Bis vor wenigen Jahren waren genomweite Untersuchungen eine sehr selten eingesetzte Methode. Heute ist sie fast zum Standard geworden, von dem viele Patientinnen und Patienten profitieren. Stetige Fortschritte in der Sequenziertechnologie bei sinkenden Kosten ermöglichen die umfassende Analyse des gesamten Genoms nicht nur in Studien, sondern auch in der humangenetischen Diagnostik. Insbesondere bei onkologischen und seltenen Erkrankungen bergen die genetischen Informationen viel Potenzial. Mit ihrer Hilfe können Ärztinnen und Ärzte schnellere und präzisere Diagnosen stellen und die Erkrankungen häufig zielgerichtet behandeln.
Zugleich stellen die umfassenden genetischen Befunde eine Herausforderung dar. Mit der großen Menge an Daten steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Mediziner neben den ursprünglich gesuchten krankheitsrelevanten Informationen, den Primärbefunden, auch genetische Veränderungen entdecken, die zusätzlich gesundheitsrelevant werden können – sogenannte Zusatzbefunde.
Die Heidelberger Gruppe EURAT hat dieses Spannungsfeld für genetische Zusatzbefunde bei Minderjährigen untersucht. EURAT steht für Ethische und Rechtliche Aspekte der Translationalen Medizin. Zu der interdisziplinären Gruppe gehören Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg, vom Universitätsklinikum Heidelberg (UKHD), vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ), von der Universität Heidelberg, vom Hopp-Kindertumorzentrum Heidelberg (KiTZ) und von der Universität Hamburg.
Eva Winkler, Geschäftsführende Direktorin am NCT Heidelberg und Leiterin der Sektion Translationale Medizinische Ethik am UKHD, ist die Sprecherin der Projektgruppe. Sie sagt: „Bislang war unklar, welche Zusatzbefunde aus Studien zurückgemeldet werden sollen und wie dafür aufgeklärt werden kann, insbesondere, wenn es sich um Befunde Minderjähriger handelt. Hier setzt unsere Stellungnahme an und gibt erstmals Handlungsempfehlungen, welche Kategorien von Befunden angeboten werden sollten.“
Die Empfehlungen von EURAT basieren auf rechtlichen und ethischen Analysen. Sie sollen dazu dienen, einen adäquaten Informations- und Einwilligungsprozess zu etablieren. Auf diese Weise verringert sich die Wahrscheinlichkeit von Konflikten, wenn Ärztinnen und Ärzte genetische Zusatzbefunde bei Minderjährigen feststellen.
Eine ethische Herausforderung besteht beispielweise bei Befunden, welche erst im Erwachsenenalter des Kindes relevant werden, und bei denen sich die Frage stellt, ob diese Befunde den Eltern jetzt schon mitgeteilt werden sollen. Andere Zusatzbefunde hingegen verlangen rasche Behandlungsmaßnahmen. Zudem können Geschwister oder andere Familienmitglieder von Zusatzbefunden betroffen sein. Von Bedeutung für das Vorgehen ist auch, ob die aufgrund der Zusatzbefunde zu erwartenden Erkrankungen grundsätzlich behandelbar sind. Die Gruppe EURAT unterscheidet deshalb in ihrer Stellungnahme fünf verschiedene Kategorien von Zusatzbefunden und leitet differenzierte Empfehlungen ab.
Zum Beispiel sollten Zusatzbefunde, deren Rückmeldung eine unmittelbare Gefahr abwenden kann, den Eltern zum Schutz des Kindeswohls stets mitgeteilt werden, ohne dass diese es ablehnen können. Wenn andererseits keine akute Gefahr für Leib und Leben besteht, sollte das Recht des Kindes, selbst über eine Rückmeldung entscheiden zu können, nicht übergangen werden. Dieses Recht nimmt das Kind stellvertretend durch seine Eltern wahr.
Sofern kein medizinischer Nutzen durch die Rückmeldung ersichtlich ist und die mit dem Zusatzbefund assoziierte Erkrankung erst im Erwachsenenalter auftritt, sollten Zusatzbefunde den Eltern im Einwilligungsprozess nicht zur Rückmeldung angeboten werden. Für Minderjährige, die als einwilligungsfähig eingestuft werden, lautet die Empfehlung, dass sie prinzipiell alle Zusatzbefunde erhalten oder ablehnen dürfen.
Zusätzlich zu den Empfehlungen der Stellungnahme stellt EURAT eine Informationsbroschüre für Eltern und Betroffene sowie Textbausteine für den Aufklärungs- und Einwilligungsprozess bereit, der mögliche genetische Zusatzbefunde bei Minderjährigen berücksichtigt.
Die Stellungnahme von EURAT steht unter dem folgenden Link zum Download zur Verfügung: https://journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/forum-mk/issue/view/5962
Das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg ist eine gemeinsame Einrichtung des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) und des Universitätsklinikums Heidelberg (UKHD).
Das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg ist eine gemeinsame Einrichtung des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), des Universitätsklinikums Heidelberg (UKHD), der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg und der Deutschen Krebshilfe. Ziel des NCT ist es, vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung möglichst schnell in die Klinik zu übertragen und damit den Patienten zugutekommen zu lassen. Dies gilt sowohl für die Diagnose als auch die Behandlung, in der Nachsorge oder der Prävention. Die Tumorambulanz ist das Herzstück des NCT. Hier profitieren die Patienten von einem individuellen Therapieplan, den fachübergreifende Expertenrunden, die sogenannten Tumorboards, erstellen. Die Teilnahme an klinischen Studien eröffnet den Zugang zu innovativen Therapien. Das NCT ist somit eine richtungsweisende Plattform zur Übertragung neuer Forschungsergebnisse aus dem Labor in die Klinik. Das NCT kooperiert mit Selbsthilfegruppen und unterstützt diese in ihrer Arbeit. Seit 2015 hat das NCT Heidelberg in Dresden einen Partnerstandort. In Heidelberg wurde 2017 das Hopp-Kindertumorzentrum (KiTZ) gegründet. Die Kinderonkologen am KiTZ arbeiten in gemeinsamen Strukturen mit dem NCT Heidelberg zusammen.
Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ)
Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, Interessierte und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.
Um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Patientinnen und Patienten zu verbessern, betreibt das DKFZ gemeinsam mit exzellenten Universitätskliniken und Forschungseinrichtungen in ganz Deutschland Translationszentren:
Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT, 6 Standorte)
Deutsches Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK, 8 Standorte)
Hopp-Kindertumorzentrum (KiTZ) Heidelberg Helmholtz-Institut für translationale Onkologie (HI-TRON) Mainz – ein Helmholtz-Institut des DKFZ DKFZ-Hector Krebsinstitut an der Universitätsmedizin Mannheim Nationales Krebspräventionszentrum (gemeinsam mit der Deutschen Krebshilfe)
Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.
Universitätsklinikum und Medizinische Fakultät Heidelberg: Krankenversorgung, Forschung und Lehre von internationalem Rang
Das Universitätsklinikum Heidelberg (UKHD) ist eines der bedeutendsten medizinischen Zentren in Deutschland; die Medizinische Fakultät Heidelberg der Universität Heidelberg zählt zu den international renommierten biomedizinischen Forschungseinrichtungen in Europa. Gemeinsames Ziel ist die Entwicklung innovativer Diagnostik und Therapien sowie ihre rasche Umsetzung für Patientinnen und Patienten. Klinikum und Fakultät beschäftigen rund 14.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und engagieren sich in Ausbildung und Qualifizierung. In mehr als 50 klinischen Fachabteilungen mit rund 2.500 Betten werden jährlich circa 86.000 Patientinnen und Patienten voll- und teilstationär und mehr als 1.100.000 Patientinnen und Patienten ambulant behandelt.
Gemeinsam mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und der Deutschen Krebshilfe (DKH) hat das UKHD das erste Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg etabliert. Ziel ist die Versorgung auf höchstem Niveau als onkologisches Spitzenzentrum und der schnelle Transfer vielversprechender Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik. Zudem betreibt das UKHD gemeinsam mit dem DKFZ und der Universität Heidelberg das Hopp Kindertumorzentrum Heidelberg (KiTZ), ein deutschlandweit einzigartiges Therapie- und Forschungszentrum für onkologische und hämatologische Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter.
Das Heidelberger Curriculum Medicinale (HeiCuMed) steht an der Spitze der medizinischen Ausbildungsgänge in Deutschland. Derzeit befinden sich an der Medizinischen Fakultät Heidelberg (MFHD) rund 4.000 angehende Ärztinnen und Ärzte in Studium und Promotion.
Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg
Im Neuenheimer Feld 460
69120 Heidelberg
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