Premiere am 23. 09.2023, 19.30 Uhr, Großes Haus, Theater Heilbronn
Woyzeck
Schauspiel von Georg Büchner
Regie: Axel Vornam
Ausstattung: Tom Musch
Dramaturgie: Sophie Püschel
Woyzeck: Sven-Marcel Voss
Marie: Romy Klötzel
Hauptmann/Ausrufer: Nils Brück
Doktor: Sebastian Kreutz
Tambourmajor: Felix Lydike
Andres/Unteroffizier: Gabriel Kemmether
Margreth/Wirt: Sabine Unger
Margreth/Käthe: Regina Speiseder
Narr/Handwerksbursch: Lennart Olafsson
Großmutter: Ingrid Richter-Wendel
Volk/Studenten: Statisterie
Weitere Vorstellungen: 3.10., 19.30 Uhr; 7.10., 19.30 Uhr; 15.10., 18 Uhr; 21.10., 19.30 Uhr; 24.10., 19.30 Uhr – weitere Termine unter www.theater-heilbronn.de
»Woyzeck« von Georg Büchner: »Ein vielmal vom Theater geschundener Text, der einem Dreiundzwanzigjährigen passiert ist, dem die Parzen bei der Geburt die Augenlider weggeschnitten haben«. (Heiner Müller)
Büchner konnte die Augen vor der düsteren Massenarmut seiner Zeit nicht verschließen. Er beschrieb, wie die Umstände den Menschen prägen, wie Mittellosigkeit, Arbeitshetze, Drill und permanente Demütigungen ihn entwürdigen. Zum ersten Mal wurden durch Büchner die Arbeit und die Angst vor deren Verlust als Element der Unterdrückung literarisch thematisiert und einer der »Geringsten« als Prototyp einer ganzen Klasse ins Zentrum gestellt. Das Theater Heilbronn eröffnet am 23. September 2023 die Spielzeit 2023/2024 mit diesem komplexen Gesellschaftsstück. Intendant Axel Vornam führt Regie. Tom Musch ist für die Ausstattung verantwortlich, Sophie Püschel für die Dramaturgie. Sven-Marcel Voss spielt Woyzeck, Romy Klötzel die Marie. Ingrid Richter-Wendel wird in dieser Inszenierung mit 90 Jahren die Großmutter spielen.
Armut, Ausbeutung und Femizid ̶ die Themen, die Georg Büchner in »Woyzeck« verhandelt, sind bedrückend aktuell. »Auch heute fühlen sich Menschen aus prekären Verhältnissen ihrem Schicksal ohnmächtig ausgeliefert. Es ist zu beobachten, wie die sozialen Probleme die Gesellschaft mehr und mehr zerreißen. Die Möglichkeiten der Ausgegrenzten, ihr Schicksal zu reflektieren und erst recht es in die eigenen Hände zu nehmen, sind begrenzt. Armut wird immer sichtbarer, auch mitten im reichen Deutschland«, sagt Axel Vornam und greift einen Satz des Dramatikers Heiner Müller auf: »Woyzeck ist eine offene Wunde.«
Historischer Hintergrund
Am 21. Juni 1821 brachte der Friseur Johann Christian Woyzeck seiner Geliebten Johanna Christiane Woost mit einer abgebrochenen Degenklinge aus Eifersucht sieben tödliche Wunden bei. Ein psychiatrisches Gutachten erklärte ihn zum Zeitpunkt der Tat für zurechnungsfähig, trotz gegenteiliger Aussagen von Zeugen, die von Wahnvorstellungen und Halluzinationen des Täters berichteten. Die Einschätzung der Zurechnungsfähigkeit bedeutete letztlich das Todesurteil für den Friseur. Drei Jahre später, am 27. August 1824, wurde er am Leipziger Rathaus vor 5000 Zuschauern hingerichtet. Damit kam die Debatte über den freien Willen des Täters und dessen strafrechtliche Relevanz erst richtig in Fahrt. Seitens vieler konservativer Publizisten wurde die Unzurechnungsfähigkeit dem Täter selbst angelastet ̶ verursacht etwa durch Trunksucht und unzüchtigen Lebenswandel. Ganz anders sah Georg Büchner den Fall. Er stellte die soziale Frage ins Zentrum seiner Analyse und beschrieb Armut nicht als individuelles, sondern als gesellschaftliches Problem.
Zum Inhalt
1836 beginnt der 23-jährige Arzt und Schriftsteller diesen Fall in einem Theaterstück zu verarbeiten. Sein Woyzeck ist genau wie das historische Vorbild ein armer Mann, der von Gelegenheitsjob zu Gelegenheitsjob hetzt und sich damit mehr schlecht als recht über Wasser hält. Er ist Barbier bei einem Hauptmann, welcher sich beklagt, dass Woyzeck immer so verhetzt aussieht. Auch bei einem Doktor, dem er sich für ein Experiment zur Verfügung stellt, verdient er ein bisschen Geld. 90 Tage lang darf er nichts anderes als Erbsen essen. Der Doktor ist begeistert, dass sein Experiment gut funktioniert und dass an Woyzeck die Folgen der Mangelernährung so deutlich sichtbar werden. Der Proband leidet unter massivem körperlichem Verfall und Wahnvorstellungen. Sein weniges Geld gibt Woyzeck Marie, mit der er zusammen ein uneheliches Kind hat. Die lebenshungrige Frau stürzt sich in eine Affäre mit einem Tambourmajor, einem stattlichen Mann. Als Woyzeck davon erfährt, verliert er den letzten Halt und richtet seine ganze unterdrückte Wut gegen das Wesen, das er am meisten liebt. Er tötet Marie mit sieben Messerstichen. Er ist ein von Wahnvorstellungen getriebener, verzweifelter Mann, ein Arbeits- und Versuchstier. Ein Opfer, das zum Täter wird.
Text öffnete in Struktur und Sprache die Tür in Richtung
An dieser Stelle endet Büchners »Woyzeck« und bleibt unvollendet. Der Autor stirbt während der Arbeit an diesem Stück im Alter von nur 24 Jahren an Typhus. 31 lose Szenen sind überliefert, bei denen man nur vermuten kann, wie Büchner diese Szenen anordnen wollte. Die Manuskriptseiten haben keine Seitenzahlen, die Szenen sind nicht nummeriert. Regisseur Axel Vornam und Dramaturgin Sophie Püschel haben aus diesen fragmentarischen Szenen eine eigene Spielfassung erstellt. Diese verzichtet entsprechend dem Grundanliegen Büchners auf jedes Pathos. Die einzelnen Szenen haben den Charakter von Momentaufnahmen. Die Sprache ist gleichermaßen schlicht und so atemlos, wie der Protagonist getrieben ist.
Auch in seiner Struktur war Büchners Schauspiel absolut einzigartig in seiner Zeit und öffnete die Tür in Richtung Moderne.
Im Druck erschien »Woyzeck« erstmals 1878 in der stark überarbeiteten und vom Herausgeber veränderten Fassung. Erst am 8. November 1913 wurde »Woyzeck« in München uraufgeführt, schlug ein wie eine Bombe und gehört seitdem zu den meistgespielten und einflussreichsten Dramen der deutschen Literatur.
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