Ein Forschungsteam der Universitätsmedizin Mainz hat herausgefunden, dass eine weizenhaltige Ernährung die Schwere einer Multiple Sklerose-Erkrankung (MS) fördern kann. Dies bewirkten die Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATI), natürliche Proteine im Weizen, während die Glutenproteine die entzündlichen Reaktionen nicht beeinflussten. Die Studien bestätigen, dass die Ernährung und die Darmgesundheit den Verlauf von chronisch-entzündlichen Erkrankungen, zu denen auch MS gehört, beeinflussen können. Das Besondere ist jedoch, dass ein wesentliches Nahrungsmittel und hier ein definierter Bestandteil diese Entzündung fördern kann. Die Forschungsergebnisse wurden in den renommierten Zeitschriften „Gut“ und „Therapeutic Advances in Neurological Disorders“ veröffentlicht. Die Forschungsgruppe will nun untersuchen, inwieweit eine weizenfreie Ernährung medikamentöse Therapien der MS verbessern kann.

Multiple Sklerose ist eine Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems. Das Immunsystem attackiert in einer Überreaktion gesunde Nervenzellen, sodass diese fortlaufend absterben. Die häufigsten Frühsymptome sind vorübergehende Empfindungsstörungen, Sehstörungen und Muskellähmungen. Von MS sind weltweit rund 2,8 Millionen Menschen betroffen, davon mehr als 250.000 in Deutschland. Die Prävalenz nimmt deutlich zu, vor allem bei jungen Erwachsenen und Frauen. Ausgelöst wird die Erkrankung durch eine Kombination verschiedener Faktoren. Neben genetischen Faktoren können auch Umweltfaktoren wie die Ernährung den Verlauf der chronisch-entzündlichen Erkrankung beeinflussen.

„Es ist bekannt, dass bestimmte Weizenproteine entzündliche Reaktionen hervorrufen können. Dazu gehört die Zöliakie bei rund ein Prozent der Bevölkerung. Sie ist eine entzündliche Reaktion des Dünndarms auf Gluten, das Klebereiweiß des Weizens. Neu ist, dass andere Weizenproteine generell Entzündungen fördern können“, erklärt Univ.-Prof. Dr. Dr. Detlef Schuppan, Direktor des Instituts für Translationale Immunologie der Universitätsmedizin Mainz und Professor an der Harvard Medical School. „Bisher gab es jedoch keine eindeutigen Belege, dass eine weizenhaltige Ernährung auch entzündliche Erkrankungen des zentralen Nervensystems beeinflussen kann. Nun konnten wir sowohl im Tiermodell als auch in einer klinischen Pilotstudie zeigen, dass bestimmte Weizenproteine die Schwere der MS fördern können. Dabei spielen die sogenannten ATI-Proteine eine wesentlich größere Rolle als die Glutenproteine.“

Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATI) sind natürliche Proteine, die in Getreiden wie Weizen, Gerste und Roggen vorkommen. Die ATI-Proteine werden kaum verdaut und verursachen leichte Entzündungsreaktionen im Darm. Dabei wirken sie nicht nur im Darm: Durch ATI aktivierte Entzündungszellen und Botenstoffe können aus dem Darm auch über den Blutkreislauf in andere Teile des Körpers transportiert werden. Wie die Wissenschaftler:innen herausgefunden haben, fördern die ATI-Proteine damit bestehende Entzündungsprozesse in Organen wie der Leber oder der Lunge, und, das ist die Neuigkeit, sogar im zentralen Nervensystem. Dadurch können die ATI-Proteine die Erkrankungssymptome bei einer MS verstärken.

Die initiale Untersuchung des Forschungsteams im Tiermodell ergab, dass sich bei einer Ernährung, die 25 Prozent Weizen enthält, die Symptome der MS stark verschlechtert haben im Vergleich zur gleichen, aber weizenfreie Ernährung. Diese Ergebnisse ließen sich auch mit einer minimalen Menge der ATI-Proteine (0,15 Prozent des Futtergewichts), nicht aber mit einer großen Menge an Glutenproteinen (5 Prozent des Futtergewichts) reproduzieren.

Die Ergebnisse aus dem Tiermodell konnte das Forschungsteam dann auch in einer klinischen Pilotstudie bestätigen. An dieser Studie nahmen Patientinnen und Patienten mit mittelgradig schwerer, gering aktiver MS teil. Eine Studiengruppe hielt sich drei Monate lang an eine weizenreduzierte Diät, während die andere Gruppe ihre weizenhaltige Ernährung weiterführte. Nach den drei Monaten wechselten die Gruppen für weitere drei Monate zur jeweils anderen Diät. Die MS-Betroffenen berichteten während der weizenfreien Diät von signifikant weniger Schmerzen. Ebenso konnten weniger entzündliche Immunzellen in ihrem Blut gemessen werden.

„Unsere Studien belegen, wie wichtig die Ernährung, ihre Wechselwirkungen mit dem Darmmikrobiom und dem Darmimmunsystem für die Gesundheit ist. Eine weizenfreie Ernährung kann die Schwere einer MS, wie auch anderer entzündlicher Erkrankungen mildern. Weitere Studien, die unter anderem eine weizenfreie Ernährung mit anderen medikamentösen Therapien verbinden, sind geplant“, betont Professor Schuppan.

Professor Schuppan und seine Arbeitsgruppe beschäftigen sich seit vielen Jahren unter anderem mit innovativen Therapien für Zöliakie, Autoimmunerkrankungen, Organfibrosen und Krebserkrankungen in Forschung und Klinik. Seine Kooperationspartner aus dem Institut für Molekulare Medizin der Universitätsmedizin Mainz unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Ari Waisman, der Ambulanz der Klinik für Neurologie Mainz sowie des Universitätsklinikums Münster haben ihre Schwerpunkte im Feld der Autoimmunerkrankungen, insbesondere auch der MS. Die Studien wurden durch die Sonderforschungsbereiche SFB/TR 128 „Multiple Sklerose“ und SFB/TR 355 „Regulatorische T-Zellen“ sowie das Projekt Schu 646/17-1 „ATIs in Weizensorten und ihr pro-entzündlicher Effekt“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert.

Originalpublikationen:

1: V.F. Zevallos, N. Yogev, J. Hauptmann, A. Nikolaev, G. Pickert, V. Heib, N. Fittler, S. Steven, F. Luessi, M. Neerukonda, C. Janoschka, A.M. Tobinski, L. Klotz, A. Waisman, D. Schuppan. Dietary wheat amylase trypsin inhibitors exacerbate CNS inflammation in experimental multiple sclerosis. Gut. 2023 Dec 7;73(1):92-104.
DOI: https://doi.org/10.1136/gutjnl-2023-329562

2: S. Engel, L. Klotz, T. Wirth, A.K. Fleck, G. Pickert, M. Eschborn, S. Kreuzburg, V. Curella, S. Bittner, F. Zipp, D. Schuppan, F. Luessi. Attenuation of immune activation in patients with multiple sclerosis on a wheat-reduced diet: a pilot crossover trial. Ther Adv Neurol Disord. 2023 Jun 25;16:17562864231170928.
DOI: https://doi.org/10.1177/17562864231170928

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