Die Europäische Zentralbank (EZB) läuft schon länger der hohen Inflation hinterher und versucht den Vorsprung durch hohe Leitzinserhöhungen wettzumachen. Doch nun scheint es, dass die EZB über das Ziel hinausgeschossen sein könnte und läuft Gefahr abermals der Inflationsentwicklung hinterher zu laufen. Nur diesmal in die andere Richtung. Erfahren Sie in der heutigen Ausgabe des Zinskommentars mehr, warum Deflationsrisiken größer sind, als so mancher Ökonom prognostizierte.

Deflationsgefahr 2025?

Die Inflation innerhalb der Eurozone betrug zuletzt 4,3 Prozent, weshalb es unsinnig scheint über Deflationsrisiken zu sprechen. Doch ein differenzierter Blick auf die Inflationsentwicklung einiger Euroländer gibt Anlass sich mit einer drohenden Abwärtsspirale der Preise auseinander zu setzen. So sieht sich die Niederlande schon heute Deflationsrisiken ausgesetzt. Zuletzt stiegen die Preise um 0,2 Prozent (Vgl. Abbildung 1). Auch wenn hierfür aufgrund der hohen Inflation vor einem Jahr ein gewisser Basiseffekt mitverantwortlich ist, sprechen die Zahlen durchaus eine deutliche Sprache. Darüber hinaus kommen Finnland und Griechenland dem Inflationsziel von 2 Prozent greifbar nahe. In Deutschland stiegen die Preise um 4,3 Prozent. Betrachtet man lediglich die durchschnittliche Inflationsrate über alle Euroländer hinweg, scheint eine andauernd straffe Geldpolitik gerechtfertigt. Doch dies ignoriert ein wichtiges ökonomisches Phänomen. 

Und zwar, dass Zinserhöhungen eine gewisse Zeit brauchen bis diese sich auf die Wirtschafts- und Inflationsentwicklung auswirken. Auf den sog. Transmissionsmechanismus ist Neuwirth Finance bereits in den letzten zwei Zinskommentaren eingegangen. Tatsache ist, dass sich ein signifikanter Teil der Zinserhöhungen noch gar nicht vollkommen auf die Inflationsentwicklung entfaltet hat (Vgl. Abbildung 2). Demnach könnte die EZB schon heute über das Ziel hinausgeschossen sein. Die Notenbank reagierte zunächst zu spät und dann zu stark. Letzteres hängt sicherlich mit Ersterem zusammen. Die EZB versuchte also das späte Reagieren durch ein schnelles und entschlossenes Agieren zu kompensieren. Trotz der guten Intentionen könnte die Notenbank Gefahr laufen ein weiteres Mal hinterher zu laufen. Bei der Annahme, dass die Geldmenge M3 als Frühindikator relativ zuverlässig ist, zeigt die Abbildung 2, dass ohne weiteres Zutun die Inflationsrate ab Frühjahr 2025 unter die Nulllinie läuft.

Hält die EZB zu lange an ihrem derzeitigen geldpolitischen Kurs fest, laufen die Währungshüter Gefahr zügig von einem inflationären in ein deflationäres Umfeld bzw. von einer restriktiven zu einer expansiven Geldpolitik zu wechseln. Dieser „Trampolin-Effekt“ spricht gerade nicht für ein stabiles Preisniveau, welches so wichtig für eine Volkswirtschaft und ihre Marktteilnehmer ist. Ein volatiles Inflationsumfeld, ob steigendend oder fallend, erschwert Unternehmen und Konsumenten langfristig in die Zukunft zu planen und ihre Investitionen entsprechend anzupassen. Die EZB muss unbedingt das Inflationsziel von 2 Prozent in der Wirtschaft verankern. Und das geht nur über Vertrauen. Dieses wurde in den letzten Monaten bereits auf die Probe gestellt. Rutscht die europäische Wirtschaft in eine stärkere Rezession, könnte dies der Glaubwürdigkeit der EZB enorm schaden. Je stärker Euroland in eine Rezession fällt, desto eher besteht die Gefahr, dass sich eine deflationäre Phase einstellen könnte.

Wichtiger Hinweis: Alle im Zinskommentar dargelegten Überlegungen oder Ideen stellen keine Zinsprognosen oder mögliche Zinswenden dar. Valide und belastbare Aussagen zu Zinsentwicklungen mit klaren Handlungsempfehlungen für das persönliche Investment können nur auf Basis eines individuellen Beratungsmandates und des Neuwirth Zinsindikators getroffen werden.

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