Wie das European Milk Board bei seiner heutigen Pressekonferenz in Brüssel mitteilt, lassen sich die Proteste der Landwirte, die in zahlreichen Ländern stattfinden, nicht über die Vergabe von Subventionen beenden. „Wer wie wir die Entwicklung des Agrarsektors in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten mitverfolgt hat, der weiß, dass die nun auftretenden Proteste nicht von irgendwo kommen, sondern handfeste Ursachen haben“, so der EMB-Präsident Kjartan Poulsen. „Diesen tiefgehenden Ursachen kann man nicht mit kleinen Schönheitsreparaturen oder schlimmer noch, mit Ignoranz, begegnen.“ Denn genau diese jahrelange Nichtbeachtung der Erzeugersituation hat das Agrarsystem in eine große Schieflage gebracht, bei der den Produzenten stetig mehr Druck zugemutet wurde. „Dieser Druck kann nur abgebaut werden, wenn man das Agrarsystem tiefgehend und nachhaltig reformiert“, so Poulsen weiter.

Tiefgehende Reformen für einen angeschlagenen Sektor

Dass der Druck weiter steigt und nicht zurückgeht, zeigen auch aktuelle Protestankündigungen. So haben französische LandwirtInnen für den 25.01.2024 einen landesweiten Aktionstag angekündigt, um von der Politik wichtige Verbesserungen einzufordern. Für Véronique Le Floc’h, die Präsidentin der französischen Organisation Coordination Rurale (CR), sind die Signale an die Politik sehr deutlich: „Die aktuellen Proteste in Deutschland, Frankreich und anderswo zeigen, dass ein Europa abgelehnt wird, in dem eine so schlechte Perspektive in der Landwirtschaft existiert. Die Fortsetzung einer ultra-liberalen Politik, in der Freihandelsabkommen und Importe von Lebensmitteln, die nicht unseren Standards entsprechen, zunehmen, stellt eine echte Gefahr für die Landwirte dar.“

Auch in Litauen gehen die Proteste weiter. Nachdem Anfang Januar im ganzen Land Mahnfeuer auf den Feldern entzündet worden waren, fahren mehrere hundert Landwirte nun in dieser Woche mit ihren Traktoren in die litauische Hauptstadt Vilnius. Unter anderem fordern sie von den politischen Vertretern effektive Lösungen für die aktuelle Milchkrise ein.

Die italienischen LandwirtInnen haben ebenfalls wichtige Proteste geplant. Am 30. Januar findet eine nationale Mobilisierung in ganz Italien statt. Die italienischen Produzenten wollen damit unter anderem eine Reform des Green Deal sowie ein Ende des Lebensmitteldumpings erreichen.

In den letzten Wochen und Monaten ist vielen klar geworden, dass speziell die Politik reagieren muss und sich nicht wie bisher vor der Verantwortung und der Konfrontation mit der Realität und überstarken Marktakteuren drücken kann. „Es müssen fundamentale Reformen umgesetzt werden, die die aktuelle starke Ungleichverteilung in der Wertschöpfungskette zulasten der ErzeugerInnen beenden“, erklärt der EMB-Präsident.

Im Einzelnen bedeutet dies, dass am Markt kostendeckende Erzeugerpreise erreicht werden müssen durch:

1. Die aktive Anwendung von Kriseninstrumenten wie dem freiwilligen Lieferverzicht aus der Gemeinsamen Marktorganisation sowie eine Weiterentwicklung des Instruments hin zu seiner automatischen Aktivierung bei sich anbahnenden Krisen.Für solch eine Weiterentwicklung des freiwilligen Lieferverzichts ist das Marktverantwortungsprogramm wegweisend.

2. Konkrete EU-Vertragsvorgaben zu u. A. Mengen und kostendeckenden Preisen vor Ablieferung der Milch.Diese müssen für alle Marktakteure und damit auch Genossenschaften gelten.

3.  Eine EU-weite Regulierung, die kostendeckende Preise verpflichtend macht.

4. Strenge Spiegelklauseln für Importe und zuverlässige
​    Einhaltungskontrollen.

5. Maßnahmen zur Intensivierung der Erzeugerbündelung, um das Machtgefälle am Markt wirksam zu verringern.

Auch im Zusammenhang mit dem Green Deal ist solch ein Marktrahmen erforderlich, damit stabile Preise am Markt ermöglicht werden und die ErzeugerInnen den grünen Anforderungen gerecht werden können. Die Milcherzeugung muss profitabel werden, damit auch die junge Generation wieder einsteigen kann. „Neben gesetzlichen Rahmenbedingungen ist dabei auch die Unterstützung solcher Erzeuger-Projekte wie der Fairen Milch wichtig“, betont Poulsen.

Ohne die angesprochenen Marktreformen wird es nicht gehen, da ist sich das European Milk Board sicher. Die EU müsste in vielerlei Hinsicht ein Interesse daran haben, die Proteste und Probleme der LandwirtInnen ernst zu nehmen. Es geht neben dem Respekt für die Bäuerinnen und Bauern und ihre unentbehrliche Arbeit auch um Nahrungsmittelsicherheit für die EU-BürgerInnen und letztlich um das Vertrauen in demokratische Institutionen. Das Vertrauen schwindet immer mehr, wenn diese Institutionen solche stark gesellschaftsrelevanten Themen nicht ernst nehmen. Auch im Hinblick auf die anstehenden Europawahlen ist es daher wichtig, nun effektiv zu handeln und mit tiefgehenden Marktreformen den LandwirtInnen eine wirkliche Perspektive aufzuzeigen.

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