Der Hamburger Preis für Theoretische Physik ist einer der höchstdotierten Wissenschaftspreise für Physik in Deutschland und wird von der Joachim Herz Stiftung gemeinsam mit dem Wolfgang Pauli Centre des DESY und der Universität Hamburg, dem Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY sowie den beiden Exzellenzclustern „CUI: Advanced Imaging of Matter“ und „Quantum Universe“ an der Universität Hamburg verliehen. Die Preisverleihung findet am 8. November in Hamburg statt.
Edward Witten zählt zu den renommiertesten und am häufigsten zitierten theoretischen Physiker:innen unserer Zeit. Seit Jahrzehnten gibt er wichtige Impulse für die Entwicklung einer großen vereinheitlichten Theorie der Physik, die alle Kräfte und Bausteine des Universums beschreibt. Als aussichtsreicher Kandidat dafür gilt seit den 1970er Jahren die Stringtheorie, weil sie eine Brücke zwischen zwei etablierten Grundpfeilern der Physik baut: Die Quantentheorie, die das Zusammenspiel subatomarer Partikel bestimmt, sowie Albert Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie, die Gravitation als Folge der Krümmung des Raumes beschreibt und die Entwicklung von Sternen, Galaxien und Schwarzen Löchern vorhersagt.
Brückenschlag zwischen zwei Grundpfeilern der Physik
Der Stringtheorie zufolge lassen sich Quanten- und Gravitationstheorie unter dem Dach eines neuen mathematischen Formalismus vereinigen. Dabei werden Elementarteilchen als winzige linienförmige Objekte betrachtet, die Strings. Quarks, Elektronen und alle anderen bekannten Elementarteilchen sind demzufolge nichts anderes als verschiedene Schwingungsmuster desselben Urteilchens. In den 1980er Jahren kristallisierte sich unter maßgeblicher Mitwirkung Edward Wittens heraus, dass sich durch diesen Paradigmenwechsel alle vier fundamentalen Naturkräfte – Gravitation, Elektromagnetismus, schwache Wechselwirkung, starke Kernkraft – durch eine vereinheitlichte quantenmechanische Feldtheorie beschreiben lassen.
Ein Rätsel blieb jedoch, dass zu diesem Zeitpunkt fünf mögliche Versionen der Stringtheorie bekannt waren. Wenn eine davon unser Universum beschreibt, wer lebt dann in den anderen vier Welten? Ausgehend von den Arbeiten zahlreicher Kolleginnen und Kollegen präsentierte Witten 1995 auf einer Konferenz in Kalifornien eine Lösung für dieses Problem: Wenn man quantenmechanische Effekte vollständig berücksichtigt, schmelzen die Unterschiede zwischen den fünf Stringtheorien dahin. Sie alle entpuppen sich als Grenzfälle einer grundlegenderen Theorie, genannt M-Theorie. Sie besagt, dass die Strings Erscheinungsformen schwingender Membranen sind und gilt als Kandidat für die große Vereinheitlichung der Naturgesetze.
„Mit Edward Witten zeichnen wir in diesem Jahr einen Wissenschaftler aus, dessen Arbeiten wegweisend für die Entwicklung der Stringtheorie und der Quantenfeldtheorie waren und auch weit darüber hinaus wichtige Impulse gaben. Diese Leistung und sein Wirken an der Schnittstelle zwischen Physik und Mathematik möchten wir mit dem Hamburger Preis für Theoretische Physik würdigen“, so Sabine Kunst, Vorstandsvorsitzende der Joachim Herz Stiftung.
Impulse für Spitzenforschung in Hamburg
Der Hamburger Preis für Theoretische Physik wird seit 2010 an international renommierte Forscher:innen vergeben. Er ist einer der höchstdotierten Wissenschaftspreise für Physik in Deutschland. Das Preisgeld beträgt 137.036 Euro, eine Anspielung auf die Sommerfeldsche Feinstrukturkonstante, die in der Theoretischen Physik eine wichtige Rolle spielt.
Der Physikpreis für Edward Witten ist mit einem Forschungsaufenthalt in Hamburg verbunden. „Edward Wittens bahnbrechende Arbeiten knüpfen eng an die Science City Hamburg Bahrenfeld an, zum Beispiel durch die Forschungsschwerpunkte im Exzellenzcluster „Quantum Universe“ und insbesondere auch am Hamburger Zentrum für Mathematische Physik, das DESY und Universität Hamburg seit 2004 gemeinsam aufgebaut haben. Wir blicken dem Austausch mit dieser Koryphäe daher mit großer Spannung und Vorfreude entgegen“, äußert sich Volker Schomerus, Leitender Wissenschaftler bei DESY und Sprecher des Wolfgang Pauli Centres.
Herausragende Leistungen an der Schnittstelle zwischen Physik und Mathematik
Im Lauf seiner Karriere hat sich Edward Witten nicht nur als führender Stringtheoretiker einen Namen gemacht. Auch in anderen Bereichen der mathematischen Physik gab er wichtige Impulse, von der Quantentheorie bis zur Physik der kondensierten Materie, teilweise mit Anwendungen in der Gravitationstheorie und Astronomie. Seine Arbeiten zur topologischen Quantenfeldtheorie beispielsweise eröffneten Mathematiker:innen Ende der 1980er Jahre neue Horizonte beim Verständnis der geometrischen Strukturen und Gesetzmäßigkeiten von Knoten. Edward Wittens außergewöhnliche Fähigkeit, abstrakte Konzepte wie Richard Feynmans berühmte Pfadintegrale aus der Physik auf die Mathematik zu übertragen, macht ihn zu einer herausragenden Figur an der Schnittstelle beider Disziplinen. Edward Witten wurde vielfach ausgezeichnet, u. a. erhielt er 1990 als erster Physiker überhaupt die Fields-Medaille. Sie gilt als höchste Auszeichnung für Mathematiker.
Über Edward Witten
Edward Witten wurde 1951 in Baltimore/Maryland geboren. Nach einem Bachelor-Abschluss an der Brandeis University in Massachusetts studierte er Angewandte Mathematik und Physik an der Princeton University/New Jersey. Der Betreuer für seine Promotion über Quanteneichtheorien war David Gross, der für seinen Beitrag zur Theorie der starken Wechselwirkung 2004 den Nobelpreis für Physik erhielt. Nach einer Postdoc-Position an der Harvard University wurde Edward Witten 1980 Professor an der Princeton University und 1987 Professor für Mathematische Physik am Institute for Advanced Study in Princeton.
In einem Interview stellen wir den Wissenschaftler und Menschen Edward Witten vor. Er gibt Einblick in seine hochkomplexe wissenschaftliche Arbeit und verrät, was es mit dem Buchstaben M in der M-Theorie auf sich hat: http://www.joachim-herz-stiftung.de/storys/edward-witten
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