen mit vergleichbar hohen Verordnungszahlen. „Hierbei dürften Unterschiede im Versorgungsbedarf und in den Angebotsstrukturen eine Rolle spielen“, sagt WIdO-Geschäftsführer Helmut Schröder.

Unterschiede in der Heilmittel-Versorgung je nach Pflegesituation

Schaut man differenziert nach Pflegesituation auf die Heilmittelverordnungen, zeigt sich: Bei Menschen, die von einem ambulanten Pflegedienst zu Hause gepflegt werden, ist die Behandlungsrate mit Heilmitteln am höchsten. In dieser Gruppe erhielten 47,9 Prozent der Pflegebedürftigen eine Heilmitteltherapie. Von den vollstationär versorgten Pflegeheim-Bewohnenden erhielten 46,4 Prozent mindestens eine Behandlung. Bei den Menschen in häuslicher Pflege ohne professionelle Unterstützung durch einen Pflegedienst war die Behandlungsrate von 40 Prozent dagegen deutlich niedriger. „In der differenzierten Betrachtung fällt auf, dass vor allem Menschen mit dem höchsten Pflegegrad 5, die im Pflegeheim leben, seltener mit Heilmitteln therapiert werden – möglicherweise, weil sie sich oftmals in der letzten Lebensphase befinden oder zu fragil und krank sind, um von einer Heilmitteltherapie zu profitieren“, so Schröder.

Eine spezielle Auswertung zur podologischen Versorgung von Pflegebedürftigen mit Diabetes mellitus zeigt hingegen, dass die Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen deutlich häufiger die von den Fachgesellschaften empfohlene Therapie bekommen als Menschen, die zu Hause gepflegt werden. Dies gilt für fast alle Altersgruppen ab 65 Jahre und über alle Pflegegrade hinweg. „Dieses erfreuliche Ergebnis deutet darauf hin, dass Bewohnende in Pflegeheimen häufiger eine angemessene Versorgung erhalten. Möglicherweise können podologische Behandlungsangebote im stationären Setting aufwandsärmer organisiert werden und mehr Erkrankte erreichen, als dies bei individuellen Terminvereinbarungen und Besuchen im heimischen Umfeld möglich ist“, sagt Helmut Schröder.

Heilmittel-Umsatz in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt

Laut Heilmittelbericht wurden für die rund 73 Millionen Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung im Jahr 2022 insgesamt 37,8 Millionen Heilmittelverordnungen abgerechnet. Dahinter stehen rund 46,3 Millionen Leistungen und gut 317 Millionen einzelne Behandlungen. Je 1.000 GKV-Versicherte wurden 629 Leistungen abgerechnet, was einem Rückgang um 1,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht. Die Ausgaben der GKV inklusive der Zuzahlungen der Patientinnen und Patienten hatten 2022 ein Volumen von rund 11,1 Milliarden Euro; 2013 waren es noch 5,4 Milliarden Euro. Je 1.000 GKV-Versicherte wurden im Jahr 2022 Therapien im Wert von 150.683 Euro abgerechnet; der Heilmittelumsatz liegt damit knapp 8 Prozent höher als im Jahr 2021. „Damit erreichen die Heilmittel-Ausgaben einen neuen Höchstwert. Wenn man sich die Entwicklung der vergangenen zehn Jahre anschaut, dann haben sich die Ausgaben in diesem Zeitraum mehr als verdoppelt“, sagt WIdO-Geschäftsführer Helmut Schröder.

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