Den Wunsch nach einem eigenen Haus hatte sich die Erzgebirgerin Annett Jahn bereits in Erlangen erfüllt. Dort lebte sie für viele Jahre – und fühlte sich dennoch nie richtig zuhause. Das Haus steht inzwischen zum Verkauf, während die gelernte Eventmanagerin 270 Kilometer entfernt in ihrer Heimat Erzgebirge an ihrem Lebenstraum werkelt: Gastgeberin zu sein. Dafür hat sie im Ort ihrer Kindheit und Jugend das perfekte Haus mit Seele gefunden. Für Ehemann Tom bedeutete der Umzug anfangs eher ein Kompromiss zu seiner geplanten Wahlheimat Italien. Es ist ein Kompromiss, für den er heute sehr dankbar ist.

Die Seele, die in diesem alten Haus steckt, ist sofort spürbar. Der Ausbau im Erdgeschoss ist in den letzten Zügen, die meisten Räume sind bereits bewohnt, der Speiseraum für die künftigen Feriengäste fertig. Man fühlt sich schnell wohl in dem Mix aus gemütlicher Moderne und den Elementen, die den Charme der Historie bewahren wie die alten abgeschliffenen Holztüren mit den nostalgischen Kassettenschlössern. In den Etagen darüber türmen sich Baumaterialien. Noch zeigt sich an den Wänden und auf dem Fußboden, welche Farben und Muster anno dazumal modern waren – oder was es eben gerade zu kaufen gab. Es ist die Art und Weise, wie ein fast 140 Jahre altes Gebäude aus seinem Leben und dem seiner vielen Vorbewohner erzählt. Für Annett Jahn war es Liebe auf den ersten Blick: „Als ich das Haus zum ersten Mal betrat, hatte ich sofort dieses gute Gefühl. Bei mir kam gleich das Kopfkino in Bewegung. Nach dem Rundgang hatte ich im Geiste das Haus bereits eingerichtet“ denkt sie zurück. Eigentlich fast unvorstellbar, wenn sie davon berichtet, denn es gab weder eine Heizung noch warmes fließendes Wasser.

Wenn Zeit den Mut für Veränderungen bringt

Annett wuchs drei Häuser weiter oben im Dorf auf. Im einstigen Elternhaus betreibt ihr Bruder Peter seit 2018 das Restaurant „Gaststub zur Bimmlbah`‘“, das die Eltern 1990 eröffnet haben. Dort hilft Annett ab und zu aus. So sind die Geschwister wieder vereint und arbeiten künftig Hand in Hand, wenn Annett ihren Gästen auf Wunsch ein Abendbrot im Restaurant anbieten kann – ähnlich einer Hotelpauschale. In Bayern arbeiteten Peter und Annett im gleichen Konzern, liefen sich so täglich über den Weg. Sie waren für sich gegenseitig das Stück Familie fern der erzgebirgischen Heimat. Dann, nach einem Unfall, zog Peter der guten mütterlichen Pflege wegen für ein paar Monate zurück ins Erzgebirge – und wollte nicht wieder weg. Für Annett, damals alleinstehend mit ihrem Sohn, war es ein nachvollziehbarer, dennoch schmerzhafter Schnitt. Die Pandemie brachte mehr Zeit zum Nachdenken und schließlich den Mut für Veränderungen. Aus dem online gesuchten Freizeitpartner für gemeinsame Motorradausflüge wurde schnell die große Liebe und der heutige Ehepartner Tom. Und aus dem Besinnen auf ihren großen Kindheitstraum wurde nach und nach Realität. „Als Kind stand ich immer vor dem Hotel Vierenstraße bei uns im Ort und wünschte mir, irgendwann selbst für Urlauber Gastgeberin in einem eigenen kleinen Hotel zu sein“, erzählt Annett. Die Basis schuf sie bereits nach der Schule mit einer Ausbildung zur Hotelfachfrau im Frankenland. Jobs in einer IT-Firma und in einem Sportkonzern folgten. Das fachliche Spektrum, in dem Annett arbeitete, war groß und der Erfahrungsschatz als solide Basis für eine Selbständigkeit wuchs.

Alte Bausubstanz und viele Pläne

„Hier gibt es so viele alte Häuser, da geht einem das Herz auf“, sagt Tom. Das Haus an der Karlsbader Straße kaufte das Paar im Mai 2021, mit Beginn der Adventszeit begannen die großen Entkernungsarbeiten. Die Zeit dazwischen wurde genutzt, um eine LEADER-Förderung zu beantragen. Diese gibt es unter anderem für Ideen, die Orte lebenswerter machen, indem leerstehende Gebäude einer neuen Nutzung zugeführt werden. Die Antragsstellung sei nicht ohne, aber lohne sich, sagen beide. Einige Bedingungen sind dran geknüpft, um historische Werte zu erhalten so wie die typische Erzgebirgsschalung außen aus Holz. Es sind Vorgaben, die das Paar gerne umsetzt, denn Altes zu bewahren und aufzuwerten steht für beide als Prämisse über dem Bauprojekt. Es gab auch Situationen, in denen beide außer vier Containern Müll kein Land sahen, weil alte Häuser manch böse Überraschung bereithalten. Dennoch fühlen sie sich im Prozedere nicht allein: „Es gibt Leute, die in der Antragstellung und Umsetzung beraten.“ Und dann gibt es auch die Familie, die anpackt, wo sie kann – sei es beim übergangsweisen Wohnen im Tiny House auf dem Grundstück der Eltern oder der Unterstützung, als Annett zu Beginn des Ausbaus mit zwei Knöchelbrüchen für fünf Monate als Arbeitskraft ausfiel.

Wie Familie Gedanken an Italien zerstreut

Den Schritt, zurück ins Erzgebirge zu ziehen, haben Annett und Tom nicht bereut. „Es ist der herzliche, unkomplizierte Umgang der Menschen hier untereinander, der mir so gefehlt hat“, denkt Annett zurück. Und Tom, der mit 17 Jahren das erzgebirgische Schönheide verließ, ist inzwischen mehr in Neudorf angekommen, als er je geglaubt hätte: „Annett lebt hier einen großen Familienzusammenhalt. Dass ich mich so angekommen fühle, habe ich der Familie zu verdanken.“ Den Gedanken an Italien wollte er eigentlich immer halten, weil es ihm in Deutschland zu kalt ist. „Aber als ich dann bei meinem ersten Besuch hier auf dem Fichtelberg stand und ins Erzgebirge schaute, fühlte sich das plötzlich richtig an.“ Solche Ausblicke genießen sie, so wie es die Zeit erlaubt, auf ihren gemeinsamen Motorradtouren.

Ende Oktober möchten Tom und Annett ihre ersten Gäste begrüßen. Der Kopf der leidenschaftlichen Eventmanagerin sprudelt voller Ideen, die bis dahin noch umgesetzt werden wollen. Dabei wird auch das Motorradfahren eine große Rolle spielen. „Ich möchte mehr als nur Zimmer anbieten.“ Die Zimmer versprechen allein schon, zum Übernachtungserlebnis zu werden. Ob im Burgzimmer mit Steinwaschbecken, im Bimmelbahnzimmer mit echtem Gleis oder im Waldzimmer – so wird mit viel Liebe ein altes Haus mit Seele mit neuem Leben und Ideen gefüllt.

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