Seit Beginn des Angriffskrieges auf die Ukraine behandeln Kliniken in Deutschland auf Veranlassung des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) schwerverletzte Patienten aus der Ukraine. Doch die aufwändige Versorgung dieser Patienten ist für die engagierten zivilen Kliniken und Rehakliniken regelhaft nicht kostendeckend. Das ergab eine aktuelle Umfrage der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie e.V. (DGU) unter den an der Behandlung beteiligten TraumaZentren der Initiative TraumaNetzwerk DGU®. „Wir behandeln die kriegsverwundeten Soldaten lange Zeit im Krankenhaus und anschließend in der Reha. Es entstehen hohe Behandlungskosten, die die Kliniken oft nicht erstattet bekommen. Wir fordern die Politik auf, nach Lösungen für ein alternatives Vergütungssystem zu suchen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass die Behandlung neu ankommender Patienten aus der Ukraine schon in Kürze nicht mehr gewährleistet werden kann“, sagt Prof. Dr. Steffen Ruchholtz, Geschäftsführender Direktor des Zentrums für Orthopädie und Unfallchirurgie Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH am Standort Marburg und stellvertretender Präsident der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU).

Viele der im Krieg verletzten Soldaten kommen schon mit Komplikationen nach einer Vorbehandlung in deutschen Kliniken an. Sie benötigen Wochen und Monate, in denen ihre schweren Verletzungen schrittweise versorgt werden. Mittlerweile konnte über 900 Patienten eine für das Verletzungsmuster optimale Behandlung ermöglicht werden. Ein Teil davon erhielt im Anschluss eine Rehabilitation. Dazu wurde unfallchirurgische Expertise in die bereits in der Corona-Pandemie etablierte Kleeblattstruktur eingebracht, um aus dem Ausland kommende Patienten in Deutschland schnell und zielgerecht auf ein aufnahmebereites TraumaZentrum DGU® mit entsprechender Expertise zu verteilen. 

In einer aktuellen Umfrage der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie e.V. (DGU) unter den an der Behandlung beteiligten TraumaZentren gaben 74 Prozent der Kliniken an, dass die Behandlung nicht kostendeckend sei. Der Grund läge darin, dass das System der diagnosebezogenen Fallgruppen (DRG) die sehr aufwändige und langwierige Behandlung der Kriegsverletzungen dieser Patienten nicht mit ihren Kosten abbildet. „Neben der Behandlungsdauer sind es vor allem die Infektionen mit multiresistenten Keimen und die mehrfachen Operationen, die die Therapie sehr kostenintensiv machen“, sagt Prof. Dr. Matthias Münzberg, Geschäftsführer Medizin der BG Unfallklinik Frankfurt am Main und einer der Initiatoren der Umfrage. 

Eine weiteres Problem ist für 90 Prozent der Kliniken die Weiterverlegung in Reha-Einrichtungen nach Abschluss der unfallchirurgischen Akut-Versorgung, da die Reha-Kliniken mit nur sehr beschränkten Entlassmöglichkeiten in die ambulante Nachbehandlung für diese Patienten konfrontiert sind. „Eine Reha nach einer komplizierten Behandlung ist ausgesprochen wichtig für den Heilungsverlauf. Für viele der Kliniken stellt die bereitwillige Aufnahme von Patienten aus der Ukraine jedoch eine zunehmende Schwierigkeit dar und ist oft mittlerweile finanziell nicht mehr leistbar“, sagt Prof. Dr. Dietmar Pennig, pensionierter Chefarzt der Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, Handchirurgie und Orthopädie am St. Vinzenz-Hospital der Universität Köln und stellvertretender DGOU-Generalsekretär.

Entscheider aus Kliniken befürchten, dass ohne die rasche finanzielle Absicherung eine Behandlung neu ankommender Patienten aus der Ukraine schon in Kürze nicht mehr geleistet werden kann. „Wir sehen es als unsere ärztliche Aufgabe, allen Patienten bestmöglich zu helfen. Die Versorgung Schwerverletzter aus der Ukraine liegt uns besonders am Herzen, da wir dadurch einen Beitrag zur Unterstützung der Ukraine leisten können“, sagt Prof. Dr. Dr. Volker Alt,  Direktor der Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie am Universitätsklinikum Regensburg, der maßgeblich an der Umfrage beteiligt war. Daher gilt der Appell an die Bundesregierung, die Unterstützung der medizinischen Versorgung von Kriegsverletzten und Zivilisten aus der Ukraine aufrechtzuerhalten. Vertreter der DGOU schlagen dafür ganz konkret ein alternatives Vergütungssystem vor, welches die hohen Behandlungskosten dieser Patienten abdeckt.

Zum Hintergrund
Deutschland verfügt mit dem TraumaNetzwerk DGU® über eine flächendeckende Versorgungsstruktur, die mehr als 650 Krankenhäuser miteinander verbindet und den elektronischen Austausch der Patientendaten ermöglicht. Das Netzwerk wurde von der Konzeption her zur Versorgung von Schwerstverletzten auch und gerade bei Massenanfällen von Verletzten geschaffen. Die 53 Netzwerke bestehen aus überregionalen, regionalen und lokalen Zentren, die durch einen Zertifizierungsprozess hinsichtlich ihrer Versorgungs- und Kommunikationsstrukturen überprüft und vertraglich miteinander verbunden worden sind. Der weitaus größte Teil der Intensivkapazität in Deutschland ist damit einbezogen. Im Mittel sind in Deutschland 14 Kliniken, das heißt acht lokale, vier regionale und zwei überregionale Zentren in einem Netzwerk organisiert.

Referenzen:
1) Organisatorische Weiterverteilung ukrainischer Kriegsverletzter zur Versorgung in Deutschland
https://link.springer.com/article/10.1007/s00113-023-01356-3
2) Süddeutsche Zeitung vom 20.10.2023: Medizin: Wie Schwerverletzte aus der Ukraine nach Deutschland kommen
https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/ukraine-medizin-kliniken-1.6290751

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