An Multipler Sklerose (MS), einer entzündlichen Erkrankung des zentralen Nervensystems, leiden in Deutschland etwa 250.000 Menschen – weltweit sind es geschätzt 2,8 Millionen. Bei der MS kommt es im Gehirn und im Rückenmark zu einem entzündungsbedingten Verlust der Myelinschicht, die die Nerven isoliert – mit teilweise schwerwiegenden Folgen wie Lähmungen oder schweren Sehstörungen.
Die Ursache für diese Zerstörung ist nicht bekannt. Virusinfektionen, insbesondere mit dem Epstein-Barr-Virus, standen schon seit Jahren unter Verdacht. Doch dieser Zusammenhang war schwer zu beweisen, da sich bis zu 95 Prozent aller Menschen im Laufe ihres Lebens mit EBV infizieren – MS aber andererseits eine seltene Erkrankung ist. Erst 2022 gelang einer US-Forschergruppe der Durchbruch – indem sie Virenstatus und MS-Diagnosen von unglaublichen 10 Millionen US-amerikanischer Militärangehöriger auswerteten.
„Dabei kam heraus, dass eine MS unter den EBV-Infizierten 30 Mal häufiger auftritt als unter Menschen, die nie mit diesem Virus in Kontakt waren – das ist eine extrem starke Evidenz für eine ursächliche Beteiligung des Virus an der Erkrankung“, erklärt Henri-Jacques Delecluse, Virologe im Deutschen Krebsforschungszentrum. „Dieses Ergebnis war für uns ein wichtiger Anhaltspunkt, um gezielt weitere Forschungsprojekte planen zu können.“
MS lässt sich zwar immer besser behandeln. Doch die hauptsächlich auf das Immunsystem ausgerichteten Therapien greifen nicht immer, bei vielen Betroffenen lässt sich ein schwerer Verlauf mit starken körperlichen Einschränkungen nicht aufhalten.
„Wir brauchen Therapien, die an der Wurzel der Erkrankung ansetzen. Dazu müssen wir zunächst verstehen, wie EBV überhaupt die Entstehung der MS induziert. Dafür brauchen wir genauere Modelle, um die Wechselwirkung der Viren mit ihren Wirtszellen zu untersuchen. Wir wissen beispielsweise noch nicht einmal, ob die Immunzellen der Betroffenen überhaupt EBV-infizierte Zellen eliminieren können? Oder führt dieser Versuch, den Erreger loszuwerden, zu einer Überaktivierung des Immunsystems, die letztlich Autoimmunreaktionen auslöst? Und welche Virusantigenen spielen dabei eine Rolle?“ zählt Delecluse auf.
Um diese Fragen zu beantworten, fördert die EU in ihrem Forschungsförderprogramm HORIZON Europe nun das internationale „BEDIND-MS“ Konsortium unter der Federführung von Delecluse. An dem Verbund beteiligen sich insgesamt zwölf Partnerinstitutionen aus sechs europäischen Ländern. Das interdisziplinäre Team will zunächst neue Zell- und Tiermodelle entwickeln, an denen die Interaktionen von Viren, Immunzellen und Nervenzellen unter möglichst naturnahen Bedingungen detailliert mitverfolgt werden können. An diesen Systemen wollen die Forschenden dann verschiedene Hypothesen zur Krankheitsentstehung testen, wobei auch Theorien geprüft werden sollen, die sich nicht allein auf das marodierende Immunsystem konzentrieren. Auch die Suche nach genetischen oder infektiösen Ko-Faktoren, die die Erkrankung begünstigen, wird Teil des Forschungsprogramms sein. Damit sollen sich Menschen mit besonders hohen Erkrankungsrisiken besser identifizieren lassen.
„Letztendlich ist unser Ziel, Biomarker zu identifizieren, die spezifische Stadien oder Verläufe der Krankheit signalisieren, und so zu neuen, präziseren Therapieansätzen zu kommen. Damit wollen wir den grausamen Verlauf, den die Erkrankung in vielen Fällen nimmt, aufhalten“, sagt Delecluse.
Die Fördersumme für BEHIND-MS beträgt insgesamt 7,1 Millionen Euro über fünf Jahre. Knapp 3,7 Millionen davon gehen an das DKFZ.
Partner im Konsortium BEHIND-MS sind:
- DKFZ (Koordinator)
- Consiglio Nazionale delle Ricerche (Italien)
- Erasmus Universität Rotterdam (Niederlande)
- Helmholtz Zentrum München
- Instituto Superiore di Sanita (Italien)
- Universität Mailand
- Fondazione Istituto Nazionale di Genetica Molecolare (Italien, affiliiert)
- Universität Zürich (assoziiert)
- Universitätsklinikum Vall D‘Hebron, Barcelona
- Universität Münster
- Universität Verona
- The European Multiple Sclerosis Platform (Belgien)
Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, Interessierte und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.
Um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Patientinnen und Patienten zu verbessern, betreibt das DKFZ gemeinsam mit exzellenten Universitätskliniken und Forschungseinrichtungen in ganz Deutschland Translationszentren:
Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT, 6 Standorte)
Deutsches Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK, 8 Standorte)
Hopp-Kindertumorzentrum (KiTZ) Heidelberg
Helmholtz-Institut für translationale Onkologie (HI-TRON) Mainz – ein Helmholtz-Institut des DKFZ
DKFZ-Hector Krebsinstitut an der Universitätsmedizin Mannheim
Nationales Krebspräventionszentrum (gemeinsam mit der Deutschen Krebshilfe)
Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.
Deutsches Krebsforschungszentrum
Im Neuenheimer Feld 280
69120 Heidelberg
Telefon: +49 (6221) 420
Telefax: +49 (6221) 422995
http://www.dkfz.de
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Telefon: +49 (6221) 42-2854
Fax: +49 (6221) 42-2399
E-Mail: s.kohlstaedt@dkfz.de