Jeder und jede startet ins Fernstudium mit dem Vorhaben, das Beste zu geben. Dieser Anspruch kann uns antreiben, motivieren und uns Energie geben – aber auch bremsen. Zum Beispiel dann, wenn positiver Ehrgeiz in übertriebenen Perfektionismus umschlägt.

„Wenn man alles perfekt machen möchte, und das dann nicht hundertprozentig klappt, kommt eine innere Unruhe“, weiß Roland Schwalm. Als Lerncoach unterstützt er Fernstudierende der sgd bei allen Fragen rund ums Lernen und kennt die Problematik aus seinem Beratungsalltag. „Eine solche innere Unruhe lähmt nicht nur, sie kommt meist auch mit dem Glaubenssatz einher, man ist nicht gut genug.“

Doch wie können wir erkennen, an welchem Punkt unsere Ansprüche an uns selbst uns behindern, statt uns voranzubringen? Roland Schwalm sieht dabei vor allem einen Aspekt: Zwang. „Für mich ist Perfektionismus eine zwanghafte Form, die uns zurückhält“, so der Experte. „Wir meinen dann, alles schaffen zu müssen und alles können zu müssen. Dieser Zwang, der dahintersteckt, ist das Wesentliche am Perfektionismus.“

Beim Lernen findet laut Schwalm das Thema Perfektionismus auf mehreren Ebenen statt. Da sind einmal die Einsendeaufgaben und Prüfungen, die man möglichst mit der Bestnote bestehen will. Aber auch der Anspruch, alles verstehen zu müssen, spielt eine Rolle. „Dabei ist es oft ausreichend, wenn man 80 Prozent eines Textes verstanden hat“, so Schwalm. „Aber nein, man will unbedingt alles verstehen und auch alles behalten.“ Und schließlich sind dann noch die Verpflichtungen des Alltags: Job, Partner:in, Kinder, vielleicht sogar Schichtarbeit. „Das muss man natürlich alles unter einen Hut bekommen. Wenn man dann meint, all das perfekt anordnen zu müssen, kann es schnell schief gehen.“

Selbstverständlich ist es richtig und wichtig, gut sein zu wollen in dem, was man tut. „Wenn ich schauen möchte, dass ich etwas so gut wie möglich mache, treibt mich das an“, so Schwalm. „Problematisch wird es, wenn ein ‚Müssen‘ hinzukommt, das mich innerlich antreibt. Denn dadurch entsteht diese gewisse innere Unruhe, die auch körperliche und mentale Nachteile mit sich bringt.“

Alarmsignale ernstnehmen
Es sei daher wichtig, sich selbst zu beobachten. „Wenn man eine innere Unruhe verspürt, wenn man ans Lernen denkt, ist das ein Warnsignal“, betont Schwalm. „Oder wenn man die ganze Zeit daran denken muss, zum Beispiel auch tagsüber auf der Arbeit, oder wenn man nicht einfach mal sagen kann, dann habe ich eben nicht alles verstanden. Daraus ergibt sich schließlich ein Gefühl der Unzufriedenheit, körperliche Anspannung, Stress, Versagensangst und der Glaubenssatz, man ist nicht gut genug.“

Und schließlich leidet auch die Konzentrationsfähigkeit. „Das Lernen fällt dann immer schwerer, und die Effektivität sinkt“, beobachtet Schwalm. „Dann geht noch ein Gedankenkarussell los, und man fühlt man sich schlecht, weil man denkt, man ist doch nicht so gut, wie man sich das wünscht.“

Solch eine negative Einstellung schlägt nicht nur auf die Laune. „In vielen Fällen ist es so, dass unser Gehirn nicht so viel behält, wenn wir negativ fühlen, als wenn wir gut drauf wären“, erklärt Schwalm.

Positiv ans Lernen rangehen
Darum lautet auch der erste Rat: Für positive Gefühle sorgen. „Es gibt viele, die perfektionistisch veranlagt sind“, weiß Schwalm. „Aber man kann etwas tun, damit der Perfektionismus nicht die Überhand gewinnt.“ Der Experte empfiehlt, ein Einzelcoaching in Anspruch zu nehmen. Darin können Blockaden gelöst und Motivation aufgebaut werden. „Hier geht es nicht darum, wie man am besten lernt, sondern erst einmal darum, die Grundhaltung zum Lernen zu verändern und ein positives Gesamtbild zum Lernen zu entwickeln.“

Die Zusammenarbeit mit einem erfahrenen Coach hilft auch, wenn das eigene Denken von negativen Glaubenssätzen bestimmt wird. „Irgendwo kommen diese Glaubenssätze ja her“, so Schwalm. „Da lohnt es sich hinzuschauen, woher dieser Perfektionismus überhaupt kommt. Und immerhin gibt es zahlreiche Möglichkeiten, sich selbst einen anderen Glaubenssatz zu kreieren.“

Wichtig ist dabei, Selbstvertrauen aufbauen. „Jede:r sollte lernen, kleinere Erfolge zu feiern“, ermuntert Schwalm. Er empfiehlt, ein Erfolgstagebuch zu führen. „Dort schreibt man auch Kleinigkeiten auf, die man geschafft hat, sowie Sachen, für die man dankbar ist. Dann sieht man, ach, es sind doch ganz schön viele tolle Dinge dabei.“

Gelassen bleiben und sich zusammentun
Doch nicht nur ein Coach kann helfen. „Viele denken, sie müssten alles alleine schaffen und selbst verstehen“, weiß Schwalm. Er rät dazu, sich über den OnlineCampus mit anderen Fernstudierenden auszutauschen. Das kann zu bestimmten Lerninhalten sein, aber auch zu allgemeinen Themen rund ums Fernstudium. „Da merkt man ganz schnell, man ist nicht alleine, viele schlagen sich mit den gleichen Problemen herum.“

Zudem empfiehlt Schwalm, sich das sogenannte Pareto-Prinzip näher anzuschauen. „Diese 80-20-Regel gibt es in vielen Bereichen“, so der Lerncoach. „Demnach werden mit 20 Prozent Aufwand 80 Prozent des Ergebnisses erreicht. Sprich, ich kann mit 20 Prozent der Lernzeit 80 Prozent des Lernstoffs verstehen.“ Zu eng sollte man die Werte dabei aber nicht sehen. Vielmehr ist die Idee dahinter entscheidend: Auch mit vergleichsweise kleinem Aufwand kann man viel erreichen, danach steigt der Aufwand exponentiell um ein Vielfaches.

Ganz verteufeln sollte man den Perfektionisten in sich aber nicht. „Es gehört auch dazu, diesen inneren Teil erst einmal wahrzunehmen und ihn auch anzunehmen“, so Schwalm. „Der hat ja auch etwas Sinnvolles an sich. Man darf ihn nur nicht zu ernst nehmen.“ Und so lautet ein weiterer Tipp, auch mal über sich selbst zu lachen. „Wenn ich etwas Kompliziertes vor mir habe und es nicht direkt verstehe, kann ich mir auch sagen: Endlich etwas, wo ich mich anstrengen darf.“ Und nicht zu vergessen: Auch ab und zu einmal eine Pause machen. Denn so wichtig Lernen auch ist – es soll mit Freude geschehen.

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