Der August war für die Kapitalmarktakteure ein nervenaufreibender Monat, der von Rücksetzern nach Allzeithöchstständen bei Aktien und einer sehr volatilen Zinsbewegung geprägt war. Thomas Böckelmann, leitender Portfoliomanager der Vermögensmanagement Euroswitch, hält die volkswirtschaftlichen Nachrichten aus den USA und deren teils widersprüchliche Interpretation für die treibende Kraft. So erfahre insbesondere das jüngst die Märkte dominierende positive Szenario des „Soft Landings“ der US-Wirtschaft immer wieder Zweifel.

„In der Historie gab es nur eine Handvoll Fälle, in denen starke Zinsanstiege einer Notenbank nicht zu einer Rezession geführt haben. Aber in den USA ist die noch in 2022 vorherrschende Angst vor einem „Hard Landing“ mehr und mehr verschwunden.“, so der Experte. Selbst ein „Soft Landing“ sei einigen Akteuren zu pessimistisch gedacht, diese gingen von einem „No Landing“ oder sogar von einer „Re-Acceleration“ aus. Letzteres, also sogar die Beschleunigung des Wirtschaftswachstums über den langjährigen Trend hinaus, rufe jetzt die Währungshüter auf den Plan. „Der Wunsch vieler Marktteilnehmer, die US-Notenbank möge doch bitte schnell wieder die Zinsen senken, prallt auf eine Wirklichkeit positiver makroökonomischer Kennzahlen, die die Notenbank schwer beeindruckt haben“, stellt Böckelmann fest. So zeigte sich der Notenbankpräsident Jerome Powell auf dem Notenbankertreffen in Jackson Hole vergleichsweise „hawkish“, also geneigt, die Zinsen länger hoch zu halten und schloss auch weitere Zinserhöhungen nicht aus. Gleichzeitig gab er zu bedenken, dass Geldpolitik in diesen Zeiten wie eine Navigation nach Sternen bei bewölktem Himmel sei.

„Jerome Powell sprach es nicht aus, aber mit „diesen Zeiten“ meint er offenbar auch die Kannibalisierung seiner Geldpolitik durch die Fiskalpolitik der USA“, vermutet der Fondsmanager. Bereits unter Trump wurden während der Pandemie einmalige 4.000 Mrd. US-Dollar in die Wirtschaft gepumpt, unter Biden sind es jetzt schon fast 2.000 Mrd. mehr. Während die Geldpolitik versucht, das Wirtschaftswachstum und damit die Inflation mit historisch hohen und schnellen Zinssteigerungen zu bremsen, gibt die Wirtschaftspolitik des Landes Vollgas. „Re-Shoring“ ist die wirtschaftspolitische Strategie, die darauf abzielt, immer mehr Produktion aus dem Ausland in die USA zurückzuholen, um das Land unabhängiger zu machen. Begleitet werde dies auch durch radikale Investitionsbeschränkungen, die vor allem China treffen sollen.

Böckelmann nimmt Anteil: „Man kann den US-Notenbankpräsidenten um seinen Job nicht beneiden.“ Zwar sinkt die Inflation in den USA durch Abbau transitorischer Effekte schnell auf zuletzt 3,2 %, aber er wisse um die strukturellen Treiber und um die seiner Politik entgegenlaufenden Aktivität der Regierung. „Obwohl sich die USA mit ihren Börsen aktuell im rosaroten Barbieland wähnt, droht in den kommenden Monaten ein Aufeinanderprallen mit der realen Welt“, warnt der Experte und erkennt vier denkbare Szenarien, mit denen sich Politik, Notenbanken und die Kapitalmärkte auseinandersetzen müssen:

  • Der Inflationsdruck ist hartnäckiger und struktureller bedingt als angenommen
  • Durch die mehrmonatige zeitliche Verzögerung der Wirkung von Zinsanstiegen könnte eine abrupte Abbremsung der US-Wirtschaft bevorstehen. Bislang wird die Wirtschaft vor allem durch den Sondereffekt fiskalpolitischer Programme getragen
  • Durch die fiskalpolitischen Programme der US-Regierung hat der Schuldenberg ein Niveau erreicht, das bei erneuten Krisen die Flexibilität einschränken wird. Die Aggressivität, mit der die US-Regierung auf den jüngsten Verlust des AAA-Bonitätsratings durch die Agentur Fitch reagiert hat, zeigt dass den Verantwortlichen diese Gefahr bewusst ist
  • Die Interdependenz der US-Wirtschaft vor allem mit China wird unterschätzt  

„Vor allem die auf 3 % gesunkene Inflation erhitzt die Gemüter“, weiß der Fondsmanager. So gäbe es neben dem Internationalen Währungsfonds IWF auch viele Ökonomen, die das 2%-Inflationsziel in Frage stellen „Wieso soll man weiter restriktiv bleiben und Millionen Arbeitslose riskieren, nur um auf 2 % statt 3 % zu gelangen?“ Die harten 70er und 80er Jahre scheinen bei dieser Fragestellung völlig vergessen.

„US-Notenbank FED und Europäische Notenbank EZB haben in Jackson Hole vorerst ihr 2%-Ziel bekräftigt, aber der politische Druck einer Abkehr dürfte steigen – in den USA angesichts obiger Szenarien und dem kommenden Wahljahr, in Europa angesichts der katastrophalen wirtschaftlichen Lage“, erwartet Böckelmann.

Erfahren Sie mehr im Finanzpodcast mit Thomas Böckelmann

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