„Während die Welt aktuell auf die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten schaut, nutzt Diktator Lukaschenko die Gelegenheit, um Kritiker im ganzen Land weiter einzuschüchtern. In einigen Fällen wurden nun sogar ganze Familien festgenommen“, erklärt IGFM-Vorsitzender Edgar Lamm.
Über 70 Festnahmen an einem Tag – Fokus auf „INeedHelpBY“-Initiative
Bei den landesweiten Razzien durch den KGB am 23. Januar wurden die Wohnungen von mindestens 84 Personen durchsucht. Die Durchsuchungsbefehle waren unter anderem mit dem Verdacht der „Finanzierung extremistischer Aktivitäten“ und der „Beteiligung an extremistischen Gruppen“ begründet. Im Fokus standen insbesondere Angehörige politischer Gefangener. Einigen der Inhaftierten wurde mitgeteilt, dass die Durchsuchungen im Zusammenhang mit der „INeedHelpBY“-Initiative stünden. Diese Initiative wurde gegründet, um den unterversorgten politischen Häftlingen mit Lebensmittelpäckchen zu helfen. Am 16. Januar stufte der KGB diese Initiative als „extremistische Formation“ ein, kritisiert die IGFM.
Journalisten und Familienmitglieder verhört und festgenommen
Zu den Inhaftierten gehört die Ehefrau des politischen Gefangenen und ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Nikolai Statkewitsch, Marina Adamowitsch. Auch die Mutter der Aktivistin Marina Kosinerowa, Mitbegründerin der Hilfsorganisation Dissidentby, wurde für zehn Stunden verhört. Man habe von ihr alles über ihre Tochter im Exil erfahren wollen, berichtet die IGFM. Die Generalstaatsanwaltschaft leitete zudem ein Strafverfahren gegen den bekannten Blogger und Journalisten von „Radio Svaboda“, Syarhei Dubauts, ein. Die Behörden stufen Radio Svaboda als „extremistische Organisation“ ein, die Redaktion ist daher gezwungen, im Ausland zu arbeiten. Die IGFM kritisiert seit Jahren die anhaltende Einschränkung der Pressefreiheit in Belarus.
1.415 politische Gefangene
Noch immer befinden sich in Belarus nach der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung im Sommer 2020 tausende friedliche Demonstranten im Gefängnis.
Die von dem seit Juli 2021 inhaftierten Friedensnobelpreisträger Ales Bialiatski gegründete Menschenrechtsorganisation „Viasna“ benennt heute 1.415 politische Gefangene in Belarus. Darunter 186 Frauen, 535 junge Menschen sowie 48 Senioren und Seniorinnen, wie die 75-jährige Natallia Taran, die wegen „indirekter Präsidentenbeleidigung“ zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt wurde.
Entrechtung und Entmenschlichung – vierter Toter politischer Gefangener
Die Verhandlungen finden ohne wirkliche Rechtsvertretung und in Abwesenheit der Beklagten statt. Die Urteile sind drakonisch; Strafen von zehn bis 18 Jahren Freiheitsentzug für führende Köpfe der Demokratiebewegung sind das Regelmaß. Die Haftbedingungen zeichnen sich durch unzureichende medizinische Versorgung sowie fehlende Hygieneartikel und Waschmöglichkeiten aus. Zudem herrschen Überfüllung vor sowie ungenügende Luftzufuhr, fehlende Beheizung und Warmwasser, Tag- und Nachtbeleuchtung, Misshandlung durch Wärter, Gewaltandrohungen, Entzug von Bewegung und Ausgang an frischer Luft, Ungeziefer in den Zellen, Bettwanzen. Vier politische Häftlinge sind seither in belarusischen Gefängnissen auf ungeklärte Weise verstorben. Vithold Ashurak, Mikalai Klimowitsch, Ales Puschkin und zu Jahresbeginn der 50-jährige Vadzim Khrasko.
Zerstörung durch KGB-Polizeistaat und absolute Isolation
Das erklärte Ziel des Diktatoren Lukaschenko ist es, die politischen Gefangenen und mit ihnen die belarusische Demokratiebewegung mit Psychoterror zu zerstören. „Wir kriegen sie alle“, so hatte er es dem russischen Präsidenten versprochen, ohne den er selbst nicht mehr an der Macht wäre, mahnt die IGFM an. In dem nach stalinistischen Muster geführten Polizeistaat wird jegliche Opposition im Keim erstickt und sei es das Tragen von rot-weißen Socken, den Farben der Demokratiebewegung.
Angehörige über 10 Monate ohne Lebenszeichen
Seit einem Jahr setzt Lukaschenko auf absolute Isolation der politischen Gefangenen, insbesondere der damaligen führenden Köpfe der Demokratiebewegung. Sie werden in Isolations- und Einzelhaft unter strengem Regime gehalten, jeglicher Kontakt zur Außenwelt wird ihnen entsagt. Die IGFM stuft die zunehmende Isolationspolitik Lukaschenkas als Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein.
Die Angehörigen erhalten kein Lebenszeichen und sind angewiesen auf unbenannte Quellen von Gefängnisinsassen, die Nachrichten nach außen vermitteln. So gelangte vor zwei Tagen, erstmals nach 10 Monaten, ein vermeintliches Lebenszeichen der bekannten und tapferen Maria Kolesnikowa nach außen. Sie sei von Wärtern zur medizinischen Abteilung geführt worden und sei sehr abgemagert.
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