Die Zahl der Arbeitskräfte erhöhte sich seit 2020 trotz wirtschaftlicher Stagnation um 700.000 Menschen. Obwohl die Arbeitskräftenachfrage stieg, sanken zudem die Realeinkommen. Dies erscheint zunächst erstaunlich.

Dr. Friedhelm Pfeiffer, stellvertretender Leiter des Forschungsbereichs „Arbeitsmärkte und Sozialversicherungen“ am ZEW Mannheim, erörtert auf Basis dieser Entwicklungen, wie die Attraktivität von Arbeit bei anhaltenden Reallohnverlusten und Fachkräftebedarf in Zeiten der Stagflation verbessert werden kann:

Auf dem Arbeitsmarkt wirken derzeit mehrere Faktoren in besonderer Weise zusammen. Der Energiepreisschock durch den Ukrainekrieg scheint noch nicht überwunden, während bei einer anhaltend hohen Inflation die reale Wirtschaftsleistung stagniert. Dies bewirkt für sich genommen einen Rückgang der betrieblichen Arbeitsnachfrage. Gleichzeitig berichten Unternehmen von anhaltenden Schwierigkeiten, ausreichend Fachkräfte zu finden, um die grüne sowie digitale Transformation zu bewältigen und für die beginnende Verrentungswelle der Baby-Boomer vorzusorgen.

Zudem sanken die Realeinkommen der Beschäftigten zwischen 2021 und 2022 durchschnittlich um vier Prozent und vom ersten Quartal 2022 zum ersten Quartal 2023 nochmals um 2,3 Prozent, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Auch die beachtlichen tariflichen Einkommenssteigerungen in Höhe von 5,6 Prozent im gleichen Zeitraum reichten nicht aus, den anhaltenden Inflationsschock auszugleichen. Dabei reduzieren die sinkenden Reallöhne für sich genommen auch die realen Arbeitskosten in den Unternehmen, was dazu führt, dass die betriebliche Arbeitsnachfrage zunimmt. Tatsächlich waren im ersten Quartal 2023 etwa 41,7 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt, was trotz Fachkräfteengpässen und Stagnation 700.000 mehr als im 1. Quartal 2020 sind.

Wie also kann die Attraktivität von Arbeit bei anhaltenden Reallohnverlusten und Fachkräftebedarf in Zeiten der Stagflation verbessert werden? Derzeit scheint es den Tarifpartnern nicht zu gelingen, die nominalen Löhne so zu erhöhen, dass keine Inflationsverluste entstehen. Politik und Wirtschaft haben in dieser Situation mehrere Alternativen, um das Angebot an Fachkräften zu sichern, von denen zwei näher in den Blick genommen werden.
Wiederentdeckung nicht-monetärer Lohnkomponenten

Man mag sich fragen, warum sich die Arbeitnehmerseite nicht stärker gegen die Reallohnsenkung zur Wehr setzt bzw. zur Wehr gesetzt hat, nicht zuletzt auch mit Verweis auf die Fachkräftebedarfe. Ist die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmerseite geschrumpft? Das lässt sich nicht ausschließen. Es kann aber auch sein, dass es nominale Lohnrigiditäten, also Lohnunflexibilitäten, gibt, die zu starken Erhöhungen der nominalen Löhne im Wege stehen. Die nominalen Löhne weisen eine gewisse Rigidität im wirtschaftlichen Auf und Ab auf. Sie sind daher möglicherweise nur mit Einschränkungen geeignet, einen stetigen Ausgleich von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt herzustellen.

Schließlich kann es ebenso sein, dass viele Beschäftigte die in der Corona-Krise erzwungene Arbeit von zu Hause schätzen gelernt haben. Wer nicht mehr jeden Tag am Arbeitsort anwesend sein muss, spart Fahrtkosten und Zeit. Homeoffice ist zwar nicht überall möglich, aber die Pandemie hat möglicherweise ihren Beitrag dazu geleistet, dass Beschäftigte und Betriebe neben den monetären den Wert von nicht-monetären Lohnkomponenten wieder entdeckt haben.

Den Unternehmen steht eine Vielzahl nicht-monetärer Lohnkomponenten zur Verfügung, die sie ausbauen können, um Fachkräfte trotz Reallohnsenkungen bei nominalen Rigiditäten zu gewinnen. Sie können etwa für mehr Gesundheit und individuelle Gestaltungsmöglichkeit am Arbeitsplatz sorgen und mit einer transparenten und auf Respekt gründenden Unternehmenskultur ihre Attraktivität für Arbeitsuchende und Beschäftigte verbessern. Nicht-monetäre Lohnkomponenten werden, nach Einschätzung des Autors, derzeit von vielen Beschäftigten ebenso angenommen wie Lohnerhöhungen.

Politische Gestaltungsmöglichkeiten

Zudem stehen auch der Politik Optionen zur Unterstützung der Wirtschaft auf der Suche nach Fachkräften zur Verfügung, wenn die monetären Löhne ihre ausgleichende Funktion nur unzureichend erfüllen. Die Politik kann die steuerliche Belastung von Arbeitsleistungen reduzieren. Derzeit steigt die Belastung vor allem in den mittleren Einkommenssegmenten stark an, mit negativen Folgen für das Angebot an Arbeit. Steuersenkungen erhöhen bei ansonsten unveränderten Bedingungen die verfügbaren Nettoeinkommen und in den lohnelastischen Segmenten wahrscheinlich auch das Arbeitsangebot.

Zwar ist die Lohnelastizität des Arbeitsangebots in der Gruppe der Beschäftigten im Alter zwischen 30 und 50 Jahren relativ gering und in manchen Hochlohnbereichen möglicherweise sogar negativ. Ein höherer Nettolohn hat dann entweder keine Auswirkung auf die gewünschte Arbeitszeit oder eine negative. Erhöhungen der verfügbaren Einkommen in den mittleren Lohngruppen, in denen die Lohnelastizität bei jüngeren und älteren Beschäftigten überwiegend noch positiv sein sollte, können jedoch helfen, Beschäftigungspotenziale in diesen Gruppen zu heben.

Über ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung GmbH Mannheim

Das ZEW in Mannheim forscht im Bereich der angewandten und politikorientierten Wirtschaftswissenschaften und stellt der nationalen und internationalen Forschung bedeutende Datensätze zur Verfügung. Das Institut unterstützt durch fundierte Beratung Politik, Unternehmen und Verwaltung auf nationaler und europäischer Ebene bei der Bewältigung wirtschaftspolitischer Herausforderungen. Zentrale Forschungsfrage des ZEW ist, wie Märkte und Institutionen gestaltet sein müssen, um eine nachhaltige und effiziente wirtschaftliche Entwicklung der wissensbasierten europäischen Volkswirtschaften zu ermöglichen. Das ZEW wurde 1991 gegründet. Es ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Derzeit arbeiten am ZEW Mannheim rund 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, von denen zwei Drittel wissenschaftlich tätig sind.

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Altersvorsorge und nachhaltige Finanzmärkte; Arbeitsmärkte und Sozialversicherungen; Digitale Ökonomie; Gesundheitsmärkte und Gesundheitspolitik; Innovationsökonomik und Unternehmensdynamik; Marktdesign; Umwelt- und Klimaökonomik; Ungleichheit und Verteilungspolitik; Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft.

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